Zirkuläre Städte: Ein holistischer und kooperativer Ansatz

75 Prozent der europäischen Bevölkerung leben in städtischen Gebieten. Damit tragen Städte erheblich zur Belastung der Umwelt bei. Doch es gibt eine vielversprechende Lösung: die Entwicklung hin zu Kreislaufstädten. Was diese auszeichnet und welche Beispiele es bereits gibt, zeigt dieser Beitrag.

Nach den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft (Circular Economy, kurz CE) entwickeln sich Kreislaufstädte wie lebende Organismen. Sie beseitigen Abfall, halten Güter und Materialien in Gebrauch, regenerieren natürliche Systeme und erhöhen die Lebensqualität. Dies erfordert jedoch einen Paradigmenwechsel bei allen beteiligten Akteuren und einen anderen Ansatz in der Governance. In der EU wird hierfür als Leitfaden das Circular-Economy-Centric-Quintuple-Helix-Modell herangezogen.

Circular-Economy-Centric-Quintuple-Helix-Modell

Das Modell fördert die Zusammenarbeit von Industrie, Wissenschaft, Politik beziehungsweise Regierung und Zivilgesellschaft, stärkt die Innovationskraft und ermöglicht die gemeinsame Entwicklung nachhaltiger Lösungen. Dabei werden soziale Bedürfnisse berücksichtigt, politische Unterstützung geschaffen und innovative Technologien durch Forschung vorangetrieben. Es werden die Stärken verschiedener Akteure kombiniert, um positive Veränderungen zu fördern und eine zirkuläre Stadtentwicklung zu ermöglichen.

Die Europäische Kommission schätzt, dass die Anwendung der CE-Prinzipien das EU-BIP bis 2030 um 0,5 Prozent steigern könnte (77 Milliarden Euro) und etwa 700.000 neue Arbeitsplätze schaffen würde. Aber wie können wir diese Gelegenheit nutzen?

Herausforderungen in Chancen verwandeln

In einer zirkulären Welt inspirieren uns Herausforderungen, neue Systeme zu schaffen, die die alten obsolet machen. Hier einige Szenarien für Innovation und Transformation:

Gebaute Umwelt:
Der Bausektor ist für über 35 Prozent der Gesamt-Abfallproduktion der EU verantwortlich. Die CE strebt an, den Abfall aus Abrissmaterialien wiederzuverwerten. München ist hier ein hervorragendes Vorbild. Unter dem von der EU geförderten Projekt URBACT verwandelt die Stadt das ehemalige Militärgebiet 'Bayernkaserne' in eine nachhaltige, bezahlbare Wohngegend (Neufreimann). In Kopenhagen gibt es ein faszinierendes Beispiel für kreislauforientierte Stadtentwicklung: Das Amager-Copenhill-Projekt. Hier wurde ein ehemaliges Kohlekraftwerk in ein innovatives Biomasse- und Waste-to-Energy-Heizkraftwerk umgewandelt, das nicht nur saubere Energie liefert, sondern auch als öffentliches Naherholungsgebiet dient. Die Bürger können das Gelände für Freizeitaktivitäten nutzen, zum Beispiel Skifahren auf einer trockenen Skipiste, Wandern entlang malerischer Wege und Klettern an spektakulären Wänden. Diese ungewöhnliche Kombination aus Umweltschutz und Freizeitspaß zeigt, wie Städte weltweit kreative Lösungen finden, um die Lebensqualität ihrer Bewohner zu verbessern und gleichzeitig den ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Amager-Copenhill ist ein faszinierendes Beispiel für die Zukunft nachhaltiger Stadtplanung und ermutigt andere Städte, ähnliche, innovative Projekte zu realisieren.

Copenhill Kletterwand

Governance:
Die Stadt- und Landesverwaltung kann den Übergang mit geeigneten Gesetzen und Vorschriften unterstützen. Die öffentliche Beschaffung kann die Nachfrage nach zirkulären Innovationen ankurbeln und ein leichter Zugang von Bürgerbeteiligung am städtischen Planungsprozess einen Wissenstransfer in die Planung ermöglichen.

Lebensmittelsysteme:
Die Unterbrechung von Lieferketten, wie während der Pandemie, motivierten viele Städte, Selbstversorger-Zentren zu werden, indem sie ihre Lieferketten umgestalten und lokale Produktion fördern.

Bürger:
Mobilität, Wohnen und Ernährung tragen zu fast 70 Prozent der globalen Emissionen bei. Da viele Bürger oft nicht über die Vorteile der Kreislaufwirtschaft informiert sind, haben angehende zirkuläre Städte die Möglichkeit, das Bewusstsein zu schärfen, Bewohner zu befähigen und sie an Aktivitäten wie Wiederverwendung, Reparatur und Sharing zu beteiligen.

