Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld für Kind des Ehegatten nur bei zivilrechtlicher Wirksamkeit der Ehe; von iranischen Staatsangehörigen in Deutschland in einer Moschee nach islamischem Recht geschlossene Ehe zivilrechtlich unwirksam; kein Pflegekindschaftsverhältnis bei Fortbestehen des Obhuts- und Pflegeverhältnisses zu leiblichem Elternteil
Leitsatz (NV)
1. Anspruch auf Kindergeld für ein in den Haushalt aufgenommenes Kind des Ehegatten (sog. Stiefkind) besteht nur bei einer zivilrechtlich wirksamen Ehe.
2. Ausländische Staatsangehörige können in Deutschland eine Ehe grundsätzlich nur in der nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch vorgeschriebenen Form schließen. Eine Eheschließung von ausländischen Verlobten in Deutschland nach dem Recht ihres Staates wird nur anerkannt, wenn die Ehe vor einer von der Regierung des Staates, dem einer der Verlobten angehört, ordnungsgemäß ermächtigten Person geschlossen wird.
3. Eine von iranischen Staatsangehörigen in einer Moschee in Deutschland vor einem Geistlichen nach islamischem Recht geschlossene Ehe gilt zivilrechtlich als “Nichtehe”.
4. Ein zum Bezug von Kindergeld berechtigendes Pflegekindschaftsverhältnis liegt nicht vor, wenn das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu einem leiblichen Elternteil weiter besteht.
Normenkette
BGB §§ 1310-1311; BGBEG Art. 13 Abs. 3; EStG § 32 Abs. 1 Nr. 2, § 63 Abs. 1 Nrn. 1-2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist iranischer Staatsbürger und lebt als sonstiger politisch Verfolgter i.S. von § 3 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) in Deutschland. 1994 schloss er in einer islamischen Moschee in X nach islamischem Recht mit Frau K in deren Abwesenheit unter Zeugen die Ehe (sog. Handschuhehe).
K, die über eine Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 des Ausländergesetzes 1990 (AuslG) verfügte, hat eine im Februar 1987 geborene Tochter Z aus erster Ehe. Z lebte seit Juli 1998 bei ihrer Mutter und dem Kläger sowie den beiden in Deutschland geborenen Halbgeschwistern in einem gemeinsamen Haushalt.
Am 31. März 1998 stellte der Kläger einen Antrag auf Kindergeld für Z sowie für seine beiden leiblichen Kinder. In dem Antragsvordruck war in der Zeile "Familienstand" das Kästchen "verheiratet" angekreuzt. Daraufhin gewährte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) ab Januar 1998 für alle drei Kinder Kindergeld, das für den Zeitraum Februar bis Mai 1998 an das Sozialamt erstattet wurde.
K teilte der Familienkasse Ende August 2000 mit, dass sie seit dem 24. August 2000 von dem Kläger getrennt lebe. Die Familienkasse hob daraufhin die Kindergeldfestsetzung gegenüber dem Kläger ab September 2000 auf. In der Folge teilte der Kläger mit Schreiben vom 31. Januar 2001 der Familienkasse mit, er sei nur nach islamischem Recht verheiratet.
Mit Bescheid vom 15. März 2001 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für Z ab Februar 1998 auf und forderte das bislang geleistete Kindergeld für den Zeitraum von Februar 1998 bis August 2000 in Höhe von insgesamt 9 300 DM zurück. Der Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.
Während des anschließenden Klageverfahrens erließ die Familienkasse einen Bescheid, mit dem sie die Rückforderung des Kindergeldes gegenüber dem Kläger auf den Zeitraum ab Juni 1998 beschränkte.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1629 veröffentlicht.
Das FG führte im Wesentlichen aus: Die Familienkasse habe den Kindergeldbescheid zu Unrecht aufgehoben. Dies ergebe sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht schon aus verfahrensrechtlichen Gründen. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Familienkasse im Zeitpunkt der Kindergeldgewährung im März 1998 noch nicht bekannt gewesen, dass der Kläger und K nach deutschem Zivilrecht nicht verheiratet gewesen seien. Da die Familienkasse von diesem Umstand erst im Jahr 2001 erfahren habe, sei sie grundsätzlich verfahrensrechtlich befugt, den Bescheid über die Festsetzung des Kindergeldes nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) wegen der nachträglich bekannt gewordenen Tatsache zu ändern.
