Wie AUDI die Herausforderung Elektrifizierung erfolgreich bewältigen will


Für die Automobilindustrie ist die Elektromobilität Chance und Gefahr zugleich. AUDI hat sich viel Zeit beim Einstieg gelassen. Dr. Stefan Niemand erklärt die Gründe und erläutert, wie das Unternehmen jetzt Vollgas geben will.

Die Elektrifizierung stellt für die Automobilindustrie die größte Herausforderung seit der Einführung des Verbrennungsmotors im Jahre 1885 dar. Dr. Stefan Niemand, Leiter des Bereiches Elektrifizierung bei der AUDI AG, präsentiert eine Momentaufnahme des Wandlungsprozesses seines Unternehmens und spricht dabei sinnbildlich von einem Boxenstopp.

Die deutsche Automobilbranche wird zum Umdenken gezwungen

Lange Zeit hat die Automobilindustrie in Deutschland den Wandel hin zur Elektromobilität kritisch gesehen. Angesichts der aktuell noch ca. dreimal so hohen Kosten für einen Elektroantrieb verglichen mit einem herkömmlichen Verbrennungsmotor sei dies keine große Überraschung, findet Dr. Stefan Niemand. In den letzten Jahren haben jedoch einige Faktoren zu einem Umdenken beim Thema Elektromobilität geführt: Zum einen habe sich ein globales Nachhaltigkeitsbewusstsein entwickelt sowie Grenzen bei Verbrennungstechnologien aufgetan. Ausschlaggebend für das Umdenken waren aber vor allem gesetzliche Rahmenbedingungen, welche die Hersteller zu Investitionen in die Elektrifizierung ihrer Flotte gezwungen haben. Der Verbrennungsmotor alleine sei für ein langfristiges Erreichen der CO2-Ziele keine Alternative, stellt Dr. Niemand fest. 

Man muss Übergänge schaffen, um den Wandel zu überleben“, 

merkt der AUDI-Leiter für Elektrifizierung bezüglich der Entwicklung vom Verbrennungs- zum Elektromotor an. CO2-Lücken in den Weltmärkten drängen die Hersteller zum Verkauf von teuer zu produzierenden elektrischen Modellen, Gesetze in den USA sehen im Extremfall den Rückkauf nicht konformer Modelle vor. Das ist ein unternehmerischer Super-GAU, der sogar führende Automobilhersteller in die Insolvenz treiben könnte.

Elektrifizierung stieß auf Skepsis

Wichtige Vordenker im Unternehmen erkannten früh, dass die Elektrifizierung der AUDI-Flotte unumgänglich ist. Im Unternehmen stieß diese Ansicht auf gemischte Reaktionen – auch erhebliche Gegenreaktionen waren zu verzeichnen. Eine solch umfassende Umstellung intern anzutreiben sei definitiv kein Selbstläufer, meint Dr. Niemand. Man müsse nicht nur die Ablehner in den Griff bekommen und mit Fakten überzeugen, sondern auch die Begeisterten bändigen. AUDI wurde aber nicht nur der vergleichsweise späte Eintritt in die Elektromobilität vorgeworfen. Auch für das Fehlen einer klaren Linie durch die Modellvielfalt mit verschiedenen Antriebstechnologien mussten die Ingolstädter Kritik einstecken. 

Wir hatten keine Erfahrungswerte, also haben wir ausprobiert" 

erklärt er und fügt hinzu, dass man bei solch einer Veränderung auch mal in eine Sackgasse müsse laufen dürfen. Dies sei für die Eroberung zukünftiger Märkte elementar, aber in etablierten Industrien alles andere als selbstverständlich.

Der richtige Zeitpunkt für den Einstieg in die Elektromobilität

Wann hätten deutsche Automobilhersteller auf elektrische Fahrzeuge setzen sollen? Dafür gibt es laut Dr. Stefan Niemand kein Patentrezept. Allerdings verweist er auf das typische Auftreten eines Erwartungshypes, der beim Ausmachen des richtigen Zeitpunktes beachtet werden sollte (s. Abb. 2). So wurde AUDI zwar oft als Nachzügler im Rahmen der Elektromobilität gehandelt, doch aus Niemands Sicht hat das Unternehmen genau den richtigen Einstiegszeitpunkt erwischt. Im Gegensatz dazu sei der Konkurrent BMW, welcher schon 2013 erste rein elektrische Modelle anbot, in die Falle des Erwartungshypes getappt. Die zu früh angebotenen elektrifizierten Modelle waren laut Niemand

  • unpraktisch
  • teuer und
  • unprofitabel.

