Steuerberaterin Franziska Bessau über Sexismus im Steuerrecht

Seit 16 Jahren widmet sich Franziska Bessau in ihrer Euskirchener Kanzlei der Steuerberatung speziell für Frauen. Im Interview erklärt sie, warum "das Steuerrecht sexistisch ist", wie sich ihre DDR-Sozialisation auf ihren Werdegang auswirkte und warum sie keine GmbHs betreut. Als überzeugte Feministin wendet sie sich gegen alle Formen der Diskriminierung im Steuerrecht.

Frau Bessau, Ihre Kanzlei in Euskirchen richtet sich seit 16 Jahren explizit an Frauen und Menschen – warum formulieren Sie dies so?

StBin Franziska Bessau: Tatsächlich habe ich zuerst bei einer Organisation für Frauen, u.a. dem Frauenzentrum Dresden, gearbeitet, ehe ich Steuerberaterin geworden bin. Als ich das Examen gemacht hatte und selbstständig wurde, war mir klar, dass ich in dem Bereich „Frauen“ bleiben will. Heute sind überwiegend Frauen meine Mandantinnen, wenngleich natürlich auch einige Männer darunter sind, zum Beispiel als Ehegatten.

Zu mir kommen selbstständige Unternehmerinnen, die sich bei männlichen Kollegen oftmals nicht ernst genommen fühlen und nicht gehört werden.

Was ist bei der Beratung von Frauen anders?

Frauen sind risikobewusster und agieren realitätsnäher, würde ich sagen. Viele wollen auch die Themen ‚Finanzen‘ und ‚Buchführung‘ in die eigenen Hände nehmen – und suchen nach einer Unterstützungsmöglichkeit dafür.

Zu mir kommen selbstständige Unternehmerinnen, die sich bei männlichen Kollegen oftmals nicht ernst genommen fühlen und nicht gehört werden. Dass Frauen insbesondere als Selbstständige unterschätzt werden, ist im Übrigen nicht nur in unserem eher konservativen Berufsstand so. Auch die Finanzverwaltung kommt teilweise nicht aus der stereotypen Betrachtungsweise heraus, zum Beispiel bei der Beurteilung der Gewinnerzielungsabsicht: Macht ein Mann Verluste, dann riskiert er etwas, eine Frau mit denselben Zahlen geht eher einem Hobby nach.

Darüber hinaus gibt es aber auch die ganz konkret fassbare Diskriminierung bei der Ansprache im Steuerformular...

Ja, das Steuerrecht ist sexistisch, und da tut sich auch im Jahr 2024 nichts. Der Mann ist der Steuerpflichtige, und bei Verheirateten eben nur er. Das ist vielen so nicht bewusst, sie nehmen es nicht als Problem wahr. Stolpert eine Frau darüber, ist sie frappiert: Denn selbst wenn Sie als Selbstständige ausschließlich verdienen und Ihr Mann kein Einkommen hat: Auf dem Steuerformular bleibt er die Nummer eins und der einzig Steuerpflichtige. Das ist nicht nur spitzfindig, sondern kann auch richtig kompliziert werden. Versuchen Sie mal eine Steuererklärung abzugeben, in der sie ihn überlebt hat, nachdem beide im Vorjahr geheiratet haben. Man fragt sich einfach, warum die Reihenfolge in 2024 nicht einfach alphabetisch erfolgen kann.

Kann sie aber nicht, oder?

Sie kennen sicher den Fall, bei dem eine ältere Kundin einer Sparkasse vor Gericht geklagt hatte, um nicht weiterhin als "Kunde", sondern als "Kundin" angesprochen zu werden – und verlor. Bis zur Sichtbarkeit von Frauen ist es noch ein steiniger Weg, und im Falle der SteuerberaterInnen lässt sich sagen, dass sie eher für sich bleiben und mit politischen Positionierungen äußerst zurückhaltend umgehen.

Wenn ich auf meinen Seminaren angesprochen werde, dann ist das nicht zufällig eher von Anwältinnen. Und zur Finanzverwaltung lässt sich sagen, dass diese als Landes- und Bundesorganisation weit hinter den Kommunen zurückbleibt, was geschlechtergerechte und fraueninklusive Kommunikation angeht.

