Teil 3: Ausbreitung von Nachhaltigkeitsinnovationen bei heterogenen Segmenten


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Ausbreitung von Nachhaltigkeitsinnovationen

Innovationen breiten sich nicht bruchlos im Markt und der Gesellschaft aus, sondern werden auf der Nachfrageseite unterschiedlich aufgenommen. Dies gilt umso mehr für CSR-Innovationen und nachhaltige Produkte, da diese mehr als nur praktischen Nutzen bieten. Sie appellieren an Werte und Einstellungen und kommen auch denen zugute, die nicht unmittelbar konsumieren – zum Beispiel zukünftige Generationen.

Unser Beispiel der „Küchenzeile“ aus Teil II der Serie hat gezeigt, auf welche Weise man eine differenzierte Bedürfnissuche in der unternehmerischen Praxis durchführen kann. Die Auswahl strategischer Suchpunkte stand dabei modellhaft für eine Abstimmung von Suchtiefe und -bereich, also geeigneten Methoden der Bedürfniserfassung, von einfachen Befragungen bis zu raffinierteren Ansätzen, die in geeigneten Bereichen stattfindet, nah und fern der eigenen Stammkundschaft. Konkret bedeutet das eine Ausdehnung der Suche nach Innovationsimpulsen auf Personengruppen, bei denen die mentale Beziehung zu vorhandenen und bereits etablierten Produkten nicht so starr ist, und die daher einen unverstellten Blick auf Probleme und deren technische Lösung haben. Innovative Unternehmen sollten, gerade wenn es um radikale Innovationen geht, nach diesen Gruppen Ausschau halten, da ihnen Bedürfnisse bewusst und in technischem Vokabular äußerbar sind, zu denen marktnahe Gruppen keinen Zugang haben.

Diese Erkenntnis korrespondiert mit theoretischen Ansätzen zur Ausbreitung von Innovationen. Eine der Kernaussagen ist hier, dass sich die Verbreitung neuer Technologien in der Gesellschaft über verschiedene Adoptergruppen hinweg vollzieht, die sich in erster Linie durch ihre Aufgeschlossenheit gegenüber Neuerungen unterscheiden. (Siehe Moore (2002): „Crossing the Chasm“.) Während sich innovativere Nachfragegruppen relativ leicht damit tun, bahnbrechende Produkte oder Prozesse in den täglichen Umgang zu integrieren, gibt es andere, zögerlichere, denen dies schwerer fällt. Zwischen den besonders Aufgeschlossenen und den sehr Zögerlichen liegen die Segmente der Mehrheit, Menschen des Mainstreams, die sich, nach einigem Abwarten und Beobachten, auf die neue Anwendung einlassen. Da jede Gruppe eine wichtige Rolle im Diffusionsprozess übernimmt, wird die Innovation über die Adoptergruppen hinweg Stück für Stück weitergereicht. Die innovativen Adopter setzen den Prozess in Gang, indem sie wichtige Übersetzungsarbeit leisten und damit die Hemmschwelle für die nachfolgenden Gruppen senken – eben durch die besagte Beobachtung. Technische Neuerungen, die vielen zunächst suspekt sind, werden auf diese Weise immer besser akzeptiert, bis sie sich irgendwann in der gesamten Gesellschaft durchgesetzt haben.

Prozesse der Diffusion kennen wir von vielen Innovationen, ob es um Handys, das bargeldlose Zahlen oder das Elektroauto geht. Zunächst sind es nur ein paar Menschen, denen man bei Anwendung der Neuerung irritiert zuschaut, bis man sich irgendwann selbst, weder besonders vorauseilend noch besonders zögerlich, für das Produkt interessiert und schließlich dem Trend folgt. Meist ist der direkte Auslöser jemand, den man im persönlichen Umfeld bei der Nutzung erlebt – und dieser Mensch hat einem die Innovation übersetzt.

