Zusammenfassung

 
Überblick

Wohl kaum ein Change-Projekt läuft konfliktfrei ab, denn Veränderung bedeutet, sich mit Neuem auseinanderzusetzen. Der Artikel beleuchtet einige der häufigsten zu beobachtenden Konfliktmuster und gibt Hinweise, wie damit umgegangen werden kann.

1 Die menschliche Ebene

Ein häufig zu beobachtendes Phänomen in Change-Projekten ist eine frühe Fokussierung auf Prozesse und Strukturen. Organigramme werden geändert, die bestehenden Prozesse auf Sinnhaftigkeit durchleuchtet und entsprechend geändert. Inzwischen ist den meisten Change-Verantwortlichen bekannt, dass die Mitarbeitenden "mitgenommen" werden sollten. Schauen wir auf die Durchführung dieses "Mitnehmens", so beschränkt sich das – leider – vielmals noch auf Infoveranstaltungen und, wenn es gut läuft, auf Workshops, in denen auch die Mitarbeitenden ihre Ideen einbringen können. Echte Mitgestaltung findet allerdings häufig nur pro forma statt.

Dabei wird übersehen, dass allein die Tatsache, dass jemand "einfach im Organigramm umgehängt wird", bereits massiv stressauslösend sein kann. Das Prinzip der Selbstwirksamkeit wird verletzt. Es könnten viele Wandelprozesse wesentlich sanfter ablaufen, wenn registriert und das Bewusstsein auch deutlich gemacht würde, was dem Mitarbeitenden abverlangt wird.

Unsicherheit sorgt für Stressreaktionen

Je unsicherer die am Wandel Beteiligten, die von ihm Betroffenen die Situation erleben, desto größer der Stress. Da kommt etwas Unbekanntes auf.

  • Inwiefern kann ich unter dem Neuen meine mir angestammte Rolle, vielleicht gar meine Identität (z. B. als interner Troubleshooter) überhaupt noch aufrechterhalten?
  • Welche neuen Verhaltensweisen werden von mir verlangt werden? Im neuen Team, da arbeitet doch Kolleg*in XY mit, mit der hatte ich schon öfter Probleme ...
  • Bis jetzt konnte ich meine Arbeit gut mit meinem inneren Wertesystem vereinbaren. Ich fand es gut, dass ich zur Gerechtigkeit beigetragen habe. Jetzt verlangt meine Organisation von mir, ich möge bitte vom Berater zum Verkäufer werden (im eigenen Denken: Menschen über den Tisch ziehen). Das geht doch nicht.
  • Wie sicher ist die mir zugesagte Jobgarantie wirklich? Bin ich den neuen Aufgaben gewachsen? Ich habe mich doch schon beim letzten Wandel schwergetan.

Dies sind einige Beispiele, wie Menschen scheinbar kleine Veränderungen einstufen können – und sie deshalb als Gefahr wahrnehmen. Wesentlich sind 2 Auswirkungen dieser persönlichen Perzeption des Wandels, die zu einer deutlichen Steigerung von Konflikthäufigkeit und -intensität beitragen.

1.1 Empathiefähigkeit und Selbstwahrnehmung

In ausbalancierten Alltagssituationen wird ein Teil der persönlichen Energie für die Aufgaben Empathie und Selbstwahrnehmung bereitgestellt. Jeder Mensch hat zu jedem Zeitpunkt 100 % seiner persönlichen Energie zur Verfügung. Die tatsächliche Höhe dieses Energielevels hängt ab von Alter, genereller Fitness, Ernährung, persönlicher Konstitution, um nur einige wesentliche Faktoren zu nennen.

Abb. 1: Empathiefähigkeit sinkt unter Stress

Moderne Arbeitsumgebungen zeichnen sich i. d. R. dadurch aus, dass von den Mitarbeitenden ständig 100 % Abruf des persönlichen zur Verfügung stehenden Energielevels gefordert wird. Das können die meisten Menschen über einen gewissen Zeitraum leisten. Je erfahrener ein(e) Mitarbeiter*in ist, desto mehr an tatsächlicher Arbeit kann sie/er leisten, da für eingeübte Handlungen und Verhaltensweisen weniger Energie aufgewendet werden muss als für neue. Diese Situation ändert sich massiv in Change-Situationen. Obwohl das Energiepotenzial bereits voll ausschöpft ist, wird es nun notwendig, zusätzlich Arbeitsweisen zu ändern, sich auf neue Menschen einzulassen, womöglich gar Kreativität zu zeigen etc. Alles Dinge, die außerhalb der Routine liegen. Die dafür notwendige Energie fehlt entsprechend in anderen Bereichen.

Psychologisch und wahrnehmungsphysiologisch werden Veränderungssituationen in vielen Fällen auf die gleiche Art und Weise eingestuft wie Gefahrensituationen. Man stelle sich unsere Vorfahren vor, die, als im Dschungel oder in der Steppe durchaus verletzliche Wesen, auf dem Heimweg plötzlich einen länglichen Gegenstand auf dem Weg vor sich sehen. Das könnte ein Stock sein (ungefährlich) oder eine giftige Schlange (lebensbedrohlich). Unser Organsimus fährt vorsichtshalber das Gefahrenprogramm hoch. Vereinfacht bedeutet das: Es ist in lebensbedrohlichen Gefahrensituationen nicht hilfreich, sich Gedanken darüber zu machen, ob meine Schläge dem Gegner wehtun (Empathiefähigkeit). Genauso wenig nützt es, wenn in einer solchen Situation eine leichte Verletzung zu meinem Hirn durchdringt (Selbstwahrnehmung).[1]

Empathiefähigkeit und Selbstwahrnehmung sind jedoch Fähigkeiten, die in konfliktären Situationen wesentlich zur Entschärfung beitragen.

[1] Man denke an Berichte von Triathleten, die mit gebrochenem Wadenbein noch den Marathonlauf vollendet haben.

1.2 Die inneren Antreiber

Bei den meisten Menschen übernehmen in (auch unbewusst) als Gefahr wahrgenommenen Situationen instinktiv Persönlichkeitsanteile die Regie, die der Psychologe Eric Berne die inneren Antrei...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Sustainability Office enthalten. Sie wollen mehr?