Konzern im Wandel – Herausforderung für die Steuerung
In den letzten 10 Jahren ist aus Bilfinger durch viele Akquisitionen ein Großkonzern mit unterschiedlichen Geschäftsfeldern, vor allem im Dienstleistungsbereich entstanden. Wie sollte Bilfinger vorgehen, um die Teilkonzerne zu steuern? Stefan Dreher, Projektleiter „Steuerung und Reporting“ bei Bilfinger, und Markus Kirchmann, Leiter des Business-Segments "Group Reporting & Konsolidierung" bei Horváth & Partners, haben auf der 8. Fachkonferenz Reporting eindrucksvoll dargestellt, wie durch ein "best-practice"-Berichtswesen auch ein akquisitorisch gewachsener Konzern erfolgreich gesteuert werden kann.
Einheitliche konzernweite Kennzahlen als Basis für die Vergleichbarkeit
Die Top-Steuerungsgrößen für den gesamten Bilfinger Konzern werden einheitlich festgelegt. Alle Kennzahlen fließen über einen Treiberbaum in die Topkennzahl, den Wertbeitrag (=Ergebnis minus Kapitalkosten), ein (vgl. Abb.).
- Im neuen Steuerungskonzept wird dabei viel Wert auf Liquidität gelegt, nicht nur die Innenfinanzierungskraft, sondern auch die Fähigkeit der Einheiten, Ergebnis in „Cash“ zu verwandeln.
- Bei der Erfolgskennzahl hat man der akquisitorischen Historie Rechnung getragen. So wird nicht das EBIT als Ergebniskennzahl verwendet, sondern das EBITA, also das Betriebsergebnis vor Abschreibungen auf immaterielle Vermögenswerte, die durch Akquisitionen entstanden sind.
Treiberbaum erläutert Verbesserungsvorschläge auf der Baustelle
Dieser Treiberbaum ist nicht nur eine tolle Visualisierung aller Kennzahlenzusammenhänge, sondern auch ein Schulungsinstrument für Ingenieure. Sie stellten die Frage „Wie können wir als Ingenieure auf der Baustelle konkret helfen, den Wertbeitrag im Konzern zu steigern?“ Die Antwort: „Reduzieren Sie die Lagerbestände auf der Baustelle!“ Mit dem Treiberbaum konnte der Einfluss der Lagerbestände auf den Wertbeitrag angemessen erläutert werden.
Ergänzung nichtfinanzieller Kennzahlen
Die rein finanziellen Kennzahlen wurden um funktionale und geschäftsspezifische Kennzahlen ergänzt, also bspw. Informationen zu Projekten, Rahmenverträgen und Kennzahlen zu den einzelnen Funktionsbereichen, wie die Gesundheit der Mitarbeiter, Umwelt, Sicherheit, Qualität oder den Anteil der weiblichen Führungskräfte.
Standardisierung des Management Reportings über die Führungsebenen hinweg
Das Standardberichtspaket liefert einen vollständigen Überblick über alle relevanten Bereiche und Kennzahlen. Es ist über die Führungsebenen hinweg standardisiert, dadurch wird eine konsequente Steuerung ermöglicht. So spiegeln sich die vorausschauenden Wachstumskennzahlen zu Auftragseingang oder -bestand in spezifischen Kennzahlen für Rahmenverträge, z. B. zur Einschätzung der Vertragsverlängerung, wider. Zudem können Fokusbereiche wie besonders wichtige Projekte gesondert hervorgehoben werden.
Aufnahme von volkswirtschaftlichen Frühindikatoren
Ein weiterer Fortschritt ist dem Projektteam durch die Einbindung makroökonomischer KPIs gelungen. Für jeden Teilkonzern wurden die relevanten makroökonomischen Daten ermittelt. Der „EU Chemicals Production Index“ beispielsweise. gibt Aufschluss über die Geschäftsentwicklung in bestimmten Teilkonzernen mit einem halben Jahr Vorlauf - vorausschauend also. „Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung konnte so mit den Teilkonzernen verzahnt werden“ betonte Herr Dreher.
Neben der internen Steuerungssicht ist für Bilfinger als börsennotierter Konzern auch die Kapitalmarktsicht wesentlich. Neben klassischen Kennzahlen wie Aktienkurs und Marktkapitalisierung finden sich auch Einschätzungen von Brokern im Standardberichtspaket wider.
Die Standardisierung des Berichtswesens wurde über alle Berichtsebenen des Konzerns hinweg konsequent umgesetzt, vom Konzernvorstand bis hinunter zu den operativen Einheiten. Dadurch ist nun sichergestellt, dass alle Bereiche qualitativ hochwertige Informationen in standardisierter Form für die Entscheidungsunterstützung zur Verfügung gestellt bekommen – „und die eine Kennzahl auch immer das gleiche besagt und nicht unterschiedlich interpretiert wird“.
Datenqualität wesentlicher Hebel für ein gelungenes Reporting
Das heterogene Geschäftsmodell und das hohe akquisitorische Wachstum haben gegen den Start eines "one.ERP"-Ansatzes gesprochen. „Das Risiko, dass wir mit der Neuausrichtung der Steuerung und des Berichtswesens sonst erst deutlich später beginnen können, haben wir als zu hoch eingeschätzt“ so Dreher.
Die IT-Architektur im Bereich Finanzen und Controlling wurde nicht komplett neu aufgebaut, sondern punktuell erweitert und angepasst. So konnten bestehende Applikationen weiter verwendet werden.
Vereinheitlichung der Datenstrukturen, nicht der IT-System
Stattdessen wurde auf eine Verbesserung der Datenqualität gesetzt. Dazu wurden der Kostenstellen- und der Kontenrahmen harmonisiert. Über alle Konzerngesellschaften hinweg wurde ein einheitliches Zeilen- und Stellenschemata eingeführt. Auch die Intra- und Intercompany Verrechnungen wurden in diesem Zug vollständig harmonisiert. Klare Anlieferungs- und Freigabeprozesse über angepasste Schnittstellen in das gruppenweite "Data Warehouse" sorgen für termingerechte und qualitativ hochwertige Daten zu den Berichtsstichtagen.
Seit dem ersten Quartal 2013 hat Bilfinger ein neues Reporting. Nach zwei Jahren Projektarbeit konnte das Projektteam um Stefan Dreher eine positive Bilanz ziehen. „Vor allem die vielen Workshops am Anfang des Projektes sowie die konsequente Einbindung der Teilkonzerne in die Projektarbeit waren ein Erfolgsfaktor“ reflektierte Dreher auf der 8. Fachkonferenz Reporting.
Das Unternehmen
Der Bilfinger Konzern mit über 65.000 Mitarbeitern in 45 Ländern und einem Umsatz von über 8,5 Mrd. EUR ist stetig im Wandel. In den letzten 10 Jahren ist durch viele Akquisitionen ein Großkonzern mit facettenreichen Geschäftsfeldern entstanden. Der frühere durch das Baugeschäft geprägte Konzern erwirtschaftet heute einen etwa 80 prozentigen Umsatzanteil im Dienstleistungsgeschäft.