"In der Krise war plötzlich die Sicherstellung der Lieferfähigkeit ein zentrales Thema."
Interviewpartner:
Thilo Rieser, Leiter Controlling & Finance International, Henkell-Freixenet
Das Unternehmen
Henkell-Freixenet ist Weltmarktführer in der Schaumweinproduktion sowie erfolgreicher Anbieter von Weinen und Markenspirituosen. Mit seinem breiten Portfolio setzt der Sekthersteller hohe Maßstäbe in Qualität und Handwerkskunst. Henkell-Freixenet gehört zu den bekanntesten Familienunternehmen Deutschlands, das in 150 Länder exportiert und weltweit mit 30 Tochtergesellschaften vertreten ist. Im Geschäftsjahr 2020 erzielte Henkell-Freixenet einen Umsatz von ca. 1,2 Milliarden Euro und beschäftigte insgesamt 3.500 Mitarbeiter.
Die Fragen stellten Dr. Sebastian Möbus, Chief Operating Officer des Centre for Performance Management & Controlling (CPMC) der Frankfurt School of Finance & Management und Letizia Credico, Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Centre for Performance Management & Controlling (CPMC) der Frankfurt School of Finance & Management.
Das Interview ist ein Auszug aus dem Buch „ Prozess- und Funktionscontrolling: Grundlagen, Kennzahlen, Best Practices“, das im Dezember 2021 bei Haufe erschienen ist.
Hintergrund
Herr Rieser, würden Sie bitte sich und Ihren Verantwortungsbereich bei Henkell-Freixenet näher vorstellen?
Thilo Rieser: Mein Name ist Thilo Rieser, ich bin 49 Jahre alt und seit dem Jahr 2000 hier im Unternehmen Henkell, heute Henkell-Freixenet, tätig. Ich habe meine Controlling-Laufbahn im Hause als operativer Controller der Business Unit Global Export angefangen, bin dann in den Bereich M&A im Beteiligungscontrolling gewechselt und habe von dort aus über Jahre hinweg die Internationalisierung und Globalisierung der Henkell-Gruppe mit begleitet. Mit dem Henkell-Freixenet-Merger im Jahr 2018 haben wir erstmals für unsere Gruppe eine Holding-Organisation geschaffen, in der ich die Verantwortung für Controlling, Finanzen, Konzernrechnungswesen, Recht und Versicherungen innehabe.
Wie viele Mitarbeiter sind bei Ihnen im Controlling beschäftigt?
Rieser: Ich selbst bin für das Controlling in der Holding verantwortlich. In diesem internationalen Controllingbereich beschäftigen wir zurzeit sechs Full-Time-Equivalents (FTE) und decken damit die Funktionen Beteiligungscontrolling, Konzernreporting, Business Development und M&A ab. Henkell-Freixenet insgesamt hat als Unternehmensgruppe Gesellschaften in über dreißig Ländern und beschäftigt in den größeren Gesellschaften Werkscontroller. Das können je nach Unternehmensgröße zwischen ein und acht FTE sein. Für die kleineren Vertriebsgesellschaften haben wir die Controllingfunktion in einem zentralen Shared Service Center Finanzen und Controlling im Headquarter in Wiesbaden gebündelt, weil wir diese „kundenfernen“ Services, wie Finanzen und Controlling, die nichts mit dem Kunden und dem Konsumenten zu tun haben, auch zentral abwickeln können, wenn die Skalierung der Gesellschaft eigenes Personal noch nicht hergibt.
Welche Kernprozesse gibt es in Ihrem Unternehmen?
Rieser: Die Kernprozesse unseres Geschäftsmodells haben wir in einem Prozesshaus zusammengefasst.
- Als FMCG-Markenartikler ist einer unserer Kernprozesse die Markenführung, auch als „Brand-to-Consumer“ bezeichnet. Darunter laufen Teilprozesse wie Innovationsmanagement, Brand Management, Product Management und Konsumentenmanagement.
