Dieses Kriterium enthält eigentlich gleichzeitig alle anderen hier aufgestellten Kriterien und viele nicht ausgesprochene dazu. Daher wäre eine Überprüfung der Einhaltung auch letztlich nur über die Prüfung aller anderen Kriterien möglich. So ist dieser Punkt aber nicht gemeint, sonst wäre klar, dass er erst dann mit einem "Ja" versehen werden könnte, wenn alle anderen Kriterien erfüllt sind. Tatsächlich geht es mir bei diesem Kriterium um so etwas wie eine freiwillige Selbstverpflichtung, einen Schwur, ein Gelöbnis.
Jede Gründer:in, jeder Mitarbeitende und jeder andere Stakeholder des Unternehmens sollte sich ernsthaft fragen, ob er (oder sie) bereit ist – ja, da bin ich radikal – Alles (!) dafür zu tun, was der Nachhaltigkeit zuträglich ist und Alles zu lassen, was sie behindert oder zerstört. Es ist eine Ausrichtung, die "die Spur enger werden lässt". Manche Dinge sind einfach nicht mehr möglich, wenn man sich dem Prinzip der Nachhaltigkeit ernsthaft verpflichtet, so z. B. die Ausbeutung von Mitarbeitern oder das "Zocken" mit fremdem Geld.
Mir ist bewusst, dass ich selbst immer noch nicht so konsequent lebe, wie sich meine obige Forderung anhört, sonst würde es mir nicht genügen, dass ich seit 6 Jahren keine Reisen mehr mit dem Flugzeug mache und dieses Jahr mein Motorrad verkauft habe, sondern ich müsste noch viel konsequenter hinterfragen, woher die Produkte kommen, die ich bei deutschen und internationalen Firmen kaufe und wie und von wem sie hergestellt werden (Stichwort Kinderarbeit etc.) und und und. Auch ich lebe in einem ständigen Widerspruch zwischen dem, was ich zutiefst für richtig halte und dem, was ich teilweise durch mein (unbewusstes und bewusstes) Handeln unterstütze. Daher weiß ich, dass eine 100-%ige konsequente Einhaltung aller Grundsätze menschlich nicht möglich ist (jedenfalls mir nicht und vermutlich 99 % der übrigen Menschen ebenso). Umso mehr halte ich es für wichtig, nein, für notwendig, diese freiwillige Selbstverpflichtung auszusprechen, um den zu Recht gefühlten Widerspruch durch immer konsequenteres Handeln immer kleiner werden zu lassen. Die Richtung/Ausrichtung ist also entscheidend, und die kann ich sehr wohl zu 100 % einschlagen, denn der Weg ist das Ziel. Damit entfällt die Entschuldigung für Situationen, in denen wir es uns zu leicht machen, aber wir erhalten auch Entlastung für die Situationen, in denen Abweichungen vom geraden Weg menschlich sind.
Wem das zu missionarisch oder gar esoterisch daherkommt, dem sei gesagt, dass das kein Zufall ist, da es (mir) bei gelebter Nachhaltigkeit um mehr als die Einhaltung von Gesetzen zum Schutz der Umwelt oder um den langfristigen Erhalt der Existenz eines Unternehmens geht. Es geht darum, die Habgier und den Egoismus in unserer Gesellschaft und der Wirtschaft hinter uns zu lassen und eine neue Qualität wachsen zu lassen, die ich Weises Wirtschaften nenne. Und das bedeutet überhaupt nicht, dass das zulasten des finanziellen Erfolgs solcher Unternehmen geht. Beispiele von erfolgreich nachhaltig wirtschaftenden Firmen beweisen gerade das Gegenteil.
Konkret prüfbar ist dieses Kriterium also nicht, außer eben wie gesagt durch das Überprüfen aller Kriterien auf dem Weg zur Nachhaltigkeit. Dennoch möchte ich es als Kriterium in der Liste stehen lassen, insbesondere bei den Gründerpersonen, um deutlich zu machen, dass immer noch "der Fisch vom Kopf her stinkt" bzw. positiv ausgedrückt: Wenn die Inhaber und obersten Führungskräfte eines Unternehmens sich ehrlich dem Ziel der nachhaltigen Unternehmensführung verpflichten, muss sich das zwangsläufig auch auf die anderen Mitarbeiter und Stakeholder des Unternehmens auswirken.
Da man im Tagesgeschäft schon einmal die übergeordneten Ziele vergessen oder sie zumindest in den Hintergrund rücken kann, ist es hilfreich, wenn die Unternehmensführung in regelmäßigen Abständen die Belegschaft auf diese übergeordneten Ziele "einschwört", so wie die Trainer von Sportteams das mit ihren Mannschaften auch vor jedem Spiel tun. Hilfreich ist auch, wenn man vor wichtigen Entscheidungen einmal kurz innehält und für sich prüft, welche zur Verfügung stehenden Alternativen das Ziel der nachhaltigen Unternehmensführung tatsächlich fördern und unterstützen und welche möglicherweise dagegen laufen.