Matthias Hrinkow, Prof. Dr. Stefan Müller
Rz. 6
ESRS 1.AR16 enthält die Aufstellung der Nachhaltigkeitsaspekte, die bei der Wesentlichkeitsanalyse eines berichtspflichtigen Unternehmens mind. zu würdigen sind (§ 3). Die für ESRS G1 einschlägige Aufstellung von Themen, Unterthemen und Unter-Unterthemen enthält Tab. 1:
Thema |
Unterthema |
Unter-Unterthema |
Unternehmensführung |
- Unternehmenskultur
- Schutz von Hinweisgebern (Whistleblower)
- Tierschutz
- Politisches Engagement und Lobbytätigkeit
- Management der Beziehungen zu den Lieferanten, einschl. Zahlungspraktiken
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- Korruption und Bestechung
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- Vermeidung und Aufdeckung einschl. Schulung
- Vorkommnisse
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Tab. 1: Nachhaltigkeitsaspekte gem. ESRS G1 (ESRS 1.AR16)
Rz. 7
Die Offenlegungsanforderungen des ESRS G1 konkretisieren die Berichtspflichten zu den Governance-Faktoren, die in Art. 29b Abs. 2 Buchst. c) iii)–v) der CSRD geregelt werden. Daher wurden bei der Ausarbeitung dieses Standards die CSRD-Bestimmungen, insbes. die Aspekte rund um die folgenden Governance-Faktoren, berücksichtigt:
- Unternehmenskultur,
- Verwaltung der Beziehungen zu den Lieferanten,
- Vermeidung von Korruption und Bestechung,
- Engagement des Unternehmens bei der Ausübung seines politischen Einflusses, einschl. Lobbyarbeit,
- Schutz von Hinweisgebern (Whistleblowern),
- Tierschutz und
- die Zahlungsmoral, insbes. im Hinblick auf den Zahlungsverzug bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU).
Andere Aspekte mit potenzieller Relevanz für die Unternehmensführung werden hingegen von anderen ESRS abgedeckt. So werden z. B. Offenlegungsanforderungen zur Einhaltung des Datenschutzes u. a. bereits in ESRS S4 "Verbraucher und Endnutzer" statuiert (ESRS G1.BC3).
Um das Thema neutraler darzustellen, wurde abweichend von der CSRD der ESRS G1 mit Unternehmensführung (Business Conduct) betitelt, während die CSRD von Geschäftsethik spricht. Der Regierungsentwurf für ein deutsches Umsetzungsgesetz der CSRD verwendet hingegen auch den Terminus "Unternehmenspolitik" aus der ursprünglichen Übersetzung des ESRS G1, so dass es bei einer Anwendung der Regelungen in der Berichtspraxis zu Irritationen kommen könnte. Mit der CSRD werden die Berichtspflichten ab dem Geschäftsjahr 2025 auf Unternehmen ausgedehnt, die derzeit entweder gar nicht oder zumindest nicht in diesem Umfang über die genannten Governance-Faktoren berichten müssen. Das betrifft insbes. nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen, die aufgrund ihrer Unternehmensgröße nun unter die Berichtspflicht fallen. Die EFRAG hat daher bei der Konzeption des ESRS G1 den Schwerpunkt auf die in der CSRD genannten Themen gelegt, weswegen nicht notwendigerweise alle Themen abgedeckt werden, die unter den Oberbegriff der Unternehmensführung fallen oder von der GRI oder anderen Rahmenwerken unter diesen Terminus subsumiert werden. Bei der Standardsetzung wurde sich erkennbar an einem Unternehmen in Form einer SE oder ggf. noch einer AG orientiert. Die Regeln gelten aber rechtsformunabhängig, so dass etwa bei einer GmbH mit größenabhängig fehlendem Aufsichtsrat einige Angabepflichten mit Verweis darauf nicht erfüllt werden können.
Rz. 8
Wie in den bereichsübergreifenden Standards ESRS 1 und ESRS 2 bereits hervorgehoben wird, sind nicht alle Offenlegungsanforderungen dieses Standards für alle berichtspflichtigen Unternehmen gleichermaßen wichtig. Unternehmen haben sich daher bei der Berichterstattung auf die wesentlichen Angaben zu beschränken, um den Nachhaltigkeitsbericht nicht unnötig aufzublähen. I. R. d. Stakeholder-Dialogs scheint gerade der Bereich der Governance noch von vielen Stakeholdern als wenig relevant eingeschätzt zu werden. Die Offenlegungspflichten des ESRS G1 richten sich zumeist an spezielle Stakeholder, wie Anteilseigner, Lieferanten oder themenrelevante NGOs, etwa bzgl. Korruption und politischer Einflussnahme. Dies wird auch bei den Entwürfen der ESRS für KMU deutlich, bei denen die Offenlegungspflichten dieses Standards kaum aufgegriffen werden. So findet sich etwa in ED ESRS VSME (siehe weiterführend § 30 Rz 102) lediglich die Forderung B 12, im Fall von Verurteilungen und Geldstrafen im Berichtszeitraum die Anzahl der Verurteilungen und die Höhe der Geldstrafen wegen Verstößen gegen Anti-Korruptions- und Anti-Bestechungsgesetze anzugeben. Für Unternehmen, die in einigen Sektoren und/oder in bestimmten geografischen Gebieten tätig sind, können jedoch tiefergehende Informationen über eine breitere Palette von bestimmten Themen erforderlich sein. Sektorspezifische Angaben werden im Rahmen künftiger spezifischer Standards entwickelt (ESRS G1.BC5; § 1 Rz 7).