Außerdem fehlten damals die nötige Infrastruktur sowie die Erkenntnis, dass der Markt nicht nur kleine Modelle für die Stadt nachfragen würde. "Innovation kommt von oben. Das wird bei Elektromobilität nicht anders sein", erläutert der Leiter für Elektrifizierung So steigt AUDI dieses Jahr mit dem e-tron – einem Fullsize SUV mit fast 5m Länge - in den rein elektrischen Markt ein. Um in der Zukunft CO2-konform zu sein, müsse AUDI bis 2025 schon etwa ein Drittel seiner Modelle mit elektrifizierten Antrieben verkaufen. "Einen so schnellen Wandel gab es noch nie in der Industrie", bekräftigt Dr. Niemand bezüglich dieser Umstellung innerhalb weniger Jahre.

Lessons learned aus der Elektrifizierungsstrategie

Das Wecken von Begeisterung, wie es Tesla mit seinem Elektromobilitätskonzept geschafft hat, sieht Dr. Niemand als wichtigen Baustein für die Zukunft: "Das Premium-Geschäft muss Begeisterung schaffen. Niemand braucht einen R8 um von A nach B zukommen, aber es macht nun mal eine Menge Spaß."

AUDI hat auf dem Weg zum ersten rein elektrischen Modell viel ausprobiert und enorme Ressourcen investiert. Dabei habe man wertvolle Lehren aus dem Entwicklungsprozess auch später nicht serientauglicher Konzepte sowie dem Motorsport gezogen, welche die Eigenschaften der AUDI-Elektroflotte maßgeblich prägen werden, verspricht Stefan Niemand. Attraktive Elektroautos müssten demnach ausreichend Leistung und eine Ladezeit unter 30 Minuten bieten. Zudem spiele die Reichweite, welche laut AUDI mindestens 400 Kilometer betragen sollte, eine ebenso wichtige Rolle wie der Preis der Fahrzeuge. Kunden möchten auch beim Design keine Abstriche machen und fordern äußerlich ansprechende Modelle. Um diese Erkenntnisse in einem rein elektrischen Modell der Marke zu verwirklichen, wurden die richtigen Leute gebraucht, denen man im Konzern ungekannte Freiräume zum Ausprobieren einräumte. 

Skeptiker überzeugen 

Unterstützt von Elektromobilitätsbefürwortern halfen Zahlen, Daten und Fakten, Skeptiker im Unternehmen zu überzeugen, bestätigt Dr. Stefan Niemand.

Zukünftige Veränderung der gesamten Automobilindustrie 

Genau wie AUDI müsse die gesamte Branche komplett neu denken, schätzt Dr. Niemand die Situation ein. Das Unternehmen selbst möchte in Zukunft ein umfangreiches Systemangebot aufbauen und dabei neue Geschäftsfelder erschließen: Mobility on demand, digitale Geschäftsmodelle und Smart Energy seien nur einige der potenziellen Märkte rund um das Thema Mobilität. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die zukünftige Profitabilität in der Automobilindustrie nicht mehr nur vom Kernprodukt abhängen wird (s. Abb. 3). Trotzdem müsse man mit dem Auto profitabel sein, genau wie Apple mit seiner Hardware profitabel ist, warnt Dr. Niemand. Sinkende Batteriepreise sind ein entscheidender Erfolgsfaktor und der wohl größte Hebel in der Profitabilitätsrechnung. Bisher sei "zu wenig an Intelligenz" in die Batterietechnologie geflossen und eine Batteriepreisentwicklung schwierig vorherzusagen.

Ein weiterer Erfolgfaktor würden außerdem Kooperationen mit anderen Unternehmen werden - auch mit Konkurrenten. Beispielsweise treibt das Joint Venture IONITY, gebildet von einer Vielzahl der erfolgreichsten Automobilhersteller, den gemeinschaftlichen Aufbau einer flächendeckenden Langstrecken-Ladeinfrastruktur voran. Dr. Niemand ist sich sicher: Diese beiden Entwicklungen werden die Zukunft der Automobilität maßgeblich prägen.

Dr. Tatjana Kazakova
Schlagworte zum Thema:  Elektromobilität, Strategie, Management