Industrie 4.0 als Erweiterung der Lean Philosophie
Von Produkttrends zu Produktionstreibern
Über Jahre lag der Fokus im Produktionsmanagement auf der Optimierung der Massenfertigung durch Lean Management. Das erreichte die Industrie durch komplexe, aufeinander abgestimmte Fertigungsstraßen und die genaue, kleinteilige Analyse der Produktionsschritte mit dem Ziel der Verschlankung. Somit ist die Produktion heute von großen Losgrößen und hoher Komplexität geprägt.
Für Anpassungsbedarf in den Produktionsprozessen sorgen vier wesentliche Produkttrends (S. Abb. 1 in der Bilderserie):
- Produkte werden immer individueller, bis hin zur Personalisierung einzelner Produkte. Produktlebenszyklen werden immer kürzer, somit entstehen häufiger Umrüstungsbedarfe.
- Produkte sollen so umweltfreundlich wie möglich sein, was neue Materialien und neue Technologien in der Fertigung erfordert.
- Gesellschaftliche Trends wie der ständige, globale Austausch über Social Media-Kanäle und Änderungen im Nutzerverhalten wirken sich auf Produkte aus.
Aus den Produkttrends leitet Dr. Nestle, Leiter Future Technology bei der Festo AG & Co. KG, wiederum vier Treiber ab, die den Schritt zur Industrie 4.0 nötig machen.
- Digitalisierte Fabriken kommunizieren in Zukunft intelligent in Wertschöpfungsnetzwerken.
- Kundenspezifische Produktion ermöglicht effiziente Fertigung auch bei kleinen Losgrößen.
- Wiederverwendung und Vermeidung von Verschwendung sichert die Nachhaltigkeit der Produktion.
- Bessere Arbeitsbedingungen tragen gesellschaftlichen Trends Rechnung.
Industrie 4.0 setzt auf den Lean Gedanken auf
Industrie 4.0 ist eine Weiterentwicklung des Lean Gedanken. Durch Erhöhung der Flexibilität und Adaptivität können die Komplexität verringert sowie eine effiziente Produktion auch bei kleineren Losgrößen erreicht werden. „Industrie 4.0 bündelt bereits laufende und zukünftige Entwicklungsschwerpunkte der Industrie unter einem zentralen Begriff“, so Dr. Nestle.
Zur Erhöhung der Komplexität setzt die Industrie dabei unter anderem auf:
- Einsatz von Produktionsmodulen,
- Standardisierung von Schnittstellen und
- intelligente, flexibel einsetzbare Komponenten.
Die Adaptivität wird unter anderem erhöht durch:
- Selbstorganisation durch mechatronische Agenten (selbstorganisierende Maschinen),
- integrierte Steuerung und Kommunikation sowie
- durchgängige Automatisierungsarchitekturen.
„Der Prozess zur Industrie 4.0 erfolgt evolutionär und bereits seit Jahrzehnten“, sagt Dr. Nestle. Dabei ist klar: Nur dort wo ein klar zu erkennender Mehrwert durch gesteigerten Kundennutzen und eine Verbesserung der Beherrschung, Organisation, Effizienz etc. der Prozesse ersichtlich ist, werden sich die Ansätze durchsetzen. Aktuelle Schwerpunkte liegen dabei auf Smart Factory, einer wirtschaftlichen, flexiblen und adaptiven Produktion, z. B. durch die Mehrfachverwendung von Infrastruktur und auf Smart Products.
Neue Geschäftsmodelle durch Industrie 4.0
Unternehmen erhoffen sich aus der Investition in die Digitalisierung ihrer Wertschöpfungskette zunächst eine signifikante Steigerung der Ressourceneffizienz. Klar ist aber, dass diese zunehmende Digitalisierung mit einem immensen Datenwachstum einhergehen wird. Von zentraler Bedeutung wird also die Fähigkeit zur Datenanalyse und -interpretation sein.
Hieraus ergeben sich auch Potenziale zu gänzlich neuen Geschäftsmodellen. So ist es denkbar, dass zukünftig Plattform-Anbieter, also Unternehmen, die eine Infrastruktur zur Produktion vorhalten, von denen, die die Produktion durchführen, getrennt sein werden und sich nur virtuell vernetzen. Daten-Anbieter und Plattform-Enabler könnten die notwendigen Daten und Analysefähigkeiten, z. B. für die zu fertigenden Produkte vorhalten.
„Die Grenzen zwischen Maschinenbau und IT werden sich verschieben“, prophezeit Dr. Nestle. Die hohe Spezialisierung der in der Produktion eingesetzten Software stellte dabei bisher eine Eintrittshürde für die an standardisierte Komponenten gewöhnte IT-Industrie dar. Durch die Verschiebung der Grenzen ist eine Erweiterung der Geschäftsmodelle von IT-Unternehmen in den Kernbereich von Maschinenbauern oder aber der Eintritt von Dritten in den Markt denkbar.
Für die Maschinenbauunternehmen werden somit ein strukturiertes Geschäftsmodell und damit ein Fokus auf die Kernkompetenzen immer wichtiger. Hierbei hilft das Reference Architectural Model Industrie 4.0 (RAMI) bei der Beantwortung der zentralen Fragen (S. Abb. 2 in der Bilderserie).
Was ändert sich für die Fachkräfte?
Durch die zunehmende Digitalisierung werden laut Dr. Nestle die Tätigkeiten der Fachkräfte zunehmend komplexer. In der Massenfertigung dominierten einfache Aufgaben mit einer hohen Standardisierung. Das Job-Profil wird sich im Zuge von Industrie 4.0 von dieser Bediener-Rolle zu einer Treiber-Rolle wandeln. Dabei werden die Aufgaben der Fachkräfte um Fehlerfindung, Präventive Instandhaltung und Monitoring erweitert sowie die Kompetenzen um selbstständige Entscheidungen ergänzt. Dazu müssen die Fachkräfte umfangreich qualifiziert werden. Dies hat Auswirkungen auf die Curricula aller Bildungsbereiche (S. Abb. 3 in der Bilderserie).
Festo ist hierbei mit eigenen Angeboten wie zum Beispiel der Lernfabrik führend.
Die Festo AG & Co. KG
Mit rund 18.000 Mitarbeitern in rund 63 Ländern gehört die familiengeführte Festo AG & Co. KG zu den Global Playern in der Automatisierungstechnik. Mit den beiden Geschäftsbereichen Automation, dem fertigenden Bereich, und Didactic, hierunter bündelt Festo Lernsysteme, Training und Consulting, bedient Festo rund 300.000 Kunden. Von den 2,5 Mrd. Euro Umsatz in 2014 gingen rund 7% in Forschung und Entwicklung. Weltbekannt sind die bionischen Modelle Festos, bei denen erfolgreich Naturphänomene in Robotiksysteme umgesetzt werden. Eine der neuesten Entwicklungen sind die eMotionButterflies, Schmetterlings-Roboter, die im kollektiven Schwarmverhalten fliegen und darüber hinaus die Grenzen des Ultraleichtbaus austesten.
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