Entscheidungsstichwort (Thema)
Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens; Beweiserhebung über Indizien
Leitsatz (NV)
1. Das Tatsachengericht ist nicht allein schon deshalb verpflichtet, ein weiteres Gutachten eines Sachverständigen einzuholen, weil ein Beteiligter meint, das bereits vorliegende Gutachten sei keine ausreichende Erkenntnisquelle.
2. Beantragt ein Beteiligter die Beweiserhebung über eine indizielle Tatsache, muß das FG prüfen, ob dieses Indiz -- seine Richtigkeit unterstellt -- es von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen würde (vgl. BGH-Urteil vom 25. November 1992 XII ZR 179/91, NJW-RR Zivilrecht 1993, 443).
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 79a Abs. 4, §§ 81-82; ZPO §§ 284, 404, 412
Verfahrensgang
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) hat auf der Rechtsgrundlage des § 79 a Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch den Einzelrichter im schriftlichen Verfahren entschieden. Hierzu hatte der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) mit Schriftsatz vom 11. Februar 1993 sein Einverständnis erklärt. Im Anschluß hieran haben am 13. August 1993, am 3. September 1993 und am 5. Dezember 1994 nichtöffentliche Erörterungstermine stattgefunden.
§ 104 Abs. 2 FGO betrifft den hier nicht gegebenen Fall, daß das aufgrund einer mündlichen Verhandlung erlassene Urteil nicht verkündet, sondern den Beteiligten zugestellt wird. Die mit Schriftsatz vom 19. Februar 1996 -- mithin außerhalb der am 5. Oktober 1995 abgelaufenen Beschwerdefrist -- erhobene Rüge, das FG habe gemäß § 90 FGO aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden müssen, da das Einverständnis zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren "verbraucht" sei, ist verspätet erhoben.
Entscheidungsgründe
Das FG konnte die Einholung eines -- weiteren -- Gutachtens verfahrensfehlerfrei ablehnen. Die Zuziehung eines Sachverständigen steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Hat es die nötige Sachkunde selbst, braucht es einen Sachverständigen nicht hinzuzuziehen (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 12. April 1994 IX R 101/90, BFHE 174, 301, BStBl II 1994, 660, mit Nachweisen der Rechtsprechung). Das dem Tatsachengericht bei der Bestimmung von Art und Zahl einzuholender Sachverständigengutachten nach § 82 FGO i. V. m. §§ 404, 412 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zustehende Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung weiterer Gutachten oder gutachtlicher Stellungnahmen absieht, obwohl sich ihm die Notwendigkeit dieser zusätzlichen Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen. So verhält es sich, wenn die Grundvoraussetzungen für die Verwertbarkeit bereits vorliegender Gutachten insbesondere deswegen nicht gegeben sind, weil sie offen erkennbare Mängel aufweisen, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen oder unlösbare Widersprüche enthalten, wenn ferner Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter bestehen oder ihnen das einschlägige spezielle Fachwissen fehlt. Das Tatsachengericht ist hingegen nicht allein schon deshalb verpflichtet, ein weiteres Gutachten oder zusätzliche gutachtliche Äußerungen einzuholen, weil ein Beteiligter meint, das bereits vorliegende Gutachten sei keine ausreichende Erkenntnisquelle (Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts -- BVerwG -- vom 30. März 1995 8 B 167/94; Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310 § 98 VwGO, Nr. 48). -- So liegt es hier.
Das FG ist verfahrensfehlerfrei davon ausgegangen, daß ein exakter Nachweis mittels (Nach-)Kalkulation im Hinblick auf die Ungewißheit der hierfür erforderlichen Basisdaten nicht möglich sei und daß von einem weiteren "Privatgutachten" weitere Aufschlüsse nicht zu erwarten seien.
Das FG hat entgegen der Darlegung in der Beschwerdeschrift -- mittels Bezugnahme auf die Gründe seines Urteils vom 16. Februar 1995 I 113/93 (I 102/88) -- die gesamte Einlassung des Klägers in den straf- und finanzgerichtlichen Verfahren überprüft und sich der Würdigung des amtsgerichtlichen Urteils angeschlossen. Das war nach ständiger Rechtsprechung zulässig (vgl. BFH-Beschluß vom 17. Dezember 1991 VII B 163/91, BFH/NV 1992, 612, m. w. N.). Denn das FG hat seine Entscheidung weiterhin ("hinzu kommt") darauf gestützt, daß der Kläger keine substantiierten Einwendungen gegen die Richtigkeit seines Geständnisses im Strafverfahren vorgetragen habe. Der Kläger hat zu keinem Zeitpunkt dargelegt, welche Kenntnis von -- anderen als bereits bekannten -- Tatsachen, Erfahrungssätzen oder Schlußfolgerungen aus Tatsachen und/oder Erkenntnissätzen in das Wissen eines Sachverständigen zu stellen wären. Das Ergebnis einer Nachkalkulation konnte im Streitfall nur so exakt sein wie die in ihr verwendeten -- notwendigerweise nicht genauen -- Ausgangswerte. Daß die bisher in den Rechtsstreit eingeführten Nachkalkulationen "schulmäßig" oder aus anderen Gründen fehlerhaft gewesen wären, hat der Kläger nicht geltend gemacht.
3. Die vom Kläger im Schriftsatz vom 12. Januar 1995 unter Beweis gestellte Tatsache, "daß er in erheblichem Umfang auch mit den Fahrern seiner Mutter abgerechnet" habe, soll nach seiner Darlegung ein Indiz dafür sein, daß seiner Mutter zustehende Betriebseinnahmen in die "Innendeckel- Zahlen" eingeflossen seien. Auch die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge greift nicht durch. Das FG mußte vor der Beweiserhebung prüfen, ob das Indiz -- seine Richtigkeit unterstellt -- es von der Wahrheit der Haupttatsache (Erfassung von Betriebseinnahmen seiner Mutter in den "Innendeckel-Zahlen") überzeugen würde (vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25. November 1992 XII ZR 179/91, NJW- Rechtsprechungs-Report, Zivilrecht, 1993, 443). Diese Frage hat es -- wiederum unter Bezugnahme auf das o. a. Urteil vom 16. Februar 1995 -- verfahrensfehlerfrei verneint.
4. Der Vorsitzende Richter am Landgericht soll nach Darlegung des Klägers im Strafverfahren erklärt haben, "daß das Finanzgericht unabhängig vom Urteil des Landgerichts in eigener Zuständigkeit entscheiden werde". Die diesbezügliche unter Beweis gestellte Behauptung des Klägers war für das FG aber nicht entscheidungserheblich, da es zutreffend angenommen hat, daß es an die Feststellungen im Strafverfahren nicht gebunden sei.
Im übrigen ergeht der Beschluß gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ohne Begründung.
Fundstellen
Haufe-Index 421498 |
BFH/NV 1996, 773 |