- Unser zweiter Kernprozess ist das Kundenmanagement, auch „Customer-to-Demand“ genannt. Hier unterscheiden wir zwischen Kunden und Konsumenten. Der Kunde ist für uns der Handel, in welcher Form auch immer, also der Absatzmittler. Der Konsument ist der Endkunde, der vom Absatzmittler kauft. In dem Kernprozess Kundenmanagement haben wir im Wesentlichen die Teilprozesse Account Management, Absatzplanung, Field Sales und Kundenservice zusammengefasst.
- Unser dritter Kernprozess ist das Supply Chain Management bzw. „Demand-to-Supply“. In diesem Prozess fassen wir die Prozessbereiche Produktionsplanung, Beschaffung, Lagerwirtschaft, Herstellung, Fertigwaren, Lagerung und Auslieferung zusammen.
Haben die genannten Kernprozesse ein eigenes Controlling? Falls ja, welche Ausprägungen gehen damit einher?
Rieser: Wie eingangs erläutert, hat das internationale Gruppen-Controlling vom operativen Werkscontrolling abgegrenzte Aufgabenstellungen. Im Kernprozess Markenführung unterstützt der Werkscontroller zum Beispiel als Businesspartner bei Product Launches oder koordiniert die Bewertung im Innovationsmanagement. Zusätzlich dazu nimmt er laufend das Produktkosten-Controlling und Marketingbudget-Controlling vor und berechnet Brand Contributions und Markenwertentwicklungen. Auf Holdingebene sehen wir den Kernprozess Markenführung für die Gesamtgruppe wesentlich aggregierter. Hierfür schauen wir uns natürlich auch die Markenentwicklung auf Gruppenebene an. Mit speziellem Fokus auf unsere Kernmarken, die wir im sogenannten „House of Brands“ in Kategorien wie Global Icons, Global Stars, Global Prestige Brands und Local Icons geclustert zusammenfassen, verfolgen wir deren Erreichung. Dabei haben wir natürlich auch für jedes Cluster strategische Zielsetzungen. Der Kernprozess Kundenmanagement wird im Wesentlichen durch das operative Vertriebscontrolling unterstützt mit Aufgabenstellungen wie Koordination der Absatz- und Konditionsplanung, Abweichungsanalysen, Ermittlung von Kundenrentabilitäten oder der Unterstützung im Preismanagement. Für den Kernprozess Supply Chain Management ist die Absatzplanung die Vorsteuerungsgröße der Produktionsplanung. Ansonsten wird der Herstellungsprozess selbst bezüglich Linienleistung, Linienproduktivitäten und der Ermittlung der variablen Fertigungskosten vom Controlling begleitet.
Aktuelle Herausforderungen des Geschäftsumfelds
Welchen wesentlichen externen Herausforderungen ist Ihr Unternehmen aktuell ausgesetzt?
Rieser: Den durch die Digitalisierung getriebenen sozialen Wandel unserer Gesellschaft würde ich als die größte Herausforderung für uns als FMCG Markenartikler bezeichnen. Wir brauchen neue Kommunikationskanäle für die Konsumentenansprache und müssen schauen, dass wir unsere Markenbewerbung auf die neuen Situationen einstellen. Darüber hinaus spüren wir den Konsolidierungsdruck sowohl auf der Beschaffungs- als auch auf der Vermarktungsseite und generell haben wir es mit ernteabhängigen und daher volatilen Rohstoffmärkten zu tun. Eine wesentliche Aufgabe ist an dieser Stelle daher auch, dass wir uns über E-Commerce zukünftig auch der direkten Endkundenvermarktung widmen und damit die zusätzlichen Wertschöpfungsstufen für uns erschließen.
Die Corona-Pandemie hat sicherlich auch Henkell-Freixenet betroffen. Vor welchen Herausforderungen stand bzw. steht Ihr Unternehmen in Bezug auf die Ausbreitung des Corona-Virus?
