Leitsatz (amtlich)
Hat das FA vor Erlaß eines Steuerbescheides eine Unbedenklichkeitsbescheinigung gemäß § 9 GrEStDV erteilt, so berechtigt das nicht zu der Annahme, das FA habe einem Steuerbefreiungsantrag entsprochen. Der mögliche Steuerschuldner kann verlangen, daß das FA ihm einen schriftlichen Bescheid darüber bekanntgibt, ob der Erwerbsvorgang steuerfrei ist (Anschluß an das BFH-Urteil vom 26. Oktober 1962 II 169/60 U, BFHE 76, 601, BStBl III 1963, 219).
Normenkette
GrEStG Hessen § 15; GrEStDV § 9; GrEStG 1983 §§ 13, 22
Verfahrensgang
Tatbestand
I.
Durch notariell beurkundeten Vertrag vom 29. Juli 1972 kauften die Kläger je zur Hälfte ein Grundstück. Sie beantragten Grunderwerbsteuerbefreiung, weil es sich um den Ersterwerb eines Familieneigenheimes handele.
In dem Fragebogen, den das beklagte Finanzamt (FA) dem Veräußerer übersandt hatte, gab dieser unter dem Datum vom 14. September 1972 an, das Eigenheim sei erstmalig im Februar 1964 bezogen worden. Mit (formularmäßigem) Schreiben vom 16. Dezember 1972 an die Kläger bat das FA, "um über Ihren Antrag entscheiden zu können" um die Beantwortung verschiedener Fragen. Die Kläger erwiderten mit Schreiben vom 12. Januar 1973 unter anderem, daß das Haus seit 1972 (ausschließlich) von ihnen bewohnt werde. Am 30. Januar 1973 erteilte das FA die Unbedenklichkeitsbescheinigung und verfügte intern, daß der Erwerb gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b des Hessischen Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG Hessen) steuerfrei sei.
Später übersandte das FA mit Datum vom 1. Juli 1977 den Klägern einen Fragebogen zur Prüfung, ob der Erwerb endgültig steuerfrei sei. Die Kläger antworteten, das Haus sei 1965 bezugsfertig gewesen. Nunmehr setzte das FA mit zwei Bescheiden vom 2. August 1977 gegen jeden der Kläger Grunderwerbsteuer fest.
Die Einsprüche hatten keinen Erfolg.
Die Klagen wies das Finanzgericht (FG) ab.
Mit ihrer Revision verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Kläger ist unbegründet.
1. Der Erwerb des Grundstückes unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG Hessen der Steuer. Er ist nicht gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 8 Buchst. b GrEStG Hessen von der Steuer befreit, weil das Grundstückseigentum unstreitig nicht innerhalb von fünf Jahren seit der Bezugsfertigkeit des aufstehenden Hauses im Jahre 1964 oder 1965 auf die Kläger übergegangen war (§ 4 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG Hessen).
2. Verfahrensrechtliche Hindernisse, die es dem FA hätten verbieten können, die Steuer festzusetzen oder geltend zu machen, bestehen nicht.
a) Entgegen der Ansicht der Kläger hinderten weder § 131 Abs. 2 noch § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) den Erlaß der Steuerbescheide vom 2. August 1977. Die am 30. Januar 1973 erteilte Unbedenklichkeitsbescheinigung war kein Freistellungsbescheid, d. h. ein Steuerbescheid, mit welchem die Grunderwerbsteuer für den kaufvertrag vom 29. Juli 1972 auf null DM festgesetzt wurde (vgl. auch das Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. März 1979 II R 97/78, BFHE 127, 554, BStBl II 1979, 526, letzter Absatz der Gründe). Vielmehr ist sie gemäß dem damals geltenden § 9 Abs. 1 der Grunderwerbsteuer-Durchführungsverordnung (GrEStDV) - jetzt § 22 GrEStG 1983 - nur eine der förmlichen Voraussetzungen für die Eintragung des Erwerbers im Grundbuch. Der Regelungsbereich des § 9 Abs. 1 GrEStDV geht nicht weiter als derjenige der §§ 29 bis 43 der Grundbuchordnung (GBO).
b) Der Steueranspruch ist nicht verwirkt.
