Matthias Hrinkow, Prof. Dr. Stefan Müller
Rz. 1
Mit der Umsetzung der CSRD erweitert sich auch das Begriffsverständnis der Nachhaltigkeitsterminologie. Angelehnt an das Akronym ESG (Environmental – Social – Governance) werden neben Umwelt- und Sozialaspekten auch Modalitäten der Corporate Governance als Teil der Nachhaltigkeit angesehen, die entsprechend im Nachhaltigkeitsbericht abgebildet werden müssen. Neben zwei Querschnittsstandards, fünf Standards zur Umweltberichterstattung und vier Standards zur Sozialberichterstattung beinhalten die europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattungsstandards auch einen Standard zur Governance-Berichterstattung, der verschiedene Offenlegungsvorgaben zur Unternehmensführung (Business Conduct) regelt. Ferner beinhaltet der vor der Klammer der einzelnen Berichtsanforderungen angesiedelte ESRS 2 einige Offenlegungspflichten zu unterschiedlichen Elementen der Corporate Governance, die zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele bzw. für die Identifizierung, Bewertung und Steuerung der nachhaltigkeitsbezogenen Auswirkungen, Risiken und Chancen benötigt werden (§ 4 Rz 70 ff.).
Rz. 2
Ziel des "ESRS G1 – Unternehmensführung" ist es, Angabepflichten festzulegen, die es den externen Adressaten der Nachhaltigkeitsberichterstattung ermöglichen, die Strategie und den Ansatz des Unternehmens, seine Prozesse und Verfahren sowie seine Leistung in Bezug auf die Unternehmensführung zu verstehen (Rz 13). ESRS G1 konzentriert sich auf die folgenden Punkte, die in diesem Standard in der überarbeiteten übersetzten Fassung zusammenfassend als "Unternehmensführung" (Business Conduct) bezeichnet werden:
- Geschäftsethik und Unternehmenskultur, einschl. Korruptions- und Bestechungsbekämpfung, Schutz von Hinweisgebern und des Tierwohls;
- Management der Beziehungen zu den Lieferanten, einschl. Zahlungspraktiken, insbes. im Hinblick auf Zahlungsverzug bei kleinen und mittleren Unternehmen;
- Tätigkeiten und Verpflichtungen des Unternehmens im Zusammenhang mit der Ausübung seines politischen Einflusses, einschl. seiner Lobbytätigkeit.
In der ursprünglichen Übersetzung wurde dies "Unternehmenspolitik" genannt, in der Literatur ggf. noch treffender auch "Geschäftsgebaren". Beides wäre u. E. treffender, als die offenbar sehr weit zu verstehende Formulierung der Unternehmensführung, da auch Angaben zur Unternehmensüberwachung gefordert werden. Die Geschäftsführung obliegt zumindest nach § 77 Abs. 1 AktG nur dem Vorstand gemeinsam. Offenbar wird diese Problematik etwa bei ESRS G1.5, wonach "Fachwissen der Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorgane in Bezug auf Aspekte der Unternehmensführung" angegeben werden soll. Daher erscheint die nun aktuelle Übersetzung unglücklich, soll aber im Folgenden weiter verwendet werden. Der Begriff der Unternehmensführung wird im Glossar leider auch nicht weiter erläutert.
Die Offenlegungsanforderungen des ESRS G1 konkretisieren somit die Berichtspflichten über die Unternehmensführung des Unternehmens, die jenes nach der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen ("CSRD") zu erfüllen hat (ESRS G1.BC1).
Rz. 3
Die Berichterstattung hinsichtlich der Sicherstellung des integren Geschäftsverhaltens der Unternehmen im Speziellen respektive der Corporate Governance i. A. hat in den letzten Jahren aufgrund der wiederkehrenden Fälle von Missmanagement oder Betrug stark an Bedeutung gewonnen. Aus deutscher Perspektive haben insbes. die Vorgänge um die Machenschaften des ehemaligen DAX-Mitglieds Wirecard AG für viel mediale Aufmerksamkeit gesorgt, wobei die Reputation des Finanzplatzes Deutschland durch frühere Skandale, wie dem Abgasskandal bei Volkswagen, bereits beschädigt war. Aktuell wirft die Restrukturierung der VARTA AG Fragen bzgl. der Governance auf. Seit jeher wird die Weiterentwicklung der Corporate Governance und deren Berichterstattung intensiv diskutiert.
Rz. 4
In den im April 2022 von der EFRAG vorgelegten ersten Entwürfen des Set 1 der ESRS nahmen die Offenlegungsanforderungen hinsichtlich der Corporate Governance noch eine größere Rolle ein und umfassten einen weiteren Berichtsstandard E-ESRS G1 a. F. (Governance, Risikomanagement und interne Kontrolle) mit einer Vielzahl an Offenlegungspflichten zur allgemeinen Ausgestaltung der Corporate Governance der berichtspflichtigen Unternehmen. Auch der frühere E-ESRS G2 a. F. zum Geschäftsgebaren bzw. nach aktueller Übersetzung jetzt Unternehmensführung, der nun der alleinige Governance-Standard ist, fiel in der ursprünglichen Fassung umfangreicher aus. Die Streichung von Offenlegungsanforderungen zur Corporate Governance hatte den Hintergrund, dass insbes. E-ESRS G1 a. F. eine hohe inhaltliche Nähe zu bereits bestehenden Regelungen zur Corporate-Governance-Berichterstattung nach § 289f HGB/§ 243c UGB aufwies, die sich insbes. für börsennotierte Unternehmen durch unterschiedliche Prüfungsniveaus und Offenlegungsregelungen in einer auch nicht durch Verweise zu lösenden Vielzahl von Berichtsdoubletten niedergeschlagen hätte. Das hätte zur Folge geha...