Abbildung 1 zeigt die Adoptergruppen in ihrer Verteilung über die Gesellschaft hinweg und stellt die im Laufe der Diffusion immer kürzer werdende „Übersetzungsdistanz“ dar. Bahnbrechende Technologien (noch nicht vermarktete Neuheiten, Inventionen), dargestellt durch das dunkle Explosionssymbol links in der Abbildung, sind erst dann Innovationen (vermarktete Neuheiten), wenn ihr konkreter Bezug zum Bedürfnis, zur alltäglichen Anwendung, auch einem breiten Markt deutlich wird. Dies ist stark abhängig von der besagten Bereitschaft der verschiedenen Gruppen, d. h. von ihrer Fähigkeit, den Bezug zwischen Technologie und dem eigenen Bedürfnis zu erkennen. Die Bedürfnisse können – wie schon erwähnt – manifest, latent oder zukünftig sein, aber genau dies ist segmentabhängig. Bedürfnisse, die in Zukunft gesellschaftlich relevant werden, sind bei manchen Gruppen latent, bei anderen, innovativeren, jedoch bereits manifest. Diese innovativen Gruppen sind in der Lage, den gesellschaftlichen Problemlösungsbedarf in einer Weise zu artikulieren, die gut in technische Lösungen, also Produkte oder Dienstleistungen, übertragbar ist (helles Wolkensymbol links). Sie drücken das, was für die meisten noch vage in der Zukunft liegt und ohne konkreten Bezug zur eigenen Lebensweise ist, konkret aus und können Lösungsansätze und Verknüpfungen mit aktuell gegebener Technologie herstellen, wie im Beispiel des Elektroautos oder des Handys.

Ruhnke Adoptergruppen

Da die innovativen, gut vernetzten und meist technikaffinen Segmente vorangehen, indem sie die neue Technologie bereits frühzeitig akzeptieren, wird die Diskrepanz zwischen Bedürfnis- und Technologie auch für die nachfolgenden Gruppen geringer, was die Annäherung der hellen und dunklen Objekte darstellt. Das Zusammenspiel von Problem und technischer Lösung wird, wie gesagt, schließlich auch im Mainstreammarkt und den dahinterstehenden, noch zögerlichen Gruppen, erkennbar. Dieser Diffusionsprozess wird katalysiert, indem die Übersetzung Stück für Stück erfolgt; die zu Beginn von vielen als zu komplex oder zu alltagsfremd empfundene Technik wird in ihrer Brauchbarkeit sukzessive veranschaulicht. Wir nehmen diese Erkenntnis weiter unten auf, wenn es um Nachhaltigkeit geht.

Was die innovativ vorangehenden Segmente besonders macht, liegt nicht allein in ihrem besseren Technikverständnis, sondern vielmehr darin, dass die mentale Verknüpfung von Technik und Problem kreativer vonstattengeht. Die Sicht auf Technik und ihre Eignung geschieht weniger funktional gebunden und geht einher mit der Erkenntnis, dass sinnvolle Lösungen für Probleme häufig durch innovative Zweckentfremdungen entstehen. Da die eigenen Verhaltensmuster in Konsum und Gebrauch reflektierter erfolgen, verstehen die innovativen Gruppen eigene und gesellschaftliche Probleme besser. Diese mentale Loslösung von Mittel-Zweck-Beziehungen ist ein Schlüssel für den Erfolg, auch und gerade von nachhaltigen Innovationsstrategien. Dies wird in der unternehmerischen Praxis deutlich, wenn man bei der Produktentwicklung Personen solcher Segmente als Lead-User im Innovationsprozess einbindet, weil sie sich durch ein besonders hohes Problemverständnis auszeichnen und innovative Technologie tagtäglich anwenden.

Multi exposure of woman hands working on computer and data theme hologram drawing. Tech concept.

