Von Tool-TÜVs, Digital Boardrooms und Einzelbelegen im Topmanagement-Cockpit
Die Digitalisierung ist unbestritten eines der Topthemen auf der Agenda nahezu aller Unternehmen. So werden Geschäftsmodelle grundlegend hinterfragt, Prozesse umgekrempelt und neue leistungsstarke Systeme eingeführt. Schnell wurde offensichtlich, dass sich auch die Unternehmenssteuerung mit diesem hoch dynamischen Umfeld verändern muss. Wie dieser Wandel aber konkret aussehen soll und welche Handlungsstrategien sich für eine „digitale Steuerung“ als richtig erweisen, ist auch heute trotz erster Lösungen vielfach noch unklar.
Entsprechend dieser Fragestellungen fand die 11. Fachkonferenz Reporting der Horváth Akademie, dem Weiterbildungsanbieter von Horváth & Partners unter dem Motto „Unternehmenssteuerung 4.0 – Digitalisierung im Management Reporting“ statt. Im Mittelpunkt des zweitägigen Expertenforums am 8. und 9. Juni in Berlin standen Lösungswege für die Weiterentwicklung des Reportings angesichts Big Data, Predictive Analytics und neuer operativer Systeme. Mehr als 130 Experten aus Finanzwesen, Controlling und BI nutzten die Konferenz zum fachlichen und persönlichen Austausch. Insgesamt zehn Fachvorträge und eine ergänzende onlineTED-Befragung zu aktuellen Trends stellten unterschiedlichste Lösungen und Entwicklungen vor und regten intensive, auch kontroverse Diskussionen an. Die wichtigsten Aussagen und Botschaften der Veranstaltung stellen wir hier in einer neuen Serie vor.
Einen Überblick zu den Kernaussagen haben die Veranstalter auch per "Graphic Recording" erstellt. Als Feedbackdokumentation werden künstlerische Gesamtbilder erstellt, die die Vorträge und Diskussionen reflektieren. |
Zum GraficRecording (unter entsprechendem Menüpunkt, incl. pdf-Download) |
Nach zwei Jahren voller Ideen und Überlegungen habe die Umsetzungsgeschwindigkeit eines „digitalen Reportings“ jüngst stark zugenommen, stellte Konferenzleiter Jens Gräf in seiner Eröffnung fest. Viele Unternehmen, so Gräf, hätten heute nicht nur die Bedeutung der Digitalisierung für die Steuerung erkannt, sondern befänden sich mitten in der Realisierung erster Lösungen.
Das von Jens Gräf und Markus Kirchmann moderierte Konferenzprogramm war auch in der 11. Auflage wieder gespickt mit innovativen Ansätzen in allen Facetten des Reportings. Obwohl DAX-Konzerne wie Bayer, SAP und Lufthansa natürlich über andere Voraussetzungen und Möglichkeiten als der größere Mittelstand rund um Festo, Zalando, Swarovski, Hannover Rück und die Berliner Sparkasse verfügen, wurde schnell klar, dass alle Unternehmen vor ähnlichen Herausforderungen stehen und sich die vorgestellten Lösungsansätze gut zwischen den Größenklassen und Branchen übertragen lassen. Als Quintessenz aus den Vorträgen und der Diskussion lassen sich vier zentrale Handlungsfelder für das digitale Reporting festhalten.
Integrierte Datenbasis mit Drill-Down bis zum Einzelbeleg
Um Unternehmen wie Bayer oder die Lufthansa künftig schnell und agil steuern zu können, sind Daten weltweit in integrierten Systemen zusammenzuführen. Die Vorträge der Bayer AG (Dr. Lothar Burow und Marc Pitt) und der Deutschen Lufthansa (Wolfgang Fäßle) schilderten eindrucksvoll die Notwendigkeit einer Zusammenführung der Daten auf granularer Ebene, um die Potenziale einer digitalen Steuerung heben zu können, sowie die damit verbundenen Herausforderungen. Wenn dies gelingt, so das Beispiel von Bayer, können die weltweiten Bayer-Berichtsempfänger in einer eigens entwickelten Reporting-Plattform künftig nicht nur finanzielle, operative und externe Daten kombinieren, sondern im Bedarfsfall auch aus dem Topmanagement-Cockpit direkt bis auf transaktionale Daten, bis zum einzelnen Bewirtungsbeleg, abspringen.
