Präsentismus im Krankheitsfall: Kritisches Ausmaß eines unterschätzten Phänomens bestätigt

Die Bereitschaft von Beschäftigten, jederzeit, auch erkrankt, am Arbeitsplatz zu erscheinen, bezeichnet die Arbeitspsychologie als Präsentismus. Dieses Phänomen ist in erster Hinsicht ein Problem für die Gesundheit der Beschäftigten, hat aber auch starke volks- und betriebswirtschaftliche Auswirkungen. Wie diverse US-Studien in den vergangenen zehn Jahren gezeigt haben, sind zumindest in den USA die Kosten, die durch Präsentismus entstehen, mindestens so hoch wie die durch krankheitsbedingte Fehlzeiten. Ähnliche Zahlen nimmt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) auch für Deutschland an.
Frauen eher von Präsentismus betroffen
Laut der aktuellen Studie der Techniker Krankenkasse (TK) "Präsentismus in einer zunehmend mobilen Arbeitswelt", für die das Institut für betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) 1.233 Beschäftigte im Mai 2022 befragte, gehen 51 Prozent der Beschäftigten manchmal, häufig oder sehr häufig krank zur Arbeit, mehr als ein Viertel (26,6 Prozent) häufig oder sehr häufig. Lediglich 17 Prozent gaben an, immer zu Hause zu bleiben, wenn sie krank sind. Oft wird sogar zu Medikamenten gegriffen, um arbeiten zu können. Bei den Führungskräften tut das mehr als jeder bzw. jede Fünfte häufig (21 Prozent), bei den Beschäftigten ohne Führungsverantwortung sind es immer noch 16 Prozent. Frauen neigen der im Herbst 2022 veröffentlichten Studie zufolge eher zu Präsentismus als ihre männlichen Kollegen. Denn 46,6 Prozent der Männer gehen bei Krankheit selten oder nie krank zu arbeiten, während es bei Frauen nur 35,9 Prozent sind.
Gründe für Präsentismus
Zeitgleich zur Studie der Techniker Krankenkasse stellte in Österreich die Arbeiterkammer Wien eine Studie zum Präsentismus vor, welche die Antworten von 6.506 Arbeitnehmenden verarbeitete. Der Befragung zufolge haben sich 90 Prozent bereits einmal dazu entschlossen, krank zur Arbeit zu gehen. Die Studie fragte auch nach den Gründen für den Präsentismus. Beschäftigte gehen ihr zufolge nicht etwa aus Nachlässigkeit oder aus Spaß an der Arbeit krank arbeiten, sondern vorrangig, weil sie unter enormem Druck stehen - entweder direkt durch die Arbeitgeber oder weil eine Vertretung fehlt, die während des Krankenstandes die Arbeiten übernehmen könnte. Das macht es für Beschäftigte oft schwierig, sich die Zeit zu nehmen, die sie brauchen, um ganz gesund zu werden. Jeder vierte Arbeitnehmer hat Angst, durch Fernbleiben aufgrund von Krankheit den Job zu verlieren. Diese Sorge wird am häufigsten im Hotel- und Gastgewerbe genannt, gefolgt von Transport und Verkehr.
Pandemie verstärkte Trend zum Präsentismus
Die Studie der Techniker Krankenkasse geht davon aus, dass die Entwicklungen infolge der Coronapandemie den Trend zum Präsentismus verschärfen. Zwei Drittel der Befragten der Studie arbeiten mindestens einen Tag in der Woche im Homeoffice, ein Drittel nie. 46 Prozent gaben an, dass es im Homeoffice häufiger vorkommt, dass sie arbeiten, obwohl sie sich krank fühlen. Zwölf Prozent arbeiten dort häufig oder sehr häufig, obwohl sie krankgeschrieben sind, und 30 Prozent greifen im Homeoffice sogar häufig oder sehr häufig zu Medikamenten, um arbeiten zu können. Im Homeoffice, so die Techniker Krankenkasse, sei die Schwelle viel kleiner geworden, doch zu arbeiten, da die Arbeitnehmer dort nochmal mehr der Eigenverantwortung überlassen werden. Führungskräfte wiederum hätten den Gesundheitszustand der Mitarbeitenden im Homeoffice weniger gut im Blick.
Keine klaren Regeln
Die Befragung zeigt auch, dass sich die Beschäftigten klare Ansagen und Regeln von ihren Führungskräften für den Krankheitsfall wünschen – unter anderem, wie ihre Arbeit durch die Kollegen und Kolleginnen unproblematisch und schnell übernommen werden kann. Über die Hälfte der Befragten wünschten auch eine klare Vereinbarung, wie sie sich im Homeoffice bei Krankheit verhalten sollen. Zu allen diesen Themen gibt es eindeutig Nachholbedarf, denn 65 Prozent der Befragten hatten noch nie mit ihrem Arbeitgeber darüber gesprochen.
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