Das Interview führten Tobias Steinhauser, Principal und Head of R&D, Procurement & Supplier Management bei Horváth in München, und Dr. Peter Schentler, Partner und Head of Controlling & Finance Österreich bei Horváth in Wien.
Das Interview ist entnommen aus. Klein/Schentler, Einkaufscontrolling, 2. Aufl. 2022.
Sie haben den Trend Data Analytics erwähnt. Was erwarten Sie sich hier und wie verändert das den Einkauf der Zukunft?
Reiß: Kenntnisse über Einkaufsmethoden und -prozesse und Verhandlungsgeschick sind Basisvoraussetzungen für gute Einkäufer; in der Vergangenheit, heute, in Zukunft. Neben einer Begeisterung und Talent für diese Themen muss das entsprechend geschult werden; ich habe in der Vergangenheit selbst Trainings dazu gegeben.
Aber ich bin davon überzeugt, dass 80% des Verhandlungserfolgs in der Vorbereitung liegt; Tendenz steigend. Alles, was im Verhandlungsgespräch geschieht, bedarf sehr viel Vorbereitung. Und Data Analytics ist ein wesentlicher Teil, um den Einkäufer optimal auf das Gespräch vorzubereiten und bereits davor die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wie entwickeln sich Rohstoffpreise? Wann macht es Sinn auszuschreiben? In welcher Region? Wie sollten wir Länder zusammenführen? Wo macht es Sinn lokal zu sourcen? Wir müssen in Zukunft hier noch stärker datenbasiert als heute sein, und auf fundierte Informationen zurückgreifen, statt solche Entscheidungen aus dem Bauch heraus zu treffen.
Für mich stellt sich die Frage, ob wir bereits alle Daten haben, die wir benötigen. Data Analytics ist hier ein Schlüsselfaktor. Wir arbeiten daran Markt- und Supplier-Informationen bereitzustellen und mit den Spend-Daten zu verknüpfen. Wichtig ist hier granularer und tiefer zu gehen als nur auf Kategorien und Subkategorien. Darüber hinaus möchten wir das Bild mit externen Daten anreichern, beispielsweise in Richtung Risikomanagement und Nachhaltigkeitsaspekten wie Ecovadis. Ziel ist es, ein umfassendes Bild des Lieferanten im Markt zu schaffen. Hier haben wir noch Defizite, die Analysemöglichkeiten sind noch nicht tief und umfassend genug.
Sie rollen derzeit ein eProcurement-System weltweit aus, welche Ziele verfolgen Sie damit?
Reiß: Eines unserer strategischen Ziele ist eine weltweit einheitliche Procure-to-Pay-Lösung und entsprechend harmonisierte Prozesse. Mit Stand heute konnten wir sie bereits in 20 Ländern ausrollen. Nächstes Jahr folgen weitere 20 Länder, danach nochmals 15. Damit schaffen wir gruppenweit ein neues Level an Systemunterstützung und Automatisierung, auf das wir in Zukunft weiter aufbauen und weiter optimieren können. Wir ergänzen laufend größere und kleinere Add-ons, um neben Effizienz auch Kostenersparnisse zu erzielen.
Dazu ein konkretes Beispiel: Wir haben kürzlich eine Task Force zu Invoice-Reconciliation-Prozessen ins Leben gerufen, da wir hier hohe Potenziale identifiziert haben. Und die aus dieser Task Force resultierenden Änderungen können wir nun für 20 Länder und tausende Purchase Requisitions auf einmal ausrollen. Früher hätten wir das Thema 20-mal anfassen und 20 Projekte starten müssen, anstatt einen globalen Standardprozess als Hebel zu haben. Damit sind wir in der Umsetzung und Schulung viel effizienter und spüren zum ersten Mal den Vorteil der Standardisierung.
E-Auctions sind ein Beispiel für weitere Digitalisierungsmöglichkeiten, bei denen ich ein großes Kostenpotenzial sehe. Das wird eines unserer nächsten Themen sein. Um aber überhaupt in der Lage zu sein, das effektiv und effizient durchzuführen, braucht man entsprechende Standards, gute Prozesse und Transparenz.
Wie schafft es DB Schenker den Veränderungsprozess so zu gestalten, dass ein einheitlicher Prozess und ein einheitliches Tool in 55 Ländern implementiert werden können, und bereits kurzfristig erste Vorteile sichtbar werden?
Reiß: Ein solches globales Standardisierungsprojekt ist keine einfache Aufgabe, da sich lokale Einheiten von historisch gewachsenen und gut bekannten Systemen und Prozessen lösen müssen. Und dafür ist natürlich viel Change notwendig. Die Antwort auf Ihre Frage ist deshalb relativ umfassend, da wir zahlreiche Aktivitäten setzen, die sich gegenseitig ergänzen.
