Why? – Unternehmen müssen ihre Positionierung überdenken
Bereits vor Corona wurde die Positionierung von Unternehmen in einem veränderten Verständnis von Kapitalismus intensiv diskutiert, stellt Dr. Ottenberg einleitend fest. Der frühere CEO, u. a. von Giesecke & Devrient sowie der BSH Home Appliances Group, verweist auf das diesjährige World Economic Forum in Davos und auf das dort veröffentlichte Manifest. Dieses verlangt das Neudenken des Kapitalismus und das Überdenken der Rolle von Unternehmen in der Gesellschaft. Konkret fordert das Manifest: ”[…] that [they] should pay their fair share of taxes, show zero tolerance for corruption, uphold human rights throughout their global supply chains, and advocate for a competitive level playing field.”
Purpose – nur ein PR-Gag?
Die Bedeutung des geforderten Umdenkens wird auch mit Blick auf die 2015 von der UN ausgerufenen Nachhaltigkeitsziele für 2030 deutlich, die ohne die Aktivierung wesentlicher Ressourcen großer Konzerne nach aktuellen Prognosen erst 2094 erreicht würden. „Firmen sind mehr als persönliche Wealth-Generatoren, sie müssen sich als wichtiger Bestandteil des globalen Systems um die integrierten ökonomischen, ökologischen und sozialen Konsequenzen ihrer Strategien kümmern“ appelliert Dr. Ottenberg. Viele Unternehmen haben in den letzten Jahren begonnen, sich mit ihrem übergeordneten Unternehmenszweck zu beschäftigen und einen Purpose definiert.
Die Definition des Purpose wurde jedoch mit sehr unterschiedlicher Ernsthaftigkeit und Tiefsinnigkeit vorangetrieben. Es stellt sich deshalb die Frage, ob sich in den Unternehmen eine nachhaltige Veränderung mit einem durchgängigen Transformationsprogramm einstellt oder ob es sich nur um einen kurzfristigen, reaktiven und in erster Linie PR wirksamen Hype, ähnlich dem Greenwashing handelt.
Unternehmen, die sich den dringend notwendigen Veränderungen ihres Selbstverständnisses und ihrer Positionierung nicht stellen, werden in der kommenden Dekade ihre „license-to-operate“ von Kunden und Mitarbeitern verlieren, so der Experte.
What? –Wertgenerierung muss neu durchdacht werden
Das Grundverständnis, wie Wert geschaffen wird, unterteilt produktive (wertgenerierend) und unproduktive (wertextrahierend) Sektoren. Produktive Sektoren werden vor allem mit dem privaten Sektor in Verbindung gebracht. Unproduktive Sektoren dagegen vor allem mit dem öffentlichen und sozialen Sektor. Dr. Ottenberg stellt klar, dass aufgrund des aktuellen Grundverständnisses Faktoren wie die Umweltverschmutzung und soziale Konsequenzen des unternehmerischen Handelns lediglich als Externalitäten des produktiven Sektors angesehen werden. Die ökonomische Ausrichtung des Produktivsektors führt jedoch immer mehr zu bekannten Problemen wie Umweltverschmutzung, Armut und sozialer Ungerechtigkeit. Um dem entgegenzuwirken, braucht es eine neue Definition von Wert sowie des produktiven Sektors in Summe (Abb. 2 in der Bilderserie). Dr. Ottenberg regt eine Definition des produktiven Sektors an, der sowohl den privaten als auch den öffentlichen und sozialen Sektor umfasst und so zu einer nachhaltigen Wertgenerierung beiträgt. Es bedarf also zunächst einem vierten Sektor, der sich integrativ und inklusiv nicht nur auf die ökonomische, sondern auch auf die ökologische und soziale Konsequenz des Handels fokussiert (Abb. 3 in der Bilderserie). Dr. Ottenberg betont, dass darüber hinaus das Aufbrechen der Silos zwischen den Sektoren essenziell ist, um unter synchronisiertem Einsatz der Ressourcen aller Sektoren die gewünschte Wirkung zu erzielen.
How? – Transformation muss proaktiv vorangetrieben werden
„Transformation ist keine partikuläre Veränderung einzelner Unternehmensaktivitäten […] sondern eine bewusst integrale Neuausrichtung des Unternehmens“, so Dr. Ottenberg. Doch wie genau stellen sich Unternehmen mit Blick auf die Neuausrichtung im Rahmen der Nachhaltigkeit dieser Aufgabe?
Der ehemalige Executive beschreibt hierzu drei aktuell beobachtbare Ansätze: Optimize, Augment, Transform.
Die Ansätze „Optimize“ und „Augment“ können eher als reaktiv bezeichnet werden und bereiten den Weg zu einer tatsächlichen Transformation nur vor. Sie beinhalten Maßnahmen wie eine bessere Kommunikation, eine neue Brand-Positionierung oder eine Reduktion „schlechter“ Externalitäten im Rahmen der Anpassung von Produkten und Prozessen der Unternehmen. Die tatsächliche Transformation von Unternehmen kann hingegen nur in einer proaktiven Art und Weise der Auseinandersetzung geschehen, deren zentrales Element die klare Formulierung eines Unternehmenspurpose ist, der sämtliche Stakeholder emotional motiviert. Darauf aufbauend gilt es, neue und integrierte Geschäftsmodelle zu entwickeln, die ökonomische, ökologische und soziale Aspekte beinhalten. Daraus ergeben sich notwendige Änderungen in den Kernprozessen und insbesondere Innovationen zum langfristigen Umbau des Portfolios. Kultur, Führungsverständnis und Organisation bilden notwendige Säulen, die konsistent mitentwickelt werden müssen.
Corporate-Transformation kann nur ganzheitlich funktionieren
Abschließend betont Dr. Ottenberg, dass die klare Formulierung, die kontinuierliche Kommunikation und die konsequente Sichtbarkeit in den Entscheidungsprozessen des Purpose die Grundlage für einen erfolgreichen Transformationsprozess ist. Zudem unterstreicht er die Wichtigkeit des stimmigen Zusammenspiels von Why, What & How. Ein Transformationsprozess kann nur gelingen, wenn diese Aspekte Hand in Hand gehen, der Prozess die volle Unterstützung der Shareholder hat und die Führungsebene des Unternehmens sichtbar und gemeinsam das Why, What & How vorantreibt.
Zur Person: In seiner Zeit als Vorstand und Geschäftsführer war Dr. Karsten Ottenberg unter anderem CEO von Giesecke & Devrient, sowie der BSH Home Appliances Group. Seine umfangreichen Erfahrungen mit Unternehmenstransformationen will er nun weitergeben. Zusammen in einem Netzwerk aus Partnern unterstützt er Konzernlenker und Entrepreneure, die ihre Unternehmen konsequent auf ökonomische, ökologische und soziale Nachhaltigkeit ausrichten wollen. |