Rieser: Sekt, Wein und Spirituosen herzustellen und zu verkaufen ist in unseren gesättigten Märkten, in denen wir im Normalfall tätig sind, ein relativ stabiles Geschäft. Bei überschaubaren Wachstumsmöglichkeiten muss man daher auch nicht von heute auf morgen um die Geschäftsexistenz fürchten. Mit der Pandemie kam es aber zu größeren Verwerfungen. Ein stabiles und sehr prognostizierbares Geschäftsmodell war plötzlich nicht mehr prognostizierbar. Während auf der einen Seite ganze Vertriebskanäle wegbrachen (wie zum Beispiel Gastronomie oder Travel Retail), entwickelte sich durch verstärkten häuslichen Konsum in den Vertriebskanälen des Handels einiger Länder auch eine erfreuliche Sonderkonjunktur. Es gab also Ausschläge in die eine als auch in die andere Richtung, was vertriebskanal- und länderabhängig sehr individuelle Ausprägungen annehmen konnte. Das heißt, wir mussten zu diesen Anfängen der Pandemie bei hoher Prognoseunsicherheit schnell die Steuerungsfähigkeit wiedererlangen.
Im Controlling haben wir fortlaufend durch Szenariorechnungen versucht, Pandemiefolgen und Pandemieerholungen zu antizipieren, anfangs mit klassischen V-, U- oder L-Erholungsszenarien. Wir haben dann an Gegensteuerungsmaßnahmen gearbeitet. Gemeinkosten- und Budgetmanagement sind in unserem Geschäftsmodell die wesentlichen Möglichkeiten, um kurzfristig eine gewisse Ergebnisfähigkeit sicherstellen zu können. Anfangs war es tatsächlich eine Steuerung auf Sicht. Im weiteren Verlauf der Pandemie befassten wir uns im Planungskontext bereits mit möglichen Effekten der Pandemieerholung.
Welche Anforderungen ergeben sich aus den von Ihnen genannten Herausforderungen für das Prozess- und/oder Funktionscontrolling bei Henkell-Freixenet und welche Veränderungen hat das mit sich gebracht?
Rieser: In der Krise selbst war plötzlich die Sicherstellung der Lieferfähigkeit bei nicht genau vorhersehbarer Absatzentwicklung ein zentrales Thema. Lageroptimierte Produktionsplanung war zweitrangig. Wir haben höhere Bestände bewusst vorgehalten, um Out-of-Stock-Situationen zu vermeiden. Wir wussten anfangs auch gar nicht, inwieweit Lieferketten unserer Vorlieferanten oder auch Fertigwarenbereitstellungen aus anderen internationalen Werken unserer Gruppe weiter intakt bleiben würden. Im Bereich Marketing wurden die budgetierten Maßnahmen hinterfragt und krisenadäquat neu ausgerichtet, auch mit dem Anspruch einer gewissen Kostenreduktion. Ein weiterer Fokus lag auf dem Gemeinkostenmanagement und den möglichen Einsparungen. Im Finanzbereich haben wir uns verstärkt dem Forderungsmanagement gewidmet, da wir erhöhten Zahlungsausfall befürchteten – hier stand die Entwicklung der überfälligen und unbesicherten Forderungen im Mittelpunkt.
Teil 2 des Interview folgt in Kürze.
Literatur-Tipp:
Prozess- und Funktionscontrolling: Grundlagen, Kennzahlen, Best Practices Dieses Buch erläutert, wie Sie die beiden Steuerungsgrößen Prozess- und Funktionscontrolling effizient gestalten und zukunftsfähig aufstellen. Expert:innen beleuchten wichtige und zeitgemäße Ausprägungen des Funktionscontrollings und erläutern, wie Sie funktionsübergreifende Themen mit den Schwerpunkten Prozesscontrolling und Prozessmanagement in Ihrem Unternehmen verankern und von einer ganzheitlichen Steuerung der Geschäfts- und Hauptprozesse profitieren. Bestell-Nr.: E11473 | ISBN: 978-3-648-15883-8 | 1. Auflage 2021 | 260 Seiten | Preis: 79,95 EUR |
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