Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an Verfahrensrügen wegen Verletzung rechtlichen Gehörs und wegen unterlassener Aussetzung wegen Musterprozeß; keine Zulassung der Revision wegen Kostenentscheidung
Leitsatz (NV)
1. Für eine ordnungsgemäße Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist in der Regel ein substantiierter Vortrag erforderlich, was bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen worden wäre.
2. Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge, das FG habe das Verfahren wegen eines vor dem BVerfG anhängigen Musterprozesses aussetzen müssen, erfordert eine genaue Bezeichnung des angeblichen Musterprozesses und die substantiierte Darlegung, daß dieses Musterverfahren die von der Rechtsprechung aufgestellten tatsächlichen Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung erfüllt.
3. Eine in der Hauptsache unzulässige Nichtzulassungsbeschwerde wird nicht dadurch zulässig, daß die Kostenentscheidung eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft oder auf einer Abweichung von einer Entscheidung des BFH oder auf einem Verfahrensmangel beruht.
Normenkette
FGO §§ 74, 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 3, § 128 Abs. 4, § 145; FGO a.F. § 145 Abs. 1; BFHEntlG a.F. Art. 1 Nr. 4
Tatbestand
Für den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob sein Prozeßbevollmächtigter Einspruch gegen den Bescheid vom 10. Dezember 1990 über Lohnsteuer-Jahresausgleich für das Streitjahr (1989). Der Einspruch wurde u.a. damit begründet, daß der Grundfreibetrag aus verfassungsrechtlichen Gründen zu niedrig sei. Außerdem richtete sich der Einspruch u.a. gegen die nach Auffassung des Prozeßbevollmächtigten des Klägers nicht ordnungsgemäße Bekanntgabe des Bescheides an den Kläger.
Der Kläger bat in der Einspruchsschrift, im Falle der Nichtstattgabe des Einspruchs umgehend eine rechtsbehelfsfähige Entscheidung zu fällen.
Mit Schriftsatz vom 29. Januar 1992 - beim Finanzgericht (FG) eingegangen am 11. Februar 1992 - erhob der Prozeßbevollmächtigte für den Kläger Untätigkeitsklage gemäß § 46 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG wies die Klage u.a. unter Hinweis auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 8. Mai 1992 III B 138/92 (BFHE 167, 303, BStBl II 1992, 673) als unzulässig ab, weil sie mißbräuchlich erhoben worden sei. Die Kosten des Verfahrens auferlegte das FG dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers, weil es auf dem groben Verschulden des Prozeßbevollmächtigten beruhe, daß es zu dem rechtsmißbräuchlichen Verfahren gekommen sei.
Die Revision ließ das FG nicht zu.
Hiergegen richtet sich die für den Kläger von seinem Prozeßbevollmächtigten erhobene Nichtzulassungsbeschwerde. Sie ist gestützt auf Verfahrensfehler und grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Einen Verfahrensfehler sieht der Prozeßbevollmächtigte des Klägers darin, daß die Ladung zur mündlichen Verhandlung und das angefochtene Urteil nicht ordnungsgemäß zugestellt worden seien. Auf der Sendung sei nur das gerichtliche Aktenzeichen und nicht ein weiterer unverwechselbarer Zusatz (z.B. Ladung zum 19. Oktober 1992, Urteil vom 19. Oktober 1992) vermerkt gewesen. Es fehle daher an einem eindeutigen Identitätsnachweis. Deshalb habe weder die Ladungsfrist noch die Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zu laufen begonnen.
Ein weiterer Verfahrensfehler liegt nach Auffassung des Prozeßbevollmächtigten des Klägers darin, daß das FG das Verfahren nicht gemäß § 74 FGO ausgesetzt habe. Mit Schriftsatz vom 31. Juli 1992 sei dem FG mitgeteilt worden, daß vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ein gleichgelagertes Verfahren anhängig sei.