Genau diese bislang fehlende weltweite Transparenz über die Kostenarten oder Forderungen gegenüber Kunden war letztlich auch einer der Haupttreiber, um bei der Lufthansa ein weltweites Projekt zur Harmonisierung der Finanzdaten in SAP S/4 anzustoßen, welches dann, so Fäßle, wiederum die Basis für effiziente Analyse- und Forecasting-Methoden bildet.
Harmonisierung und Standardisierung von Daten auch in heterogenen Geschäftsmodellen
Mit einem klaren Plädoyer für mehr Standardisierung und Harmonisierung von Daten begannen Dr. Elmar Dworski und Bert Landesvatter ihren Vortrag zur Steuerung beim Marktführer für Automatisierungstechnik FESTO. Zunehmend globale Wertschöpfungsketten erforderten eine grundlegende Anpassung der finanziellen Steuerung und des Reportings entlang der Werteflüsse. Die in einer Live-Demo präsentierten, heute weltweit verfügbaren Management Cockpits und Berichte wären ohne die Harmonisierung der operativen Systeme und Richtlinien nicht möglich. Daher, so die Forderung der Referenten, müsse Reporting immer deutlich früher ansetzen und durch eine starke konzernweite Governance höchste Datenqualität sicherstellen.
Wie dies im Detail aussehen kann, präsentierte auch Reto Andreoli vom Glaskristall-Hersteller Swarovski. Mit der Einführung einer funktionalen Gewinn- und Verlustrechnung, einer Mischform aus Umsatzkosten- und Gesamtkostenverfahren, konnte die Transparenz über das finanzielle Ergebnis des Konzerns und der einzelnen Business Units deutlich gesteigert und das interne Reporting mit dem externen weitestgehend harmonisiert werden.
Mit Big Data und Predictive Analytics zu neuen Möglichkeiten im Reporting
Der Versandhändler Zalando ist in kürzester Zeit von einem Start-up zum international agierenden MDAX-Konzern gewachsen. Entsprechend schnell waren auch im Reporting gewachsene Strukturen entstanden. Dr. Jörg Engelbergs und Tobias Schönaich schilderten, wie das Berichtswesen bei Zalando grundlegend neu aufgestellt und künftig zur Wahrung der Effektivität und Effizienz einem regelmäßigen „Tool-TÜV“ unterworfen wird. Eine zentrale Rolle spielt bei Zalando bereits heute das Thema Big Data. Die Herausforderung liegt dabei weniger in der direkten Anwendung der oft unstrukturierten Daten im Reporting, sondern im Einsatz von intelligenten Prognosemodellen um bestehende KPIs, wie bspw. erwartete Retourenkosten, automatisiert vorherzusagen. Hierzu, so Dr. Engelbergs, arbeite sein Controllingbereich mit einem eigenen Team von „Data Scientists“ zusammen, die die Controller in diesen Anwendungsfeldern unterstützen.
Die Potenziale und Herausforderungen des digitalen Reportings, auch in Verbindung mit Digital Forecasts, fassten Stefan Tobias und Dr. Johannes Isensee von Horváth & Partners in ihrem Zielbild für das Reporting 4.0 zusammen. Unter Nutzung von Big Data wird der Zukunftsbezug des Reportings durch agile und zukunftsgerichtete Steuerungssysteme deutlich gesteigert. Das Reporting entwickelt sich damit zum zentralen Einstiegsportal der Steuerung, das Interaktion mit anderen Nutzern und direkte Analysen, Simulationen und Maßnahmensteuerung auf einer Plattform ermöglichen wird, so die beiden Horváth-Berater.
