Dipl.-Psych. Julia Scharnhorst, Manfred Nedler
Die Gespräche mit den Beschäftigten dauern – wiederum je nach verwendetem Gesprächsleitfaden – ungefähr 75 bis 90 Minuten. Es bietet sich an, sie in einem Abstand von 90 Minuten zu planen. So bleibt ein kleiner Puffer zwischen den Gesprächen.
Zu Beginn des Gespräches gilt es, Vertrauen aufzubauen. Es kann nicht schaden, noch einmal den vertraulichen Umgang mit den persönlichen Aussagen zu bekräftigen, auch wenn dieser bereits in der Informationsveranstaltung zugesagt wurde. Dem kann sich die Frage anschließen: "Haben Sie noch eine Frage zum Vorgehen?". Häufig wird dann nach den weiteren Umsetzungsschritten gefragt. Erläutern Sie den vereinbarten Prozess: Wer bekommt wann den Bericht? Wer entscheidet über Maßnahmen? Wann und wie werden die Mitarbeitenden über die Ergebnisse und Planungen informiert?
Auf der Grundlage der in der Orientierungsphase gewonnenen Kenntnisse über Aufgaben und Abläufe in dem Arbeitsbereich, erörtert der Untersuchende dann die Arbeitstätigkeiten des Beschäftigten, z. B. zunächst als Betrachtung eines "typischen" Arbeitstages: "Wann beginnen Sie morgens mit Ihrer Arbeit? Was tun Sie als Erstes? Und dann? …". Anschließend werden anhand des Interviewleitfadens die wahrgenommenen Belastungen und Beanspruchungen erörtert.
Wie in Abschn. 2.6 beispielhaft erläutert, geht es nicht darum, lediglich Fragen zu stellen und die Antworten aufzuschreiben. Vielmehr besteht die Herausforderung darin, die Aussagen des Beschäftigten auf Stimmigkeit und Plausibilität zu hinterfragen. Passen dessen Aussagen und Einschätzungen zu den bisher gewonnenen Erkenntnissen? Worauf beruhen die Einschätzungen des Beschäftigten, z. B. hinsichtlich einer wahrgenommenen Fehlbeanspruchung? Neigt der Gesprächspartner generell zu einer hohen "Klagsamkeit"? Neigt er dazu, alles hinzunehmen, wie es ist? Wirkt er sehr vorsichtig hinsichtlich seiner Äußerungen? Zeigt er differenziertes, kritisches und selbstkritisches Denken? Oder neigt er eher zu pauschalen Urteilen?
Der Untersuchende wird letztendlich aufgrund dieses unterschiedlichen Reflexionsvermögens seiner Gesprächspartner manchen Aussagen ein größeres Gewicht geben als anderen. Insgesamt trägt aber jedes Gespräch dazu bei, ein noch etwas umfangreicheres, detaillierteres und verlässlicheres Bild von der Arbeitssituation zu erhalten.
Jedes Gespräch ist einzigartig
Das Vorgehen nach einem festen Interviewleitfaden garantiert eine einheitliche Struktur der Gespräche. Die Orientierung an dem Leitfaden gewährleistet, dass alle wichtigen Fragestellungen erörtert werden. Jedoch bilden die Fragen des Leitfadens immer nur den Einstieg in einen – mal kürzeren und mal längeren – sehr individuellen Gesprächsabschnitt zu einem bestimmten Thema.
Sind die beschriebenen Arbeitsbedingungen dem Untersuchenden bereits aus anderen Gesprächen bekannt und hat er hierzu schon eine Einschätzung, stellt er gleich die nächste Frage. Berührt eine Aussage jedoch völlig neue Aspekte bzw. Ansichten oder betrifft sie Themen, zu denen der Untersuchende noch keine Einschätzung entwickeln konnte, so wird er hier sehr genau nachfragen. Wichtig ist auch die Beachtung von Körperreaktionen. Auch ohne psychologische Ausbildung nimmt der aufmerksame Untersuchende wahr, wenn der Gesprächspartner seinen Tonfall ändert, im Gesicht blass oder rot wird oder wenn er körperlich unruhig auf eine Frage reagiert.