Fünf Faktoren, die den Erfolg von Amazon erklären
Neue Maßstäbe für Innovationseffektivität
Amazon hat neue Maßstäbe in Sachen Innovationseffektivität gesetzt. Innerhalb kürzester Zeit hat der Onlineversandhändler viele neue Produkt-, Prozess- und Geschäftsmodellinnovationen umgesetzt, so dass sein Strategiebuch plötzlich der Standard ist, an dem sich jedes Unternehmen messen muss, um nicht abgehängt zu werden. Amazon ist das neue Modell für die Zukunft.
Durch Trial-and-Error sowie Auf- und Abschwung hat Amazon eine Reihe von Leitprinzipien und kulturellen Praktiken entwickelt, um seine „Wachstumsmaschine“ am Laufen zu halten. Dazu gehören die Begeisterung der Kunden, die Zerschlagung von Wettbewerbern, und die Disruption einer Branche nach der anderen: vom Buch- über den Online-Handel bis hin zur Unterhaltungselektronik, von Webservices und Software bis hin zum Gesundheitswesen und darüber hinaus. Schaut man sich die Geschichte des Unternehmens Amazon genauer an, lassen sich 5 Faktoren identifizieren, die für den unglaublichen Erfolg verantwortlich sind. Diese werden im Folgenden näher erläutert:
1. Amazon treibt Innovationen von der Spitze aus voran
Umfragen zeigen, dass 79 Prozent der Führungskräfte Innovationen als eine der drei wichtigsten Prioritäten betrachten. Doch im Alltag wird die Aufmerksamkeit des oberen Managements oft weniger vom „Discovery Engine“, dem „Entdeckungsmotor“ in Anspruch genommen, sondern hauptsächlich vom „Delivery Engine", der das Tagesgeschäft am Laufen hält.
Amazon-Gründer und CEO Jeff Bezos hat gelernt, den Großteil seines Kalenders für Innovationen freizuhalten, indem er die Umsetzung von Ideen an Vertraute delegiert. Bezos verbringt die meiste Zeit damit, zu untersuchen, wie die Welt in drei, fünf oder zehn Jahren aussehen könnte. Er konzentriert sich dementsprechend darauf, in zwei Jahren ca. im dritten Quartal des Jahres sichtbare Ergebnisse erzielt zu haben. Seine Aufgabe sieht er vor allem darin, die Innovations-Landkarte, die das Unternehmen in eine erfolgreiche Zukunft führen soll, zu identifizieren und zu verfeinern. Dabei achtet er besonders darauf, seine gesetzten Ziele pünktlich und termingerecht einzuhalten.
2. Amazon sieht Ideen als Assets
Für die meisten Unternehmen sind Vermögenswerte Dinge, wie z. B. Fabrikanlagen, Ausrüstung und letztlich auch die Mitarbeiter. Amazon sieht auch Ideen als Vermögenswerte. Bezos‘ Streben nach unkonventionellen Konzepten, nach Basistechnologien und nach besseren Betriebsweisen ist ansteckend. „Ich könnte dieses Whiteboard in einer Stunde mit 100 Ideen füllen", prahlte Bezos in einem Interview – und es gibt kaum Grund, an dieser Aussage zu zweifeln.
Bezos glaubt, dass ein kontinuierlicher Strom von Ideen das Wachstum antreibt. Seine Funktion sieht er darin, die kulturelle Ausrichtung zu schaffen, in der Ideen auf allen Ebenen wertgeschätzt und respektiert werden und ihre Umsetzung beschleunigt wird. Bezos will diese "Opportunity-Mentalität" an jeden Mitarbeiter, jede Abteilung, jede Geschäftseinheit und jeden Außenposten weitergeben. Wie ein Trainer, der seinem Team die Grundlagen einbläut, erinnert Bezos seine Mitarbeiter an die drei einfachen Prinzipien, die das Unternehmen groß gemacht haben und die von Anfang an galten: langfristig denken, stets auf den Kunden fokussieren und erfinderisch sein. Diese Maximen sind heute so aktuell wie eh und je. Zwar hat er die kämpferische Rhetorik etwas abgelegt, aber Bezos ist im Herzen immer noch der „hungrige Jäger“, der einst den Satz geprägt hat „Your margin is my opportunity".
In den letzten Monaten hat Bezos zugegeben, dass ihm die zunehmende Selbstgefälligkeit Sorgen bereitet, und er rief dazu auf, das "Day 1 Thinking" wieder zu aktivieren, also den Vollgas-Angriffsmodus des Start-ups, das Amazon einst war. Auf die Frage, wie Tag 2 aussehen könnte, antwortet er: "Stillstand, gefolgt von Irrelevanz, gefolgt von qualvollem Verfall und Tod." Er fügte hinzu: "Die Außenwelt kann dich in den Tag 2 treiben, wenn du starke Trends nicht schnell annehmen willst oder kannst. Wenn du gegen sie kämpfst, kämpfst du gegen die Zukunft. Nimm sie mit offenen Armen an und du hast Rückenwind."
3. Den ersten Schritt machen, ständig experimentieren und schnell scheitern
Ohne Hardware-Hintergrund stieg Amazon 2007 mit seinem Kindle-E-Reader mutig in das Geschäft mit elektronischen Geräten ein. Alle rieten davon ab. Zahlreiche Rückschläge und Hürden folgten. Aber letztlich veränderte Kindle den Markt und stärkte das Selbstvertrauen von Amazon. Durch diesen überaus erfolgreichen Vorstoß wurde dem Unternehmen klar, dass es neue Fähigkeiten erlernen kann, wenn es bereit ist, Annahmen in Frage zu stellen. Amazon übernahm mit Echo die Pionierrolle in der Kategorie der intelligenten Lautsprecher, die digitale Assistentin Alexa verfügt inzwischen über 30.000 Fähigkeiten, hauptsächlich von Drittanbietern, die laufend neue Anwendungen entwickeln. Die Konkurrenz kämpft derweil, um mit Amazon aufzuholen.