Grundsätzliche Bedeutung hat die Sache nach Auffassung des Prozeßbevollmächtigten des Klägers wegen der Kostenentscheidung. Es sei vom Bundesfinanzhof (BFH) bisher nicht entschieden worden, ob die Verfahrenskosten einem Prozeßbevollmächtigten auferlegt werden könnten, obwohl er nicht Beteiligter des Verfahrens sei und eine ordnungsgemäße Prozeßvollmacht vorgelegt habe. Die Entscheidung des BFH zu dieser Frage sei über den zu entscheidenden Fall hinaus für alle Kläger von Bedeutung, die sich durch Prozeßbevollmächtigte vertreten ließen.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig.
1. Etwaige Verfahrensmängel sind nicht ordnungsgemäß gerügt worden.
a) Die Rüge nicht ausreichender Angaben auf den Sendungen bei der Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung und des angefochtenen Urteils entspricht nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rüge eines Verfahrensmangels. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist die Revision nur zuzulassen, wenn die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann.
In der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist deshalb darzulegen, weshalb das angefochtene Urteil auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann (Klein/Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, Tz. 164 m.w.N.). Daran fehlt es im Streitfall.
Der Kläger macht nur geltend, es hätte keine Frist zu laufen begonnen. Damit wird nicht gerügt, daß das Urteil inhaltlich von dem geltend gemachten Verfahrensmangel beeinflußt sein könnte.
Zwar könnte in der Verletzung von Zustellungsvorschriften (z.B. bei nicht ordnungsgemäßer Ladung) die Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör liegen (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 91 Rdnr. 14). Bei einer Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs sind Ausführungen entbehrlich, daß die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann, da es sich um einen absoluten Revisionsgrund handelt (§ 119 Nr. 3 FGO). Für eine ordnungsgemäße Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs wäre aber ein substantiierter Vortrag erforderlich gewesen, wozu sich der Kläger infolge der von ihm behaupeten Zustellungsmängel nicht äußern konnte und was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte (Klein/Ruban, a.a.O., Tz. 167 mit Rechtsprechungsnachweisen). Dazu haben die Kläger nichts vorgetragen.
b) Auch der behauptete Verfahrensfehler, daß das FG das Klageverfahren hätte aussetzen müssen, ist nicht ordnungsgemäß vorgetragen worden. Die Bezeichnung eines Verfahrensmangels in einer Nichtzulassungsbeschwerde erfordert die genaue Angabe der Tatsachen, aus denen sich nach Auffassung des Beschwerdeführers ein Verfahrensverstoß ergibt (Klein/Ruban, a.a.O., Tz. 164). Bei der Anhängigkeit eines zur Verfahrensaussetzung zwingenden Musterprozesses vor dem BVerfG geht es um eine Tatsache (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 9. August 1991 III R 48/90, BFHE 165, 162, BStBl II 1991, 868 und Urteil des erkennenden Senats vom 9. August 1991 III R 41/88, BFHE 166, 1, BStBl II 1992, 219). Der Kläger hätte daher, um ordnungsgemäß eine Verletzung der Pflicht zur Verfahrensaussetzung zu rügen, u.a. das angeblich vor dem BVerfG anhängige Musterverfahren genau bezeichnen und substantiiert darlegen müssen, daß dieses Musterverfahren die von der Rechtsprechung aufgestellten tatsächlichen Voraussetzungen für eine Verfahrensaussetzung (s. u.a. Beschluß des erkennenden Senats vom 7. Februar 1992 III B 24, 25/91, BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408 und BFH-Beschluß vom 25. August 1993 X B 32/93, BFHE 171, 412, BStBl II 1993, 797) erfüllt (vgl. auch Beschluß des erkennenden Senats vom 27. März 1992 III B 547/90, BFHE 168, 17, BStBl II 1992, 842). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdeschrift des Klägers nicht gerecht.
Sie verweist insoweit nur darauf, daß im Klageverfahren mit Schriftsatz vom 31. Juli 1992 auf eine Verfassungsbeschwerde in einem gleich gelagerten Fall hingewiesen worden sei. Abgesehen davon, daß eine solche Verweisung auf Schriftsätze im Klageverfahren ohnehin nicht ausreicht (vgl. Klein/Ruban, a.a.O., Tz. 151), enthält der genannte Schriftsatz nur das Aktenzeichen einer Verfassungsbeschwerde und die Angabe, daß es sich um einen gleichgelagerten Fall handle. Damit sind nicht die tatsächlichen Voraussetzungen (u.a. Verfahren gegen die Verfassungsmäßigkeit einer im Streitfall anzuwendenden Norm, Massenverfahren) für die Verpflichtung des FG zur Verfahrensaussetzung dargelegt worden.