Die nachträglich bekannt gewordene Tatsache führe aber nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheids, weil der Kläger für die als sein Pflegekind anzusehende Z einen Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) habe. Zwar habe das Obhuts- und Pflegeverhältnis zwischen Z und K, die in dem gleichen Haushalt gelebt hätten, fortbestanden, so dass nach dem Wortlaut des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG der Kindergeldanspruch an sich ausgeschlossen wäre. Der Streitfall weise aber die Besonderheit auf, dass K nach § 62 Abs. 2 EStG keinen eigenen Anspruch auf Kindergeld habe, da sie nur über eine Aufenthaltsbefugnis verfüge. Dies führe dazu, dass für Z überhaupt kein Kindergeld gewährt werden könne, was dem Gesetzeszweck widerspreche, wonach lediglich eine doppelte Berücksichtigung des Kindes sowohl bei den Pflegeeltern als auch den leiblichen Eltern habe ausgeschlossen werden sollen.
Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Rechts.
Die Familienkasse beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu der Frage einzuholen, ob § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG das GG verletzt.
Er trägt vor, die durch das FG vorgenommene einschränkende Auslegung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG sei geboten, um ein sinnwidriges Ergebnis zu vermeiden. Ferner habe auch Z einen Anspruch auf Zahlung von Kindergeld, da sie im Besitz einer regelmäßig zu verlängernden Aufenthaltsbefugnis sei. Insofern bestünden erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung des § 62 Abs. 2 Satz 1 EStG, weil hiernach eine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung der Ausländer gegeben sei, die nur im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis seien, gegenüber denjenigen, die über eine anderweitige Aufenthaltsberechtigung verfügten.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Das FG hat zu Unrecht einen Kindergeldanspruch des Klägers für Z bejaht.
Die Familienkasse hat zu Recht die Kindergeldfestsetzung nach § 31 Satz 3 EStG i.V.m. § 155 Abs. 4, § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO aufgehoben, da ihr die Tatsache, dass der Kläger keine rechtsgültige Ehe mit K geschlossen hatte, erst nachträglich bekannt geworden ist. Die Unwirksamkeit der Eheschließung hat zur Folge, dass dem Kläger kein Anspruch auf Kindergeld für die Tochter von K zusteht. Entgegen der Auffassung des FG ist die Tochter kein Pflegekind des Klägers.
1. Eine Kindergeldfestsetzung ist nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden, die zu einer Herabsetzung oder zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führen.
a) Nach § 63 Abs. 1 Nr. 2 EStG werden als Kinder auch die vom Berechtigten in seinen Haushalt aufgenommenen Kinder seines Ehegatten berücksichtigt (sog. Stiefkinder).
Unter Ehegatte ist nur der Partner einer Ehe im Sinne des bürgerlichen Rechts zu verstehen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. April 2004 VIII R 88/00, BFH/NV 2004, 1103). Sind die Ehegatten ausländische Staatsangehörige, muss die zwischen ihnen geschlossene Ehe im Inland anerkannt sein.
b) Nach Art. 13 Abs. 3 Satz 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) kann eine Ehe im Inland grundsätzlich nur in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden. Die Eheschließenden müssen daher persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit vor dem Standesbeamten erklären, die Ehe miteinander eingehen zu wollen (§§ 1310, 1311 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB--). Eine Eheschließung nach islamischen Recht in einer Moschee genügt diesen Formerfordernissen nicht.
Die Voraussetzungen von Art. 13 Abs. 3 Satz 2 EGBGB sind gleichfalls nicht erfüllt. Danach kann eine Ehe zwischen verlobten Ausländern vor einer von der Regierung des Staates, dem einer der Verlobten angehört, ordnungsgemäß ermächtigten Person in der nach dem Recht dieses Staates vorgeschriebenen Form geschlossen werden; eine beglaubigte Abschrift der Eintragung der so geschlossenen Ehe in das Standesregister, das von der dazu ordnungsgemäß ermächtigten Person geführt wird, erbringt vollen Beweis der Eheschließung. Derartige Eheschließungen werden im Inland anerkannt, wenn die entsprechenden Geistlichen in einer Verbalnote an das Auswärtige Amt benannt sind (Soergel-Schurig, BGB, 12. Aufl., Internationales Privatrecht, Art. 13 Rz 89; MünchKommBGB/Coester, 5. Aufl., Internationales Privatrecht, Art. 13 Rz 141). In dem Verzeichnis ausländischer Geistlicher mit Trauungsbefugnis bei dem insoweit zuständigen Bundesverwaltungsamt in A liegen derzeit entsprechende individuelle Ermächtigungen nur für Geistliche aus Finnland, Griechenland, Indonesien, Marokko, Norwegen, Schweden, Spanien, Libanon und Großbritannien vor. Ermächtigungen iranischer Geistlicher sind nicht vorhanden.
