Rz. 1
ESRS S3 adressiert Angabepflichten zu betroffenen Gemeinschaften. Bei diesen handelt es sich um eine Teilmenge der Stakeholder eines Unternehmens, die "betroffenen Interessenträger" gem. ESRS 1 (§ 3 Rz 53). Die Definition, was unter betroffenen Gemeinschaften zu verstehen ist, enthält das Glossar zur Delegierten Verordnung (EU) 2023/2772:
"Personen oder Gruppen, die in demselben Gebiet leben oder arbeiten, das von den Tätigkeiten eines Bericht erstattenden Unternehmens oder seiner vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette betroffen ist oder sein könnte. Betroffene Gemeinschaften können von Gemeinschaften, die unmittelbar neben der Betriebsstätte des Unternehmens leben (lokale Gemeinschaften), bis zu in weiterer Entfernung lebenden Gemeinschaften reichen."
Diese Definition weist somit eine inhaltliche Nähe zum deutschen Begriff der "Anrainer" auf – "betroffene Gemeinschaften" ist aber offensichtlich geografisch viel weiter gefasst als der Begriff "Anrainer" üblicherweise verstanden wird. "Betroffen" ist i. S. v. "von den Auswirkungen des Unternehmens betroffen" zu verstehen.
Diese Definition ist an die korrespondierende Definition aus dem GRI Standards Glossary 2021 angelehnt (ESRS S3.BC App. A).
Auch wenn die Definition von "betroffenen Gemeinschaften" die Inside-out-Perspektive in den Fokus rückt, was die Identifikation der zurechenbaren Stakeholder-Gruppen betrifft, sind in der Wesentlichkeitsanalyse sowohl Auswirkungs-Wesentlichkeit als auch finanzielle Wesentlichkeit zu untersuchen.
Rz. 2
Verglichen mit den Inhalten der weiteren Standards der S-Säule liegt ESRS S3 somit das am weitesten gefasste Stakeholder-Verständnis zugrunde. Im Hinblick auf mögliche Überschneidungen zu ESRS S1, ESRS S2 und ESRS S4 ist davon auszugehen, dass in den Anwendungsbereich von ESRS S3 all jene betroffenen Stakeholder eines Unternehmens fallen können, die von keinem der enger abgegrenzten drei weiteren Standards erfasst werden. Aber auch Menschen, über die bereits als Mitarbeiter oder Kunden gem. der einschlägigen ESRS berichtet wird, können (zusätzlich) von ESRS S3 abgedeckt sein, sofern sie bspw. als Anrainer von den Wirtschaftsaktivitäten eines Unternehmens betroffen sind. Die Berichtsvorgaben der diesfalls einschlägigen Standards der S-Säule sind dann entsprechend zusammen anzuwenden; im Hinblick auf die Gliederung der Nachhaltigkeitserklärung wird zu erwägen sein, inwieweit eine gemeinsame bzw. getrennte Darstellung im Abschnitt "soziale Informationen" zielführender ist (§ 3 Rz 152).
Rz. 3
Ein berichtspflichtiges Unternehmen hat in seinem Nachhaltigkeitsbericht darzustellen,
- welche wesentlichen Auswirkungen es auf diese betroffenen Gemeinschaften in Gebieten, in denen solche Auswirkungen am wahrscheinlichsten und am schwerwiegendsten sind, entfaltet;
- welche Maßnahmen es setzt, um tatsächliche oder potenzielle negative Auswirkungen zu verhindern, abzuschwächen oder zu beseitigen – und welche Ergebnisse mit diesen Maßnahmen erzielt wurden;
- welchen wesentlichen Risiken und Chancen das berichtspflichtige Unternehmen selbst aufgrund seiner Auswirkungen auf und Abhängigkeiten von betroffenen Gemeinschaften ausgesetzt ist (Art, Typ und Umfang) – und wie es diese Risiken und Chancen steuert;
- welche finanziellen Effekte aus diesen wesentlichen Risiken und Chancen für das berichtspflichtige Unternehmen in kurz-, mittel- und langfristiger Perspektive resultieren (ESRS S3.1).
Rz. 4
Nicht zu jeder dieser Zielsetzungen enthält ESRS S3 allerdings gegenwärtig Angabepflichten. So ist eine Angabe zu finanziellen Effekten aus der Beziehung zu betroffenen Gemeinschaften nicht vorgesehen. Darüber hinaus enthält der Standard noch keine konkreten Angabepflichten zum sekundären Berichterstattungsbereich der Kennzahlen. Weitere Angabepflichten hierzu sowie zu weiteren Aspekten i. V. m. betroffenen Gemeinschaften sollen in zukünftigen Sets an ESRS, ggf. auch in sektorspezifischen Standards, erarbeitet werden (ESRS S3.BC6).
Wie in § 11 Rz 6 bereits dargelegt, entbindet das Fehlen von Kennzahlen in ESRS S3 Unternehmen nicht von der Pflicht, bei festgestellter Wesentlichkeit eines Nachhaltigkeitsaspekts selbst Kennzahlen festzulegen, anhand derer eine Abbildung dieses Nachhaltigkeitsaspekts erfolgen kann. Diese Offenlegung ist als unternehmensspezifische Angabe zu werten und entsprechend zu kennzeichnen. Im Zusammenhang mit ESRS S3 ist auf die GRI-Standards zu verweisen, die eine Vielzahl an Einzelstandards zu Themen aufweisen, die mit betroffenen Gemeinschaften in Bezug stehen und an deren Offenlegungspflichten eine Anlehnung erfolgen kann. Relevant sind insbes. GRI 410: Sicherheitspraktiken 2016, GRI 411: Rechte der indigenen Völker 2016 und GRI 413: Lokale Gemeinschaften 2016.
Rz. 5
Eine hervorgehobene Bedeutung räumt ESRS S3 den Auswirkungen, Risiken und Chancen im Hinblick auf indigene Völker ein: "Betroffene Gemeinschaften umfassen tatsächlich und potenziell betroffene indigene Völker." Zahlreiche Angabepflichten im Standar...