Der Sprung vom Katalogversand zum E-Commerce Pionier
Jeder kennt ihn, den OTTO-Katalog. Regelmäßig lag dieser über viele Jahre in den Briefkästen deutscher Haushalte. Doch wie kaum ein anderes Handelsunternehmen schafften OTTO und die Schwesterunternehmen der Otto Group den Sprung vom Offline- zum Online Geschäft und wurden Vorreiter des E-Commerce. Doch was benötigt ein Handelskonzern wie die Otto Group neben den nun über 100 existierenden Onlineshops in einer immer digitaler werdenden Welt? Martin Damm, Bereichsleiter Sonderprojekte bei der OTTO Group, erklärt in seinem Vortrag, wie sich das Unternehmen von einem klassischen Versandhandel zum digitalen Unternehmen entwickelt und welche entscheidende Rolle die Unternehmenskultur in Zeiten der Digitalisierung einnimmt.
Von BTX über CD-ROM zur ersten Website
OTTO erkannte bereits früh, dass eine Erweiterung des klassischen Versandgeschäftes um neue, innovative Medien notwendig war. Nachdem das Sortiment auf BTX und CD-ROMs erschien, ging im Jahr 1995 die erste OTTO.de-Website live. Aber auch die Shops anderer Konzerngesellschaften entwickelten sich stetig bis zu den heutigen, zum Teil „hyperpersonalisierten“ Websites weiter. Ein Ende der Digitalisierung ist laut Damm jedoch noch lange nicht erreicht. Durch Voice-Systeme wie „Siri“ oder „Alexa“ ist die Frage entscheidend, wer die digitale Kundenschnittstelle in einer Welt „beyond touch and type“ kontrolliert.
„Die Digitalisierung ist nicht nur ein Werkzeug, sondern ein Prozess“
Die digitale Transformation ist ein Prozess, der teils stetig, teils ruckartig von heute auf morgen alle Lebensbereiche der Menschen und der Bereiche eines Unternehmens erfasst und verändert.
Der Wandel von Industrien vollzieht sich heute mit einer neuen Geschwindigkeit, weil Disruptoren immer schneller und einfacher Bausteine der Wertschöpfungskette etablierter Unternehmen mit Hilfe der Digitalisierung smarter und kundenfreundlicher anbieten können. Selbst diejenigen Branchen, die sich heute noch als „safe havens“ wahrnehmen, werden von diesem Wandel nicht verschont, sobald ein Disruptor die Kundenschnittstelle einnimmt und besetzt.
Insbesondere der Handel wurde frühzeitig von Auswirkungen der Digitalisierung erfasst, was entsprechend im Kerngeschäft der Otto Group Spuren hinterlassen hat. Martin Damm berichtet, wie Händler die exklusive Kontrolle des Kundenkontaktes durch Wettbewerb um die Kundenschnittstelle verlieren: Vertikalisierende Markenartikler, Gatekeeper und andere Plattformen sowie Intermediäre kanalisieren die Kundenkontakte und steuern den Traffic nach eigenen Regeln. Darüber hinaus führen eine gesteigerte Preistransparenz und die unmittelbare Vergleichbarkeit verschiedener Anbieter zu sinkenden Differenzierungsmöglichkeiten der Händler. Neben der Öffnung der eigenen Reichweitenkanäle für Drittanbieter sind Aufbau und Führung relevanter Produktmarken Möglichkeiten sich im Wettbewerb um Kundenzugang zu behaupten.
Nach Business Intelligence folgt Artificial Intelligence
Absolute Kundenzentriertheit ist Grundvoraussetzung, „Data driven companies“ nutzen ihre generierten Datenströme um Kunden- und Angebotsdaten in einem höchst fragmentierten Kaufprozess zu integrieren und eine „predictive“ Kaufentscheidung herbeizuführen. Dafür braucht es eine umfangreiche Business Intelligence (BI) und „wer BI sagt, muss auch AI (Artificial Intelligence) sagen“, erläutert der Referent, um die Chancen der Digitalisierung auch in Zukunft nutzen zu können. Digitalisierung ist somit ein immerwährender Prozess, der jedoch nicht nur nach außen wirkt, sondern in einem hohen Maße Anforderungen an interne Veränderung im Unternehmen stellt.
Über den Kulturwandel zum digitalen Unternehmen
Braucht ein Unternehmen mehr als digitale Marktstrategien und Produkte, um wahrlich digital zu sein? Martin Damm und die Otto Group haben dazu eine eindeutige Meinung: Ja, das braucht es, kein digitaler Wandel sei ohne die Veränderung der Unternehmenskultur möglich.
Viele Unternehmen widmen sich dem Thema Digitalisierung rein auf strategischer, prozessualer und struktureller Ebene. Dabei wird primär das Geschäftsmodell „elektrifiziert“. Auf dem Weg zu einem digitalen Unternehmen greift dies jedoch oftmals zu kurz. Erst eine tiefe Integration der zu Grunde liegenden Systematik bzw. der Idee der Digitalisierung in die Belegschaft, die die Kolleginnen und Kollegen in einer Organisation mitnimmt, erlaubt es von einem digitalen Unternehmen zu sprechen.
Dabei geht es nicht um die Prozesse, Systeme und Infrastruktur oder gar um ein klassisches Projekt mit definiertem Ablauf und festgelegtem Zielzustand. Vielmehr bedarf es eines ganzheitlichen Ansatzes, der das Denken, Handeln und Verhalten aller Kolleginnen und Kollegen im Unternehmen im Hinblick auf eine bedingungslose Kundenzentriertheit verändert, und so zu einem digitalen Unternehmen führt. In der Otto Group wird dies unter dem Namen Kulturwandel 4.0 umgesetzt.
Hackathons, „Fuck-Up Nights“ und Innovation Days machen Veränderung erlebbar
Diesem Kulturwandel unterliegt für solch eine Veränderung der Organisation ein spezieller struktureller Rahmen (siehe Abb. 2), der den Wandel prozessual treibt. Zum einen geben Workstreams die Ablaufstruktur vor, zum anderen werden Impulse durch unternehmensinterne Initiativen, ein Kulturwandel 4.0-Team und die Konzernmitarbeiter gesetzt. Ziel ist es mit dieser Dualität die Erfolge der Digitalisierung noch übergreifender ausschöpfen zu können. So wurden zum Beispiel verschiedene Events mit unterschiedlichsten Konzeptionen ins Leben gerufen, durch die die notwendige kulturelle Veränderung erlebbar machen. Hierzu zählen inzwischen unter anderem firmeninterne Hospitationen, Hackathons, „Fuck-Up Nights“ und Innovation Days.
Mit dem Vorstand per Du
Der Otto Group ist es wichtig, dass die Veränderung des Denkens und Handelns einem ganzheitlichen Ansatz folgt und vom Vorstand über Führungskräfte bis hin zum Mitarbeiter gelebt wird. Martin Damm erklärt, dass der Vorstand in diesem Zuge auch das unternehmensweite „Du“ anbot, um Hierarchiebarrieren zu überwinden und radikal abzubauen, das Mindset des Unternehmens entsprechend nachhaltig zu ändern und sich so für die zukünftigen Entwicklungen der Digitalisierung zu wappnen.