Zu Beginn haben wir eine Vision gezeigt und den Beteiligten erklärt, was wir vorhaben und warum wir ein standardisiertes Tool und einheitliche Prozesse einführen wollen. Im Zuge dessen haben wir auch reinen Wein eingeschenkt, d.h. tatsächlich Vor- und Nachteile für die einzelnen Länder dargestellt. Es war uns klar, dass Standardisierung und die Ablöse lokaler spezifischer Lösungen und eingespielter Prozesse immer „mit Schmerzen verbunden ist“, und nicht alles von Beginn an optimal funktionieren wird. Aber wir haben klar gesagt, dass die Vorteile überwiegen, und wir damit den Einkauf auf die Zukunft ausrichten werden. Ziel dieser Diskussionen und Vorstellungen war die Procurement Community zusammenzuführen und die handelnden Personen einzubinden und auf die Reise mitzunehmen.
Basierend auf unserer Zielsetzung haben wir den Kernprozess in Arbeitsgruppen strukturiert, Ergebnisse vorgestellt und in Sounding Boards gespiegelt. Darauf aufbauend haben wir Prozesse angepasst, die gemeinsame Optimierung stand im Vordergrund. Es ging uns insbesondere darum unseren Ländern nicht das Gefühl zu vermitteln, dass ein Tool aus dem Head Office kommt, sondern dass es ein gemeinsames Einkaufstool ist, das allen von uns Vorteile bringt – im Sinne eines „One Procurement“. Und diese gemeinsame Verantwortung für das Tool ist aus meiner Sicht ein wesentlicher Erfolgsfaktor.
Eng damit im Zusammenhang steht, dass wir die Länder ernst nehmen und ihre Anforderungen aufnehmen. Obwohl wir bereits einen Standard implementiert und ausgerollt haben, haben wir einen Continuous Improvement Process aufgesetzt. Ein Change Advisory Board trifft sich wöchentlich, um vorgeschlagene Änderungen fachlich, technisch und wirtschaftlich zu bewerten, und – wenn sinnvoll – umzusetzen. Wir sind damit sehr schnell, was Änderungen angeht. Einmal im Monat gibt es ein E-Procurement-Userforum. Alle Länder, die bereits live sind, sind eingeladen. In diesem Forum stellen wir auf der einen Seite vor, welche Neuerungen es gibt und wo wir bei bestimmten Themen stehen. Auf der anderen Seite kann jedes Land Feedback geben, was gut und was weniger gut funktioniert. Es ist schön zu sehen, dass dadurch die Zusammenarbeit zwischen den Ländern immer stärker wird, und sich Netzwerke bilden. Darüber hinaus bieten wir viel Support durch unser globales Team an: Wir helfen bei Fragen, stellen ein Category Playbook zur Verfügung, in dem verschiedene Use Cases aufgeführt sind, und geben Empfehlungen für Buying-Channels.
Trotz dieser Involvierung der Einheiten und dem Support darf man aber nicht übersehen, dass die Nutzung des Tools und der Prozesse verpflichtend ist. Wir prüfen fortlaufend die Adoption Rate. Unsere Zielsetzung ist, dass wir 12 Monate nach Go-live mindestens 80% des Spends im System haben. Das ist ein ambitioniertes Ziel, dafür machen wir wöchentliche Follow-ups. Einmal im Monat haben wir einen Report, der auf Management-Ebene verteilt wird, und einmal im Quartal ein SteerCo, in dem die verschiedenen Länder eingeladen sind, um zu zeigen, wo sie stehen, und warum sie dort stehen.
Wir haben sowohl über Digitalisierung als auch über Nachhaltigkeit gesprochen. Beides ist intern einfacher voranzutreiben als über Unternehmensgrenzen hinweg. Wie binden Sie kleinere Lieferanten ein, die noch Nachholbedarf in der Digitalisierung haben, oder die für Nachhaltigkeit notwendigen Informationen schwerer bereitstellen können?
Reiß: Wir wollen verstärkt Module oder Plattformen einkaufen und weniger Einzelleistungen einkaufen, darüber hinaus fokussieren wir auf das Thema Bündelung. Wir bauen auch bewusst Partnerschaften auf und erweitern diese, um „robuste Lieferanten“ zu schaffen. Das ist durchaus ein Paradigmenwechsel für DB Schenker. Ohne es negativ zu meinen, aber in der Vergangenheit haben wir ungern von Partnerschaften gesprochen, sondern versucht einen Lieferanten als Lieferanten zu betrachten und diesen immer von einer neutralen und sachlichen Ebene aus zu bewerten, ohne uns zu viel zu binden.
Nichtsdestotrotz darf man nicht vergessen, dass man immer Lieferanten haben wird, die nicht oder nur schwer anbindbar sind, und die die benötigten Daten nicht liefern können. Aber wenn wir mit den größeren Lieferanten einen Großteil des Spends abdecken können, haben wir eine gute Basis, um zu erweitern. Diesen Weg gehen wir.
Auch im Hinblick auf die eingangs im Interview angesprochene Anspannung der Lieferketten und höheren Flexibilitätsbedarfen helfen uns Partnerschaften. Das macht uns robuster, zum Beispiel bezüglich des aktuellen Chipmangels oder bei der Beschaffung der notwendigen Frachtkapazitäten. Die Vorteile überwiegen hier die Risiken.
Lesen Sie in Kürze: Kennzahlen, Kompetenzen und Kooperation als Erfolgsfaktoren im Einkaufscontrolling