Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendbarkeit des VStG für alle bis zum 31. Dezember 1996 verwirklichten Tatbestände
Leitsatz (NV)
Die Frage, ob das VStG nach dem 31. Dezember 1996 für noch nicht bestandskräftige Veranlagungen der Veranlagungszeiträume bis einschließlich 1996 noch angewandt werden kann und ob für diese Veranlagungszeiträume eine Steuerbelastung durch Einkommensteuer, Vermögensteuer und indirekte Steuern von mehr als 60 v.H. verfassungsrechtlich zulässig ist, ist durch die Rechtsprechung des BVerfG und des BFH dahingehend geklärt, daß das VStG weiterhin auf alle bis zum 31. Dezember 1996 verwirktlichten Tatbestände anzuwenden ist. Dies gilt auch, soweit durch die Erhebung der Vermögensteuer für Veranlagungszeiträume vor dem 1. Januar 1997 der sog. Halbteilungsgrundsatz verletzt wird.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 1 Nrn. 1-2; VStG § 10 Nr. 1; GG Art. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) hatte gegen den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) mit Änderungsbescheid vom 11. September 1985 für die Jahre 1981 und 1982 Vermögensteuer in Höhe von jeweils 26 860 DM und für die Jahre 1983 bis 1985 mit Änderungsbescheiden vom 10. Juni und 8. Juli 1985 Vermögensteuer in Höhe von jeweils 27 155 DM festgesetzt.
Mit der nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage beantragte der Kläger, die Vermögensteuerfestsetzungen aufzuheben und die Vermögensteuer für die Jahre 1981 bis 1985 auf 0 DM festzusetzen. Er begründete dies im wesentlichen damit, daß das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluß vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655) die Unvereinbarkeit des Vermögensteuergesetzes (VStG) mit dem Grundgesetz (GG) festgestellt und nur bis zum 31. Dezember 1996 eine Übergangslösung zugebilligt habe. Der Kläger machte ferner geltend, daß sich für ihn durch die Anwendung des VStG eine verfassungswidrige steuerliche Gesamtbelastung von mehr als 60 v.H. ergebe.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage als unbegründet abgewiesen.
Das FG hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, der die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) sowie Divergenz (§115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) geltend macht.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist als unbegründet zurückzuweisen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des §115 Abs. 2 Nr. 1 FGO hat und das Urteil des FG auch nicht von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs oder des BVerfG i.S. des §115 Abs. 2 Nr. 2 FGO abweicht.
1. Grundsätzliche Bedeutung
Die vom Kläger in seiner Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage, ob das VStG "nach dem 1. Januar 1997 für noch nicht bestandskräftige Veranlagungen der Veranlagungszeiträume bis einschließlich 1996 noch Anwendung finden kann", hat keine grundsätzliche Bedeutung, denn sie ist hinreichend geklärt. Der Senat hat in nunmehr ständiger Rechtsprechung entschieden, daß das VStG auf alle bis zum 31. Dezember 1996 verwirklichten Tatbestände anzuwenden ist (vgl. Beschluß vom 18. Juni 1997 II B 33/97, BFHE 182, 379, BStBl II 1997, 525; Urteil vom 30. Juli 1997 II R 9/95, BFHE 183, 235, BStBl II 1997, 635; Beschlüsse vom 30. Juli 1997 II B 7/97, BFH/NV 1998, 351; vom 15. Oktober 1997 II B 60/97, BFH/NV 1998, 502, Anm., und vom 29. Oktober 1997 II B 67/97, BFH/NV 1998, 361). Das BVerfG hat in seinem Beschluß in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655 nicht die Nichtigkeit des §10 Nr. 1 VStG, sondern lediglich dessen Unvereinbarkeit mit Art. 3 GG ausgesprochen und zugleich die befristete Weitergeltung des bisherigen Vermögensteuerrechts bis zum 31. Dezember 1996 angeordnet. Die befristete Anordnung des für verfassungswidrig erkannten Rechts ist als eine Regelung über dessen zeitlichen Geltungsbereich mit der Folge zu verstehen, daß es für alle innerhalb dieses zeitlichen Geltungsbereiches verwirklichten Sachverhalte noch Rechtswirkung erzeugt. Diese Rechtsauffassung wurde durch den Beschluß des BVerfG vom 30. März 1998 1 BvR 1831/97 (Deutsches Steuerrecht 1998, 643) bestätigt. Für den Streitfall bedeutet dies, daß die vom Kläger angegriffenen Vermögensteuerfestsetzungen für die Jahre 1981 bis 1985 -- wie es die Vorinstanz zu Recht getan hat -- nach Maßgabe des bisherigen Vermögensteuerrechts zu überprüfen sind.
Mit der Frage der weiteren Anwendbarkeit des VStG für alle bis zum 31. Dezember 1996 verwirklichten Tatbestände ist auch die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage der Zulässigkeit "einer Besteuerung durch Einkommensteuer, Vermögensteuer und indirekte Steuern in Höhe von deutlich mehr als 60 % (61 %--65 %) des zu versteuernden Einkommens" geklärt.
Zwar hat das BVerfG in seinem Beschluß in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655, 661 ausgeführt, daß die Vermögensteuer zu den übrigen Steuern nur hinzutreten dürfe, "soweit die steuerliche Gesamtbelastung des Sollertrages bei typisierender Betrachtung von Einnahmen, abziehbaren Aufwendungen und sonstigen Entlastungen in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand verbleibt und dabei insgesamt auch Belastungsergebnisse vermeidet, die einer vom Gleichheitssatz gebotenen Lastenverteilung nach Maßgabe finanzieller Leistungsfähigkeit zuwiderlaufen", doch können aus diesem sog. "Halbteilungsgrundsatz" für den Streitfall schon deshalb keine Folgerungen gezogen werden, weil das BVerfG die Anwendbarkeit des VStG für das zum Zeitpunkt seiner Entscheidung laufende und für das folgende Kalenderjahr bestehen gelassen und dies mit der Gewährleistung einer stetigen Veranlagung gerechtfertigt hat. Damit wurde nach Auffassung des erkennenden Senats gleichzeitig klargestellt, daß auch eine in den Veranlagungszeiträumen vor dem 1. Januar 1997 durch die Vermögensteuererhebung eintretende Verletzung des Halbteilungsgrundsatzes die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerbescheide unberührt läßt und deshalb im Rechtsstreit des Klägers nicht entscheidungserheblich ist.
2. Divergenz
Eine Divergenz i.S. von §115 Abs. 2 Nr. 2 FGO liegt im Streitfall nicht vor. Denn entgegen der Auffassung des Klägers ist die Vorinstanz nicht von der Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655 abgewichen. Das FG ist in seinem Urteil davon ausgegangen, daß das bisherige Vermögensteuerrecht "für alle vor 1997 endenden Veranlagungszeiträume unabhängig davon fortgelte, wann und durch wen im Einzelfall über die Steuerfestsetzung für diese Zeiträume entschieden wird". Diese Rechtsauffassung deckt sich -- wie oben unter Nr. 1 im einzelnen ausgeführt wurde -- mit der vom BVerfG in BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655 enthaltenen Aussage zur Weitergeltung des VStG.
Fundstellen
Haufe-Index 67634 |
BFH/NV 1998, 1275 |