Die zwischen dem Kläger und K geschlossene Ehe gilt im Streitfall daher zivilrechtlich als sog. "Nichtehe" (vgl. Palandt/ Heldrich, Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Aufl., Art. 13 EGBGB Rz 21). Da die Zivilrechtslage für die steuerrechtliche Kinderzuordnung maßgeblich ist (Senatsurteil vom 28. Juli 2005 III R 68/04, BFHE 211, 107, BFH/NV 2006, 202), ist die nach islamischem Recht in Deutschland geschlossene Ehe auch bei der Anwendung von § 63 Abs. 1 Nr. 2 EStG unbeachtlich.
c) Die Tatsache, dass der Kläger mit K keine im Inland rechtsgültige Ehe geschlossen hat, ist der Familienkasse nach den Feststellungen des FG aufgrund der Beweisaufnahme erst nachträglich bekannt geworden.
2. Z ist auch kein zum Bezug von Kindergeld berechtigendes Pflegekind.
a) Nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 EStG besteht ein Kindergeldanspruch für alle Kinder i.S. von § 32 Abs. 1 EStG, mithin auch für Pflegekinder i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Ein Pflegekindschaftsverhältnis setzt gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG sowohl nach alter als auch neuer Fassung durch das Zweite Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften (StÄndG 2003) vom 15. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2645, BStBl I 2003, 710) voraus, dass das Kind mit dem Steuerpflichtigen durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, der Steuerpflichtige das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern nicht mehr besteht (vgl. auch BFH-Urteil vom 20. Juli 2006 III R 44/05, BFH/NV 2007, 17, m.w.N.).
b) Im Streitfall scheitert die Annahme des Pflegekindschaftsverhältnisses bereits daran, dass das Obhuts- und Pflegeverhältnis zwischen Z und K als deren leibliche Mutter ununterbrochen fortbestanden hat. Denn Z und K haben im streitbefangenen Zeitraum mit dem Kläger zusammen in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Es bestehen ferner keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass K in dieser Zeit ihrer Fürsorgepflicht gegenüber Z nicht nachgekommen wäre.
c) Entgegen der Auffassung des FG kann § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht in der Weise einschränkend ausgelegt werden, dass auch bei weiter bestehendem Obhuts- und Pflegeverhältnis zu einem Elternteil ein Pflegekindschaftsverhältnis anzunehmen ist, wenn der im gemeinsamen Haushalt lebende Elternteil keinen gesetzlichen Anspruch auf Kindergeld hat.
Zwar wurde die Beendigung des Obhuts- und Pflegeverhältnisses zu den leiblichen Eltern als Voraussetzung für ein Pflegekindschaftsverhältnis in die Vorschrift aufgenommen, um eine Doppelberücksichtigung des Kindes sowohl bei den Pflegeeltern als auch den leiblichen Eltern weitgehend zu vermeiden (BTDrucks 10/2884, 102). Das Vorliegen eines Pflegekindschaftsverhältnisses wurde aber nicht davon abhängig gemacht, ob den leiblichen Eltern ein Kindergeldanspruch zusteht oder nicht. Auch wenn eine Doppelberücksichtigung des Kindes ausgeschlossen ist, liegt bei weiter bestehendem Obhuts- und Pflegeverhältnis zu einem leiblichen Elternteil nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift kein Pflegekindschaftsverhältnis zu einer anderen Person vor.
Einer einschränkenden Auslegung steht entgegen, dass über das Bestehen eines Kindergeldanspruchs des leiblichen Elternteils nicht im Verfahren über den Kindergeldanspruch des vermeintlichen Pflegevaters entschieden werden kann. Es steht auch nicht zweifelsfrei fest, ob K als ausländische Staatsangehörige mit Aufenthaltsbefugnis nicht als Kindergeldberechtigte in Betracht kommt. Denn aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97 (BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114), welche den Ausschluss ausländischer Staatsangehöriger mit einer Aufenthaltsbefugnis betraf, ist § 62 Abs. 2 EStG durch Art. 2 des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2915, BStBl I 2007, 62) neu gefasst worden. Die Neuregelung ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten und erfasst alle Sachverhalte, bei denen das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist (§ 52 Abs. 61 a Satz 2 EStG). Es ist daher jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen, dass K einen eigenen Anspruch auf Kindergeld hat, was in diesem Verfahren aber nicht zu entscheiden ist.
d) Die verfassungsrechtlichen Einwände des Klägers im Zusammenhang mit dem Anspruch der K auf Kindergeld rechtfertigen keine Vorlage des Rechtsstreits an das BVerfG. Zum einen ist der Kindergeldanspruch von K nicht Gegenstand dieses Verfahrens, zum anderen sind die Einwände durch den Beschluss des BVerfG in BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114 überholt.
Fundstellen
Haufe-Index 1779187 |
BFH/NV 2007, 1855 |