CSR-Innovationen und ihre strategisch gesteuerte Ausbreitung

Die oben beschriebene Dynamik der Innovation ermöglicht einen genaueren Blick auf die gesteuerte Verbreitung von CSR-Innovationen. Sie erweitert Konzepte der strategischen Marktsegmentierung, mit der Unternehmen die relevanten Gruppen auf der Nachfrageseite identifizieren, und sie eröffnet gleichzeitig andere Perspektiven auf die Umsetzung von nachhaltigen Innovationsstrategien.

Nehmen wir als Beispiel ein Unternehmen für Heiz-, Lüftungs- und Klimatechnik. Auf der Internetseite wird man über eine Befragung der Art „Welche Heizung passt zu mir?“ auf die jeweiligen Produkte und Informationen geleitet, in denen sich die eigenen Bedürfnisse widerspiegeln sollen. Dies entspricht der klassischen Segmentierung durch Bedürfnissuche im Kernmarkt, bei der die Problemlösung direkt gegenübergestellt wird. Die breit aufgefächerte Produktpalette ist so kategorisiert, dass sie die jeweils passenden Lösungen zu gängigen, typischen Lebensformen abbildet. Man kann durch Auswahl im Menü die angebotenen Produkte auf ihre Eignung für die jeweilige Wohnsituation (Ein- und Mehrfamilienhäuser) prüfen oder nach Möglichkeiten der Umrüstung Ausschau halten. Man erhält zudem Informationen zur aktuellen Gesetzeslage, allgemeine Hinweise auf CO₂ -Werte usw. Die Übersetzung zwischen Bedürfnis und Produkt erfolgt in Form einer flexiblen, aber direkten Zuordnung – hier die Problembeschreibung, dort das Heizungsportfolio, ausgedrückt durch das Suchverhalten derjenigen, die sich informieren.

Ruhnke-Heizung

Auf diese Weise wird die vielschichtige und komplexe Bedürfnislandschaft in ein übersichtliches Produktraster gebracht. Dahinter können, von außen nicht sichtbar, ausgefeilte Bedürfniserfassungen stehen, die eine solche Menüführung zum Ergebnis haben. Es ist also sinnvoll, das Zusammenspiel von Produkt und Bedürfnis genau anzuschauen, gerade, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Dies funktioniert über eine fein abgestufte Bedürfniserfassung und ‑übersetzung mit – je nach Innovationsausprägung – mehr oder weniger ausgefeilten Methoden, wie sie im Teil II („CSR als Lupe für Innovationen“) beschrieben sind.

Das Entscheidende ist für die hier vorgenommene Betrachtung, dass das, was ein Produkt in seiner Leistungsfähigkeit im technisch objektiv messbaren Sinne auszeichnet, in einem komplexen und individuell-subjektiven Zusammenhang mit dem steht, was auf Kundenseite als Bedürfnis wahrgenommen wird, oder eben unbewusst bleibt. Produkte und Dienstleistungen sind immer unzureichende Übersetzungen eines oder mehrerer Bedürfnisse in Techniksprache. Die Wahrnehmung des Nutzens, der sich aus Kauf und Konsum ziehen lässt, stellt sich von Kundengruppe zu Kundengruppe ganz unterschiedlich dar. Genau in dieser Beziehung unterscheiden sich die Adoptergruppen oder Marktsegmente, sodass sie eine differenzierte Ansprache mit innovativen Produkten verlangen.

Somit ist auch die Bedürfnisentsprechung der oben betrachteten technischen Lösung „Heizung“ eine komplexe Mischung aus dem, was das Produkt technisch leistet, und dem, was es darüber hinaus an Emotionalität bietet, beispielsweise in Form eines guten Gefühls, nachhaltig zu leben. Dies ist es, woraus sich im Bereich nachhaltiger Produkte und Strategien bedeutende Erfolgspotenziale für Unternehmen ergeben.

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Mehr zum Thema erfahren Sie in Tobias Ruhnkes Buch „ Nachhaltige Innovationsstrategien – wie Unternehmen Bedürfnisse übersetzen können“.

Schlagworte zum Thema:  Innovation, Innovationsmanagement, CSR, Nachhaltigkeit