Grundsätzlich kann ein FA Steueransprüche bis zu deren Verjährung geltend machen. Ausnahmen gelten nur dann, wenn der Schuldner sich wegen des Verhaltens des FA darauf einrichten durfte und sich auch darauf eingerichtet hat, daß der Anspruch nicht mehr geltend gemacht wird (BFH-Urteil vom 14. September 1978 IV R 89/74, BFHE 126, 130, BStBl II 1979, 121).
Im vorliegenden Fall durften sich die Kläger nach Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung nicht darauf einrichten, daß sie von der Zahlung der Steuer verschont würden. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, daß eine Unbedenklichkeitsbescheinigung gemäß § 9 GrEStDV nicht zu der Annahme berechtigt, das FA werde keine Grunderwerbsteuer mehr fordern (vgl. die Urteile vom 26. Oktober 1962 II 169/60 U, BFHE 76, 601, BStBl III 1963, 219, und in BFHE 127, 554, BStBl II 1979, 526, letzter Absatz der Gründe). An dieser Auffassung hält der Senat fest. Es kommt nicht darauf an, unter welchen Umständen die Unbedenklichkeitsbescheinigung im vorliegenden Fall erteilt wurde. Entscheidend ist vielmehr, daß nach dem eindeutigen Wortlaut des § 9 Abs. 2 Satz 2 GrEStDV - jetzt § 22 GrEStG 1983 - die Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung nicht voraussetzt, daß die Steuer entrichtet wurde oder der Erwerbsvorgang steuerfrei ist. Ein Grundstückserwerber darf sich deshalb nicht entgegen dieser gesetzlichen Regelung darauf verlassen, daß das FA über eine von ihm beantragte Steuerbefreiung positiv entschieden hat, wenn die Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt wurde. Jede andere Auslegung würde überdies dem Zweck der Unbedenklichkeitsbescheinigung zuwiderlaufen. Das FA darf die Unbedenklichkeitsbescheinigung in jedem Falle erteilen, wenn seines Erachtens die Steuerforderung nicht gefährdet ist. Dieses dem FA zum Vorteil des Erwerbers eingeräumte Ermessen ("darf ... erteilen") kann nicht durch die Rechtsprechung zum Nachteil des Grundstückserwerbers dadurch eingeschränkt werden, daß der Unbedenklichkeitsbescheinigung zumindest der Anschein der positiven Entscheidung des FA über eine vom Erwerber beantragte oder erhoffte Steuerbefreiung zugesprochen wird. Dadurch könnten FÄ möglicherweise von einer Erteilung der Unbedenklichkeitsbescheinigung abgehalten werden, weil sie einen solchen Anschein vor eingehender und möglicherweise zeitaufwendiger Prüfung der Sach- und Rechtslage vermeiden wollen. Schließlich sieht der Senat auch aus grundsätzlichen Erwägungen keine Möglichkeit, der Unbedenklichkeitsbescheinigung als bloßer förmlicher Voraussetzung für die Eintragung des Erwerbers im Grundbuch den Anschein einer materiell-rechtlichen Entscheidung über die Steuerfreiheit zuzuerkennen. Das würde der Regelung des § 9 GrEStDV widersprechen, die eindeutig und erkennbar nur formelles Recht enthält.
Die Auffassung des Senats bedeutet allerdings nicht, daß ein möglicher Steuerschuldner i. S. des § 15 GrEStG - jetzt § 13 GrEStG 1983 - es widerspruchslos hinnehmen muß, wenn ihm das FA keine Entscheidung darüber bekanntgibt, ob der Erwerbsvorgang grunderwerbsteuerfrei ist oder nicht. Auf Verlangen muß das FA einen entsprechenden schriftlichen Bescheid (Freistellungsbescheid oder Steuerbescheid) erteilen (vgl. § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977). Dieser Rechtsgedanke ergibt sich auch ausdrücklich aus § 119 Abs. 2 Satz 2 AO 1977. Erforderlichenfalls kann die genannte Person Untätigkeitsbeschwerde (§ 349 Abs. 2 AO 1977) oder Verpflichtungsklage (§ 40 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) erheben.
Fundstellen
Haufe-Index 74939 |
BStBl II 1984, 331 |
BFHE 1984, 318 |