Im übrigen ist dem Senat aus anderen bei ihm anhängig gewesenen Verfahren, an denen der Prozeßbevollmächtigte des Klägers beteiligt war, bekannt, daß sich die vom Kläger genannte Verfassungsbeschwerde gegen den Senatsbeschluß vom 8. Mai 1992 III B 123/92 (BFH/NV 1993, 244) oder ein Parallelverfahren richtet. Dabei geht es um die Auslegung des § 46 Abs. 1 FGO durch den Senat und die Frage des gesetzlichen Richters. Bei der Verfassungsbeschwerde handelt es sich also nicht um ein Musterverfahren gegen die Verfassungsmäßigkeit einer im Streitfall anzuwendenden Norm, wie es nach der Entscheidung des Senats in BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408 für eine Verfahrensaussetzung erforderlich ist. Der Senat hat bereits wiederholt entschieden, daß die von dem Kläger genannte Verfassungsbeschwerde keinen Grund für eine Verfahrensaussetzung bietet (vgl. u.a. Senatsbeschluß vom 11. August 1992 III B 143/92, BFH/NV 1993, 310).
2. Die Rüge des Klägers in bezug auf die vom FG in dem angefochtenen Urteil getroffene Kostenentscheidung kann der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zur Zulässigkeit verhelfen.
Da die Kosten nicht dem Kläger, sondern seinem Prozeßbevollmächtigten auferlegt worden sind, fehlt es für den Kläger schon an der notwendigen Beschwer. Außerdem kann die Rüge einer fehlerhaften Kostenentscheidung nicht zur Zulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde führen, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde - wie im Streitfall - in der Hauptsache unzulässig ist (BFH-Beschluß vom 26. April 1993 VIII R 101/92, nicht veröffentlicht; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 145 FGO Tz. 1 m.w.N.). Anderenfalls müßte die Einlegung der Revision nur wegen der Kostenentscheidung möglich sein. Das widerspricht aber § 145 Abs. 1 FGO (ab 1. Januar 1993: § 145 FGO). Eine in der Hauptsache unzulässige Nichtzulassungsbeschwerde kann daher selbst dann nicht zulässig sein, wenn die Kostenentscheidung eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft oder auf einer Abweichung von einer Entscheidung des BFH oder auf einem Verfahrensmangel beruht. Es muß vielmehr in bezug auf die Hauptsache ordnungsgemäß ein Zulassungsgrund dargelegt werden, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde zulässig sein soll (vgl. auch BFH-Beschluß vom 12. Oktober 1988 I R 210/84, BFHE 154, 489, BStBl II 1989, 110 zur vergleichbaren Frage bei einer nur auf die Kostenentscheidung bezogenen Rüge nach § 116 Nr. 5 FGO für eine zulassungsfreie Revision).
3. Die Beschwerde wäre im übrigen hinsichtlich des Kostenpunktes selbst dann nicht zulässig, wenn sie insoweit als eigene (im eigenen Namen eingelegte) Beschwerde des Prozeßbevollmächtigten des Klägers aufgefaßt würde. Nach der Rechtsprechung des BFH handelt es sich bei der Auferlegung der Kosten auf den Prozeßbevollmächtigten zwar um eine isolierte Kostenentscheidung, gegen die an sich nach § 145 Abs. 2 FGO in der bis zum 31. Dezember 1992 geltenden Fassung die Beschwerde zulässig ist (s. u.a. BFH-Beschluß vom 11. November 1981 I B 37/81, BFHE 134, 401, BStBl II 1982, 167). Nach Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (ab 1. Januar 1993: § 128 Abs. 4 FGO) ist aber auch gegen eine isolierte Kostenentscheidung die Beschwerde nicht mehr gegeben (u.a. BFH-Beschluß in BFHE 134, 401, BStBl II 1982, 167; BFH-Beschluß vom 31. Januar 1986 VI R 181/81, BFH/NV 1987, 526).
Fundstellen