Amazon schätzt Experimente. Seine Website ist eine riesige Petrischale, die ständig mit Preisen für A/B-Tests, Anpassungsversuche, Empfehlungsalgorithmen und mehr forscht. Amazon nutzt seine Heimatstadt als Testmarkt, um Einblicke und Feedback von Verbrauchern zu gewinnen und die Kinderkrankheiten neuer Geschäftsmodelle auszumerzen, bevor die Ideen erweitert – oder stillschweigend vernichtet - werden, wenn sie nicht skalierbar sind. Die Bereitschaft, den ersten Schritt zu wagen, zu testen und gegebenenfalls auch zu scheitern, hat Amazon nicht nur zu einem Online-Händler gemacht, sondern auch zu einem Filmstudio, einer Hardwarefirma, einem Lebensmittelhändler sowie einem Webservice-Anbieter – und zu einer Ideenfabrik.
Der Schlüssel dazu ist die Monetarisierung. Während Google und andere Unternehmen Milliarden für die Erforschung künstlicher Intelligenz und maschinellen Lernens ausgeben, ist Amazon daran interessiert, künstliche Intelligenz zu monetarisieren und in jeden Aspekt des Unternehmens zu integrieren. Mitarbeiter von Amazon sind auf der Suche nach KI-Anwendungen, die sie in Produkte integrieren, zur Verbesserung von Dienstleistungen nutzen und an physischen Standorten installieren können. Das Unternehmen erfindet oft etwas oder entwickelt eine neue Fähigkeit für seine eigenen Bedürfnisse, nur um dann festzustellen, dass es diese Erfindung für andere monetarisieren kann.
4. Datengesteuerte, kundenorientierte Innovationen
Amazon ist nicht nur Vorreiter bei neuen Geräten und Geschäftsmodellen, sondern auch bei neuen Ansätzen für die Praxis der Innovation selbst.
Apple-Wunderkind Steve Jobs nutzte nie Fokusgruppen oder Umfragen, um Verbraucherinformationen zu erhalten oder sicherzustellen, dass er auf dem richtigen Weg war. Stattdessen nutzte er eine informierte Intuition, um Produkte zu erfinden, die die Verbraucher lieben. Diesen Ansatz umschrieb er folgendermaßen: "Es ist nicht die Aufgabe unserer Kunden, uns zu sagen, was sie als nächstes wollen – das ist unsere Aufgabe."
Amazon hat eine andere Herangehensweise. Sie basiert auf dem Glauben, dass man den Kunden über die Daten zuhören kann. Amazon simuliert und baut zuerst bestimmte Modelle, aus denen anschließend Daten herausgezogen werden können. Auf diese Weise führen die Kunden sie zu den neuen Ideen für Produkte, die sich die Kunden auch insgeheim wünschen.
Amazon hat Ingenieure für künstliche Intelligenz, die in jede Geschäftseinheit, jedes Team, jede Region und jedes Lager integriert sind. Sie nutzen außerdem die Daten dazu, um die Erstellung von Alternativen schneller und genauer zu gestalten. Innovationsmanager bei Amazon müssen sich ständig fragen: Was sagen uns die Daten darüber, was Kunden sich als nächstes wünschen könnten?
5. Eine klar denkende, risikobereite Kultur fördern
Bei Amazon ist es keine Tugend, miteinander auszukommen. Häufig kommt es zu heftigen Debatten darüber, was gemessen werden soll. Grundgedanke dabei ist, dass kreative Spannungen das beste Denken anregen. In vielen Unternehmen müssen potenzielle Innovatoren Dutzende von Ja-Stimmen sammeln, bevor sie eine Idee weiterverfolgen dürfen. Ein einziges "Nein" kann alles sofort beenden. Bei Amazon hat kein einzelner Manager das Recht, eine Idee auszubremsen. Das Unternehmen ist so strukturiert, dass hunderte Manager einer Idee grünes Licht geben dürfen, zumindest bis zur nächsten Entwicklungsstufe.
Bei Amazon muss eine Idee mit hohem Potenzial drei Kriterien erfüllen:
- Sie muss originell sein und nicht "me too".
- Sie muss skalierbar sein.
- Sie muss das Potenzial haben, eine signifikante Kapitalrendite zu erzielen.
Innerhalb des Unternehmens werden ständig neue Denkmethoden ausprobiert. Ein Beispiel ist lose als „The Narrative“ bekannt. Bevor Entscheidungen über Initiativen mit hohem Investitionsvolumen getroffen werden, beginnen Senior-Team-Meetings mit der stillen Lektüre eines Memos, das Bezos in Auftrag gegeben hat. Ihm geht es vor allem darum, wie sich die bis zu sechsseitige Erzählung zusammensetzt. "Es muss Themensätze, Verben und klares Denken enthalten", betont Bezos. Dann erst kommen er und sein Senior-Team zusammen, studieren das Memo bis zu 30 Minuten lang, notieren sich Fragen und bereiten sich auf eine mündliche Diskussion über die Vorteile der Idee vor. Auch dies ist eine neue Art und Weise, wie Amazon Innovationen vorantreibt.
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