Europäische Städte, die unsere zirkuläre Zukunft inspirieren

Der europäische Überblick über aufstrebende zirkuläre Städte ist vielversprechend und vielfältig. Viele Städte inspirieren bereits ihre globalen Partnerstädte:

  • Amsterdam, der Vorreiter: Amsterdam war 2015 die erste Stadt der Welt, die eine Studie über die Möglichkeiten einer Kreislaufwirtschaft in Auftrag gab. Seitdem haben 20 von 27 Mitgliedstaaten der EU nationale CE-Strategien und Konzepte.
  • Mailand, der Biowaste-Champion: Mailands CE-Vision zielt darauf ab, Lebensmittel- und Marktregularien zu beeinflussen. Food Market 4.0 konzentriert sich darauf, traditionelle Lebensmittel Marktplätze an die Lebensweise engagierter Bürger anzupassen und sie durch Co-Creation, Co-Design-Prozesse und demokratisierte technologische Fortschritte zu verbinden.
  • Prag, der König der Wiederverwendung: Die Stadt Prag hat die CE und Klimaschutz in den Mittelpunkt ihrer Planung gestellt. In der gesamten Stadt wurden mehrere Wiederverwendung Zentren eröffnet, in denen Bürger Gegenstände abgeben können, die sie nicht mehr benötigen.
  • Valladolid, der Enabler: die Stadt ist seit 2017 in der CE aktiv. Es wurde ein großes Subventionsprogramm gestartet, das mehr als 100 Projekte unterstützt, die kreislauforientierte Arbeitsplätze schaffen, lokale kreislauforientierte Multi-Stakeholder Gemeinschaften aufbauen und die Befähigung der Bürger zur Teilnahme verstärken.

Ein Beispiel aus Deutschland: Wie zirkulär ist München?

Bis 2035 soll München klimaneutral werden und in der Lage sein, mit den Herausforderungen des Klimawandels umzugehen. Die Kreislaufwirtschaft spielt dabei eine wichtige Rolle und ist als eines von sieben Handlungsfeldern in der Münchner Klima-Satzung verankert. Die Stadtverwaltung München beteiligt sich aktiv an der Circular Cities Region Initiative Europa und fungiert als Pilotstadt für diese wegweisende Initiative. München strebt auch die Zertifizierung als Zero-Waste-Stadt an.

Munich Circular City


Die Wandlung Münchens zu einer zirkulären Stadt erfordert Bottom-up-Initiativen und das Engagement der Bürgerinnen und Bürger Hier kommen Organisationen wie rehab republic, Circular Munich und CIRCULAR REPUBLIC ins Spiel, die durch Bildungs- und Stellvertreter-Arbeit das Bewusstsein schärfen und die Bürgerinnen und Bürger mobilisieren.

Ein weiterer wichtiger Schritt auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft in München ist die Entwicklung der „Circular Munich-Ökosystem Karte“. Das Projekt macht bereits über 70 kreislauffähige Initiativen und Akteure in München sichtbar.

Die Startup-Szene in München spielt hier eine herausragende Rolle. Deutschland ist innerhalb Europas das Land mit den meisten Start-ups im Bereich Kreislaufwirtschaft, und München führt mit 49 Start-ups. Diese Start-ups bringen innovative Lösungen und Geschäftsmodelle hervor, die die Kreislaufwirtschaft vorantreiben. Der bevorstehende Start des ersten Munich Circularity Gap Reports wird ein Meilenstein für die Stadt sein. Dieser Bericht wird den Stand der Kreislaufwirtschaft in München messen und spezifische Maßnahmen in Schlüsselsektoren identifizieren, um einen wirkungsvollen Übergang zur Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen.

Die Städte von morgen

Städte haben die Kraft, unsere Weltgesellschaft durch den positiven Fußabdruck ihrer Bürger zu gestalten. Da Stadtbewohner sich nur um Wohlbefinden und Chancen kümmern, werden die Städte von morgen keine Präfixe wie zirkulär, abfallfrei, intelligent oder inklusiv tragen. Urbane Zentren werden selbstversorgend und widerstandsfähig sein und somit das Ergebnis hoch engagierter „Prosumer“-Bürger sein.

Technologien wie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) können uns helfen, das Leben in der Stadt zu verbessern, wenn sie mit einem menschzentrierten Design gekoppelt sind, die auf Lebensqualität, Engagement für den Naturschutz und Gemeinschaftssinn beruht.

Eine neue Erzählung von Überfluss (statt Knappheit) und eine neue Geschichte, die auf Ermächtigung (statt Angst vor dem Klimawandel) basiert, könnten Katalysatoren für eine echte menschliche und systemische Transformation sein. Kollaboration und Selbstreflexion sind erforderlich!


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Über die Autorinnen

Paula Mertens hat bei Circular Munich die Digitale Plattform „Knowledge Hub“ gebaut, die Education & Outreach Circle mitinitiiert und ist Teil des Organisationsteams der Circular City Challenge und leitet die Umsetzung des Projekts in München. Sie ist eine vielseitige Ingenieurin, zertifizierte Design Thinking-Expertin, Lean Change Agent und Scrum Masterin und kombiniert technisches Fachwissen und betriebliche Kompetenz. Neben einem MSc in Prozess-, Energie- und Umweltsystemen von der TU Berlin und einem MBA in Digitaler Transformation und Business Agility verfügt Paula über mehr als 15 Jahre internationale Erfahrung in Start-ups und großen Unternehmen der chemischen und biotechnologischen Industrie.

Margarita Cejudo-Perdomo ist Mitbegründerin und ein Mitglied des Kernteams von Circular Munich, wo sie den Education & Outreach Circle mitinitiierte, das Pioneer Circle Project ins Leben rief, den Good Food Circle leitet und für die CM-Kommunikation verantwortlich ist. Sie hatte nach ihrem Studium in England und Finnland die meiste Zeit ihres Berufslebens in Dubai verbracht, wo sie mit ihrem eigenen Consulting-Unternehmen die Ehre hatte, für die königliche Familie der Vereinigten Arabischen Emirate tätig zu sein. Als Redakteurin schrieb sie für das Kultur- und Lifestyle-Medium Madame Magazine.

Schlagworte zum Thema:  Kreislaufwirtschaft, Stadtentwicklung