Den ControllerPreis 2015 gewann ein Controllerteam der RWE AG in Essen. Das Projektteam hatte den Einfluss von „Biases“ – gedanklichen Vereinfachungen – auf Entscheidungen untersucht und Instrumente zur Verbesserung der Entscheidungsqualität entwickelt. Die Jury würdigte besonders den innovativen Veränderungsansatz im Rahmen des verhaltensorientierten Controllings. Der Preis wurde auf dem Congress der Controller am 20. April in München verliehen.

Biases beeinflussen das Verhalten von Managern und Controllern

Biases kommen überall, auch in allen Controllingprozessen, vor und beeinflussen das Verhalten von Managern und Controllern gleichermaßen. Dessen müssen sich Controller bewusst sein. Obwohl in der Wissenschaft ein breiter Konsens über die Existenz von Biases besteht, sind Lösungsvorschläge bisher nur vereinzelt verfügbar. Die Schaffung eines Problembewusstseins gilt als erster Schritt des Lösungswegs. Insofern, so Prof. Jürgen Weber, Vorsitzender von Jury und ICV-Kuratorium in seiner Laudatio, ist die Lösung des ControllerPreis-Trägers 2015 für die Controlling-Community von großer Bedeutung.

Fehlinvestitionen trotz lehrbuchmäßiger Wirtschaftlichkeitsrechnungen

In dem Projekt wurden verhaltensorientierte Erkenntnisse auf Entscheidungsprozesse für Großinvestitionen übertragen und konkrete Verbesserungsmaßnahmen erarbeitet. Auslöser des Projektes war die Erkenntnis, dass zahlreiche Investitionen trotz bester Rechenverfahren in der Planungsphase „deutlich hinter den Erwartungen blieben“. Neben erheblich veränderten Rahmenbedingungen wie der Strompreisentwicklung und Regulierungseingriffen waren die Verluste auch auf Projektverzögerungen und Budget-Überschreitungen zurückzuführen. Die Ursachenanalyse und Erarbeitung sowie Implementierung von Maßnahmen für die Verbesserung zukünftiger Entscheidungen standen im Mittelpunkt.

Grundlage für die Untersuchungen war das Konzept der so genannten „cognitive biases“, d. h. „Abkürzungen“ bzw. „gedankliche Vereinfachungen“ bei der Entscheidungsfindung, die zu schlechten Entscheidungen führen können.

Grundlagen für bessere Entscheidungen legen
Auch im jetzt ausgezeichneten RWE-Projekt spielt die Erkenntnis eine entscheidende Rolle, dass sich Biases als Teil der menschlichen Denkweise zwar nicht abstellen lassen, aber das Bewusstsein für deren Existenz und ihre Auswirkungen eine wichtige Grundlage für bessere Entscheidungen ist.

Das Projektteam, bestehend aus Dr. Peter Scherpereel, Julian Gaul, Jan Lozek und Diana Rauhut, hat zunächst anhand von Musterprojekten analysiert, welche Biases im RWE-Konzern besonders relevant sind. Danach wurden mit Beteiligung des Top-Managements Techniken zur Verringerung der Auswirkungen von Biases entwickelt.

Ursachen: Von Ankerheuristik bis Sunflower Management
Dabei wurden verschiedene Typen von Biases identifiziert (s. Abb. 1 in der Bilderserie):

  • Erkennen von Mustern im Entscheidungsprozess
    Beispiel: Es werden die Argumente überbewertet, die die eigene Meinung stärken.
  • Handlungsorientierte Biases
    Beispiel: Die eigenen Möglichkeiten werden über-, Risiken unterschätzt (Over-Confidence).
  • Stabilitätsbezogene Biases
    Beispiel: Ankerheuristik: Es  werden die Daten und Argumente überbewertet, die zuerst genannt werden.
  • Soziale Biases
    Beispiel Sunflower Management: Die Mitarbeiter (Sonnenblumen) richten sich automatisch (in vorauseilendem Gehorsam) bei der Bewertung von Projekten nach der Sonne, der – teils nur angenommenen – Haltung der Geschäftsführung aus.
  • Interessenbedingte Biases
    Beispiel: Die Entscheider sind selbst von der Entscheidung betroffen.

Gegenmaßnahmen: Vom "Advokat des Teufels" bis zur "Pre-Mortem-Sitzung"

Zu jedem Bias-Typ wurden entsprechende Gegenmaßnahmen erarbeitet (s. Abb. 2 in der Bilderserie):

  • Erkennen von Mustern im Entscheidungsprozess:
    Beispiel: In Pre-Mortem-Sitzungen versetzt man sich einige Jahre in die Zukunft und diskutiert, warum ein Projekt gescheitert ist.
  • Handlungsorientierte Biases
    Beispiel: Unabhängige Gutachten sollen Risiken transparent machen.
  • Stabilitätsbezogene Biases
    Beispiel Grüner-Wiese-Ansatz: Häufig werden Investitionsbudgets wie in der Vergangenheit auf die Bereiche verteilt. Beim Grüner-Wiese-Ansatz wird überlegt, wie die Verteilung entsprechend der Rentabilitätserwartungen optimal verteilt werden kann.
  • Soziale Biases
    Beispiel "Advokat des Teufels": Ein Mitarbeiter, dessen Funktion klar kommuniziert wird, argumentiert gegen einen Entscheidungsvorschlag .
  • Interessenbedingte Biases
    Beispiel: Entscheidungskriterien vorab festlegen, Checklisten einsetzen.

Speak-Up-Mentalität steht im Zentrum von Trainings und Kommunikation
Um Management und Mitarbeiter im Konzern mit dem Thema vertraut zu machen, wurden spezielle Workshops zum Thema Biases entwickelt. Mittlerweile wird bei jeder Entscheidungsfindung festgehalten, welche Techniken zur Verringerung von Biases angewendet wurden. Neben der Implementierung struktureller Maßnahmen zählt der Kulturwandel der offenen Aussprache bei kritischen Themen zu den wichtigsten Ergebnissen. Zukünftig wird besonders die Speak-Up-Mentalität gefordert, so Dr. Scherpereel in seiner Projektpräsentation. Die Beteiligten sollten offen ihre Bedenken äußern – und zwar VOR der Entscheidung.

Ein ausführlicher Bericht erscheint im kommenden Sonderheft „Investitions-Controlling“ der Controlling & Management Review (Veröffentlichungstermin 15.07.2015, abrufbar unter www.springer.com).


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