Warum nachhaltiges strategisches Denken heute so wichtig ist
Prof. Dr. Thomas Wunder gehört zu den führenden Vordenkern der Verbindung von Strategie und Nachhaltigkeit. Er ist überzeugt, dass sich nur durch die intelligente Verknüpfung von wirtschaftlicher, ökologischer und sozialer Wertschöpfung die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen und auch der Gesellschaft verwirklichen lässt.
Seit Mitte der 90er Jahre wird von vielen Unternehmen die Schnittmenge aus „Planet, People und Profit“ als Nachhaltigkeit verstanden und als „Triple Bottom Line“ bezeichnet. Der Professor für Strategisches Management an der Hochschule Neu-Ulm veranschaulicht zum Einstieg seines Vortrags den Besuchern, dass es sich beim Thema Nachhaltigkeit vielmehr um verschachtelte Kreise, sogenannte „Nested Circles“ handeln sollte.
Entscheidend bei dieser Darstellung ineinandergreifender Systeme seien die wechselseitigen Abhängigkeiten, die zeigen, dass die Rechnung aus Wirtschaft und Gesellschaft nicht ohne die Umwelt gemacht werden könne. Dies sei in der Vergangenheit aber zu oft geschehen.
Jährliche Ressourcen-Regeneration schon nach 7 Monaten verbraucht
Die Folgen wirtschaftlichen Handelns für die Schaffung von Wohlstand und Wachstum, aber auch für die Umwelt unterstreicht der Professor anhand einiger Statistiken. Nachdenklich stimmt die Konferenzbesucher dabei u.a. eine Illustration, nach der die Menschen seit 1970 jedes Jahr zunehmend mehr natürliche Ressourcen verbrauchen als die Erde in einem Jahr regenerieren kann. So war im Jahr 2018 bereits am 1. August die Biokapazität verbraucht, die uns in diesem Jahr zur Verfügung stand.
Prof. Wunder gibt dem Publikum zudem Aufschluss über das Anthropozän, das ein neues Zeitalter beschreibt, in dem der Mensch mit seinen Aktivitäten zum wichtigsten Einflussfaktor auf die lebenserhaltenden Systemprozesse unserer Erde geworden ist. Die heutige Gesellschaft sei die erste Generation, die nicht nur die fatalen Konsequenzen menschlichen Handelns –wie beispielsweise den Klimawandel oder das Artensterben – unmittelbar zu spüren bekommt, sondern auch die Weichen für die nachfolgenden Generationen stellt.
Nachhaltige Strategiearbeit 2.0 setzt sich nur langsam durch
Für Unternehmen stellt sich in diesem Kontext die Frage, wie sie durch die intelligente Verbindung von Strategie und Nachhaltigkeit ihren Handlungsspielraum erweitern und langfristig den eigenen Erfolg sicherstellen können. Prof. Wunder unterteilt die unternehmerischen Denkweisen zur Verknüpfung von Strategie und Nachhaltigkeit in drei Stufen:
- „Strategizing-as-usual“: Was kann mein Geschäft für Kunden und Anteilseigner tun? Es handelt sich um gewöhnliche Strategiearbeit, die sich an den Ansprüchen der relevanten Interessengruppen orientiert und ein überdurchschnittlich gutes finanzielles Ergebnis anstrebt. Nachhaltigkeit wird dann berücksichtigt, wenn es von den für den finanziellen Erfolg wichtigen Interessengruppen gefordert wird.
- „Sustainable Strategizing 1.0“: Was kann Nachhaltigkeit für mein Geschäft tun? Unternehmen suchen aktiv nach „Business Cases for Sustainability“, d.h. nach Möglichkeiten, wie sie mit freiwilligen ökologischen und sozialen Leistungen ihren finanziellen Erfolg verbessern können. Sozioökologische Themen werden dann mit der Strategie verknüpft, wenn es sich kurz- oder mittelfristig finanziell lohnt.
- „Sustainable Strategizing 2.0“: Was kann mein Geschäft für Nachhaltigkeit tun? Unternehmen streben mit ihren Strategien nach wirkungsvollen Lösungsbeiträgen für die großen und dringenden Probleme unserer Zeit. Sie erkennen, wie wichtig eine intakte Gesellschaft und Umwelt für ihre eigene Zukunftsfähigkeit sind und möchten mit „Purpose-Driven Strategies“ langfristig den eigenen Erfolg sicherstellen.