Mehr Spaß in der Berichtsanwendung durch Usability und User Experience
Am Ende jedes Berichtsprozesses müssen die Empfänger die Berichte möglichst aktiv in der Entscheidungsfindung nutzen. Gerade in der mobilen Anwendung sind Reports daher nicht nur in ihrer visuellen Darstellung, sondern auch in Bezug auf ihre User Experience und Usability zu optimieren. Zu Beginn jeder Transformation des Berichtswesens auf mobile Endgeräte – oder künftig vermehrt „Wearables“ – müssen Szenarien für das Anwendungsverhalten definiert werden. Letztlich, so Usability-Consultant Svenja Noä, müssten Berichte nicht nur inhaltlich richtig, sondern auch optisch attraktiv sein und in der Anwendung Spaß machen.
Die Bedeutung der richtigen Form der Berichtsvisualisierung betonte Alexander Fussan für die Berliner Sparkasse gemeinsam mit Andreas Wiener (Reporting Impulse). Nach der Gestaltung der neuen Berichte, so Fussan, haben seine Kollegen und er das Design daher mittels „Eye-Tracking“ in Bezug auf Richtigkeit und Schnelligkeit der Informationsaufnahme getestet. Auf diese Weise könnten die Berichte nun fortlaufend verbessert werden.
Der Wunsch nach fokussierten Berichten auf dem iPad war auch der Ausgangspunkt für eine Transformation des strategischen Reportings bei der Hannover Rück. Dr. Sven Heinrich präsentierte, wie die Berichte des Rückversicherers alle aus der Strategischen Planung abgeleiteten Inhalte erfassen und dem Management „auf den Punkt“ gebracht visuell darstellen.
Eine besondere Form der User Experience präsentierte SAP mit der Vorstellung des „Digital Board Rooms“, mit dem der SAP-Vorstand die Unternehmensentwicklung laufend im Blick hält und auch Vorstandssitzungen digital unterstützt. Der Digital Board Room bietet, angelehnt an eine Balanced Scorecard-Logik, alle entscheidungsrelevanten KPIs in verschiedenen Sichten und ermöglicht per Touchscreen eine direkte Navigation durch die Unternehmens-Performance. Weg von manuell aufbereiteten PowerPoint-Präsentationen im Vorstand hin zu mehr direkter Ad-hoc-Navigation, so die Empfehlung von SAP-Experte Dr. Jürgen Hagedorn.
Visuelles Protokoll fasst Herausforderungen im digitalen Reporting zusammen
Da Bilder sich ähnlich wie visualisierte Berichte leichter einprägen als allein das gesprochene Wort, wurden die Highlights der Konferenz mittels Graphic Recording in einem „visuellen Protokoll“ zusammengefasst. Das bildliche Protokoll kann auf der Website von Horváth & Partners heruntergeladen werden. Neben den Vorträgen wurde auch wieder eine onlineTED-Befragung zu aktuellen Themen und Herausforderungen durchgeführt, deren Ergebnisse ebenfalls online bei Horváth & Partners abrufbar sind.
Ausblick
Die Vorträge und Diskussionen zeigten, dass sich das Reporting mitten im digitalen Umbruch befindet. Auch wenn das Ziel heute noch nicht immer ganz klar ist, hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, heute mit dem Sammeln und Zusammenbringen von Daten zu beginnen und erste Pilotanwendungen aufzubauen. Schnelligkeit und Pragmatismus sind dabei gefragt, um die Erfahrungen in neuen Methoden mit Big Data, Predictive Analytics & Co zu gewinnen und später die Anwendung in „Digital Factories“ zu erschließen.
Bei der aktuellen Geschwindigkeit der Entwicklung sind auf der 12. Fachkonferenz Reporting am 31.05. und 01.06.2017 in Berlin wieder zahlreiche neue Ansätze und Lösungen zu erwarten.