Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzung einer Überraschungsentscheidung
Leitsatz (NV)
Eine verfahrensrechtlich unzulässige Überraschungsentscheidung liegt nicht vor, wenn das FG sein Urteil auf einen Gesichtspunkt stützt, auf den das FA im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren hingewiesen hatte. Das gilt auch dann, wenn der betreffende Gesichtspunkt im Klageverfahren nicht mehr angesprochen worden war.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 2
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob im erstinstanzlichen Verfahren das Recht der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) auf Gehör verletzt worden ist.
Die Klägerin ist eine GmbH, an der von 1975 bis 1991 (Streitjahr) K und G zu je 50 v.H. beteiligt waren. Beide waren zugleich Geschäftsführer der Klägerin. In dieser Eigenschaft hatte G von der Klägerin im Jahr 1980 eine Pensionszusage mit folgendem Inhalt erhalten:
"§ 1 Altersversorgung
Mit Erreichen des Pensionsalters erhalten Sie eine Altersrente in Höhe von 2.000 DM monatlich, sofern Sie bis zu diesem Zeitpunkt in den Diensten der Firma gestanden haben.
§ 2 Witwenrente
Ihre Ehefrau erhält 60 % der Altersrente, die Sie bei Ihrem Tode bezogen haben oder auf die Sie Anspruch gehabt hätten …
§ 3 Vorzeitiges Ausscheiden
Bei einem Ausscheiden aus der Firma vor dem Pensionsalter aus anderen als Altersgründen stellt sich der Anspruch aus dieser Zusage gemäß den Ausführungen im Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (Betr.AVG) vom 19. Dezember 1974
….
§ 5 Pensionsalter
Als Pensionsalter gilt die Vollendung des 65. Lebensjahres. …
Mit K wurde im Jahr 1996 eine ähnliche Vereinbarung getroffen, die jedoch zusätzlich Bestimmungen zum Fall des Versterbens vor Erreichen der Altersgrenze enthielt.
Der im Februar 1939 geborene G verstarb im März 1991. Er hinterließ eine im Jahr 1942 geborene Witwe W. Die Klägerin bildete deshalb in ihrer Bilanz auf den 31. Dezember 1991 eine Pensionsrückstellung, bei deren Berechnung sie von einer Verpflichtung zu monatlichen Rentenleistungen in Höhe von 1 200 DM ausging. Demgegenüber vertrat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) die Auffassung, dass gemäß § 3 der Pensionszusage nur ein gekürzter Rentenanspruch der W bestehe. Der maßgebliche Anteil ergebe sich aus dem Verhältnis der tatsächlichen Dienstzeit des G bei der Klägerin (16 Jahre) zu der insgesamt möglichen Dienstzeit (29 Jahre). W habe deshalb nur eine Rente von 662 DM monatlich zugestanden. Auf dieser Basis behandelte das FA die Zuführung zur Pensionsrückstellung teilweise als verdeckte Gewinnausschüttung (vGA).
Die hiergegen gerichtete Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen. In den Gründen seines Urteils ist ausgeführt, dass die dem G erteilte Pensionszusage den Fall des Versterbens vor Erreichen der Altersgrenze nicht klar und eindeutig regele. Als Versorgungsfall sehe die Vereinbarung ihrem Wortlaut nach nur das Erreichen der Altersgrenze vor. Es fehle daher an einer steuerlich anzuerkennenden Regelung für die tatsächlich eingetretene Situation, so dass die Zahlungen an W teilweise vGA darstellten. Die Revision gegen sein Urteil ließ das FG nicht zu.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin eine Verletzung ihres Rechts auf Gehör.
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet. Der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Das angefochtene Urteil ist keine Überraschungsentscheidung, die das Recht der Klägerin auf Gehör verletzt.
1. Nach § 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) darf ein finanzgerichtliches Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Darüber hinaus muss das FG nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die Beteiligten auch in rechtlicher Hinsicht auf entscheidungserhebliche Erwägungen und Gesichtspunkte hinweisen, mit denen sie erkennbar nicht gerechnet haben und auch nicht rechnen mussten. Verstößt das FG gegen diese Verpflichtung, so verletzt es hierdurch das verfassungsrechtlich geschützte (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) Recht eines Beteiligten auf Gehör (BFH-Urteil vom 23. September 1999 VI R 106/98, BFH/NV 2000, 448; Senatsbeschlüsse vom 16. Mai 2001 I B 84/00, BFH/NV 2001, 1425; vom 15. November 2001 I B 124/00, BFH/NV 2002, 919, m.w.N.).
Auf der anderen Seite ist gleichermaßen anerkannt, dass das FG nicht verpflichtet ist, die Rechtslage mit den Beteiligten zu erörtern oder ihnen mitzuteilen, auf welche Umstände und Überlegungen es seine Entscheidung voraussichtlich stützen wird. Das gilt vor allem im Verhältnis zu einem Beteiligten, der ―wie im Streitfall die Klägerin― im gerichtlichen Verfahren von einem rechtskundigen Berater vertreten wird. Jedenfalls in einem solchen Fall wird das Recht des Beteiligten auf Gehör nur dann verletzt, wenn das FG seine Entscheidung auf eine Erwägung stützt, die weder im Besteuerungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren zur Sprache gekommen war und zu deren Berücksichtigung der Beteiligte nach dem bisherigen Verfahrensverlauf keinen Anlass hatte (BFH-Urteil vom 12. August 1999 XI R 27/98, BFH/NV 2000, 537; BFH-Beschlüsse vom 25. April 2001 V B 208/00, BFH/NV 2001, 1566; vom 2. April 2002 X B 56/01, BFH/NV 2002, 947). Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt hingegen nicht vor, wenn das FG im Urteil einen rechtlichen Gesichtspunkt als maßgebend herausstellt, der im bisherigen Verfahren zumindest am Rande angesprochen wurde (BFH-Urteil in BFH/NV 2000, 448, m.w.N.). Dasselbe gilt erst recht dann, wenn das Urteil des FG auf einer Überlegung beruht, die zuvor von den Beteiligten kontrovers diskutiert worden ist (Senatsbeschluss vom 22. Dezember 1999 I B 158/98, BFH/NV 2000, 710).
2. Im Streitfall hat das FG die Annahme einer vGA damit begründet, dass die streitige Pensionsvereinbarung die Problematik des vorzeitigen Versterbens des G nicht eindeutig regele. Damit fehle es insoweit an einer im Vorhinein getroffenen klaren Vereinbarung, wie sie das Steuerrecht bei Rechtsgeschäften zwischen einer Gesellschaft und ihrem beherrschenden Gesellschafter verlange. Ein solches Beherrschungsverhältnis hat das FG im Streitfall deshalb für gegeben erachtet, weil K und G hinsichtlich der Pensionszusage gleichgerichtete Interessen verfolgt hätten. Diese Argumentation kann schon deshalb nicht zum Vorliegen einer Überraschungsentscheidung führen, weil ausweislich des FG-Urteils schon der vom FA eingeschaltete Fachprüfer die Ansicht vertreten hatte, die Rentenzahlungen an W stellten möglicherweise wegen Verletzung des Klarheitsgebots insgesamt vGA dar. Diese Überlegung war der Klägerin aus dem im Verwaltungsverfahren geführten Schriftwechsel bekannt. Damit war die Frage nach dem Vorliegen einer hinreichend klaren und eindeutigen Regelung ausdrücklich angesprochen worden, was die Annahme einer Überraschungsentscheidung ausschließt.
Fundstellen
Haufe-Index 946406 |
BFH/NV 2003, 1058 |