Obgleich viele traditionelle Strategieansätze den Fokus besonders auf die erste Stufe richten, also das Schaffen von „Shareholder Value“ durch „Customer Value“, so zeichnet sich langsam ein Wandel hin zur nachhaltigen Strategiearbeit 2.0 ab. Viele Unternehmen hätten verstanden, dass es in der heutigen Zeit nicht mehr nur um Schadensbegrenzung geht, sondern darum, positive Wirkungen auf unsere lebenserhaltenden sozioökologischen Systeme zu erzielen. Neue Technologien können einen wichtigen Beitrag für „mehr Nachhaltigkeit“ statt „weniger Nicht-Nachhaltigkeit“ leisten.
Allerdings sei auch zu erkennen, dass ein wirkliches Umdenken nur langsam stattfinde. Deutlich macht das Prof. Wunder an der Umsetzung der Sustainable Development Goals (SGD) der Vereinten Nationen. Dies sei zwar mittlerweile ein weithin adaptierter Ansatz vieler Unternehmen zur Messung ihres Beitrags für eine nachhaltige Entwicklung – allerdings seien die adressierten Ziele häufig nicht die dringlichsten, sondern die komfortabelsten. So würden die vier ökologischen, laut Prof. Wunder „nicht verhandelbaren“, Ziele im Vergleich zu vielen anderen deutlich weniger von den Unternehmen adaptiert. Dieses Defizit zeigt sich unter anderem dadurch, dass heute von neun Belastbarkeitsgrenzen der Erde vier bereits bedrohlich überschritten sind:
- Intaktheit der Biosphäre (Genetische und funktionale Vielfalt)
- Klimawandel
- Landnutzungswandel
- Biogeochemische Flüsse
Nachhaltigkeit und Erfolg – Beispiele aus der Unternehmenspraxis
Um deutlich zu machen, wie nachhaltige Strategiearbeit 2.0 in der Realität umgesetzt wird, hat Prof. Wunder vier Unternehmensbeispiele aufgeführt. Unternehmen wie Unilever, Vaude oder Interface verfolgen Strategien mit einer langfristigen Wertschöpfung für die Umwelt, die Menschen und das Unternehmen. Ein weiteres Beispiel ist die Firmenich International SA mit Sitz in Genf, die weltweit Lebensmittel- und Kosmetikhersteller mit Aromen und Duftstoffen beliefert. Das Unternehmen lässt seine Sustainability Performance anhand eines ausführlichen Kriterienkatalogs reporten und hat im letzten Jahr als eines von zwei der über 7.000 teilnehmenden Unternehmen ein „AAA“-Rating für „Climate“, „Water“ und „Forests“ der unabhängigen Nichtregierungsorganisation CDP erreicht.
Dabei hat das Unternehmen nicht nur selbst eine hohe Nachhaltigkeitsperformance aufzuweisen. Vielmehr hat der CEO von Firmenich, Gilbert Ghostine, seinen Kunden angeboten, sie bei der Entwicklung eigener nachhaltiger Strategien zu unterstützen. Diese systemische Denkweise des Unternehmens, nicht nur das eigene Geschäft, sondern ganze Märkte in Richtung Nachhaltigkeit zu transformieren, stellt ein Beispiel für „purpose-driven“ bzw. nachhaltige Strategiearbeit 2.0 dar.
Nachhaltigkeit in Strategie und Handeln umsetzen
Die Quintessenz der Praxisbeispiele führt vor Augen, dass Unternehmen heute in der Lage sein müssen, die gegenwärtige strategische Ausrichtung aus der gewünschten Zukunft her zu betrachten und zu hinterfragen: „Wie sieht unser erfolgreiches Geschäftsmodell in einer nachhaltigen Zukunft aus?“, so Prof. Dr. Wunder. Demnach müssten sich Unternehmen auch die Frage stellen, inwieweit ihre digitale Transformation auch zu einer nachhaltigen Transformation ihres Geschäfts führt. So seien digitale Geschäftsmodelle ohne Beachtung des sozioökologischen Kontexts der „Nested Circles“ gem. Prof. Wunder nicht zukunftsfähig. Die Beantwortung dieser Fragen kann mit neuen Managementmethoden für nachhaltige Strategiearbeit unterstützt werden. Für die Besucher der Konferenz stellt sich damit die Aufgabe herauszufinden, wie „nachhaltig“ ihre eigene Strategiearbeit ist und wie „zukunftsfähig“ die daraus resultierenden Strategien sind.