Übrigens gibt es auch noch eine dritte Dimension, nämlich die Software: Auch hier sind die Felder megakonservativ gestaltet, so dass sie zwangsläufig eines von zwei Geschlechtern zuordnen müssen, und ich als ‚Steuerpflichtigen‘ respektive ‚Mandanten‘ manchmal Namen von Männern eintrage, die ich gar nicht kenne, weil ich nur die Frau betreue, die wieder die Nummer zwei ist.

Sie selbst sind in der DDR geboren und haben dadurch eine Sozialisation erfahren, in der Frauen ganz selbstverständlich berufstätig waren. Wie hat das Ihren Werdegang geprägt?

Ich kam nach meinem Studium und meiner Berufstätigkeit in einem Heizkraftwerk und später im Frauenzentrum Dresden nach Nordrheinwestfalen, um bei einer Unternehmensberatung für Frauen zu arbeiten. Im Westen hat mir die Hausfrauenehe einen regelrechten Kulturschock verpasst. Es war für mich unvorstellbar, dass Frauen hier in großer Zahl tatsächlich wirtschaftlich von Männern abhängig sind, beim Scheitern der Beziehung dadurch öfter aus finanziellen Gründen bleiben oder zumindest ein deutliches Machtgefälle in Kauf nehmen.

Dennoch muss ich sagen, dass ich  im Jahr 2012 zwar kurz darüber nachgedacht habe, wieder in den Osten zurückzukehren. Doch hier im Westen ist die Mentalität freier, die Behörden sind großzügiger, das habe ich sehr schätzen gelernt. Und die rheinische Frohnatur ist der Berliner Schnauze nicht so unähnlich. Deshalb bin ich geblieben.

Sie betreuen bewusst keine GmbHs, sondern nur Selbstständige, GbRs und Vereine – ganz überwiegend und bewusst Frauen. Wie haben Sie sich diese Positionierung erarbeitet?

Durch meine vorherige Tätigkeit in der Unternehmensberatung für Frauen hatte ich schon ein großes Netzwerk, daraus kamen einige auf mich zu. Auch über meine Buchführungsseminare habe ich einige Mandate gewonnen. Der wichtigste Kanal aber sind Weiterempfehlungen von Frauen an andere Frauen; das ist zum Selbstläufer geworden. Ich betreue heute Frauen sowohl umfassend, als auch nur mit ihrem Business, wenn etwa die Einkommensteuer beim Steuerberater des Mannes erledigt werden soll. Gelegentlich gehen Mandantinnen auch, wenn sie heiraten.

Also sehen Sie auch hier oftmals Anpassung an die Prozesse, die der Ehemann vorgibt. Was ist für Sie die problematischste Regelung im Steuerrecht im Hinblick auf Sexismus?

Wenig überraschend das Ehegattensplitting. Denn hier geht es nicht nur um die praktische Begünstigung von irgendetwas, sondern vor allem um das verheerende Signal an Frauen: Es lohnt sich nicht, wenn ich arbeite. Was ja überhaupt nicht richtig ist! Denn bis zu einem Einkommen von 15.000 Euro zahlst Du gar keine Steuern – er büßt lediglich seinen Steuervorteil ein, den er durch Dich hatte! Das kommt so aber nirgends an, und deshalb bin ich alles andere als böse, wenn die Steuerklassen fünf und drei gestrichen werden.

Ihre politischen Interessen bezeichnen Sie nur als einen von drei Punkten, die Ihnen wichtig sind – neben Steuerrecht und Kunst. Was verbirgt sich hinter letzterem?

Zunächst einmal mache ich unheimlich gern Dinge mit meinen Händen. Ich wohne in einem Fachwerkhaus und kümmere mich auch um die Elektrik. Das hat zwei Gründe: Erstens freue ich mich am Ergebnis, wenn etwas besser geworden oder neu entstanden ist. Zweitens hänge ich der Überzeugung an, dass es nichts gibt, das Frauen nicht könnten – auch und vor allem im handwerklichen Bereich. Meine Kreativität lebe ich beim Schreiben und Comiczeichnen aus. Sollte ich nochmals den Beruf wechseln, würde ich Comiczeichnerin werden.

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