Entscheidungsstichwort (Thema)
Gerichtliche Überprüfbarkeit einer Steuerberaterprüfung; Berichtigung der Aufgabe einer Aufsichtsarbeit; Kompensation durch Zeitausgleich
Leitsatz (amtlich)
1. Es ist gerichtlich in vollem Umfang überprüfbar, ob sich die Prüfungsbehörde an die Maßstäbe gehalten hat, nach denen erfahrungsgemäß der Ausgleich für eine erhebliche Störung durch Lärm oder ähnliche äußere Einwirkungen zu bemessen ist (Aufgabe der bisherigen Senatsrechtsprechung).
2. Von einer solchen Störung zu unterscheiden ist aber die Beeinträchtigung der Prüflinge durch die Art und Weise der Aufgabenstellung selbst.
3. Die Berichtigung der für eine Aufsichtsarbeit gestellten Aufgabe durch die Prüfungsbehörde noch während der Bearbeitungszeit ist unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.
4. Die Prüfungsbehörde hat einen weiten Bewertungsspielraum bei ihrer Entscheidung über die Frage, welcher Ausgleich in Anbetracht einer für notwendig gehaltenen Berichtigung des Sachverhalts der Aufgabe einer Aufsichtsarbeit angemessen ist.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12, 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3; DVStB § 18 Abs. 1 S. 3, §§ 21, 25 Abs. 2, 4
Verfahrensgang
FG des Saarlandes (EFG 2001, 463 nur Leitsatz) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hat vom 6. bis 8. Oktober 1998 in ihrem dritten Versuch an der bundeseinheitlich durchgeführten Steuerberaterprüfung 1998 teilgenommen. Da sie in den schriftlichen Arbeiten die Gesamtnote 4,67 (Klausur im Verfahrensrecht und anderen Rechtsgebieten: Note 4,5; Klausur im Ertragsteuerrecht: Note 5,5; Klausur in Buchführung und Bilanzwesen: Note 4,00) erreichte, hat sie die Prüfung nicht bestanden.
Am zweiten Tag der schriftlichen Prüfung hatte die Klägerin nach ihren Angaben im vom Finanzgericht (FG) in Bezug genommenen Schreiben vom 29. Dezember 1998 an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzministerium ―FinMin―) erhebliche Probleme mit ihren Augen. Sie sah alles nur noch verschwommen und konnte die Klausur aus dem Gebiet Steuern vom Einkommen und Ertrag nur unter großer Mühe vollenden. Am dritten Tag der schriftlichen Prüfung, nämlich am 8. Oktober 1998, war eine aus zwei Sachverhalten bestehende Aufgabe aus dem Gebiet der Buchführung und des Bilanzwesens gestellt (Aufgabentext in BStBl I, 1999, 286). Die Bearbeitungszeit begann um 9.00 Uhr. Die Aufgabe enthielt im ersten Sachverhalt, bei dem es u.a. um die Bildung einer Rücklage gemäß § 6b des Einkommensteuergesetzes (EStG) und deren Berücksichtigung bei der Auseinandersetzung mit einem aus einer Gesellschaft ausscheidenden Gesellschafter ging, ein unzutreffendes Datum (Veräußerungszeitpunkt 1. Januar 1992; Rücklagenbildung im März 1996). Dieser Fehler wurde erst im Laufe der Bearbeitungszeit nach entsprechenden Hinweisen von Prüfungsteilnehmern aufgedeckt. Ausweislich der Niederschrift vom 8. Oktober 1998 wurden die Prüfungskandidaten von der Saalaufsicht zunächst darauf hingewiesen, dass es auf S. 2 des Aufgabentextes unter Passiva "März 1992" heißen müsse. Dieser Hinweis erfolgte nach Angaben der Klägerin kurz nach 11.00 Uhr. Wegen dieses Fehlers wurde die Bearbeitungszeit um eine halbe Stunde bis 15.30 Uhr verlängert. Um 11.35 Uhr hat eine andere Aufsichtsperson den gesamten Abschnitt zu § 6b ―Rücklage in der nochmals geänderten Fassung― ("Veräußerungszeitpunkt: 1. Januar 1996; Bildungszeitpunkt: März 1996") verlesen.
Mit ihrer Klage gegen das Nichtbestehen der Prüfung trug die Klägerin im Wesentlichen vor, die Fehlerhaftigkeit des Aufgabentextes für die dritte Klausur sei durch die Verlängerung der Bearbeitungszeit um eine halbe Stunde nicht in dem erforderlichen Maße ausgeglichen worden. Derjenige Prüfungskandidat der sich zuerst dem zweiten Klausursachverhalt zugewandt habe, sei durch die falsche Datumsangabe überhaupt nicht benachteiligt gewesen. Als dieser zur Bearbeitung des ersten Sachverhalts gekommen sei, habe man die falsche Jahreszahl bereits endgültig korrigiert gehabt. Gleichwohl habe er den Aufgabentext eine halbe Stunde länger bearbeiten können. Die Klägerin habe hingegen zunächst die erste Fragestellung bearbeitet. Wegen der Unstimmigkeit des Sachverhalts habe sie sich daran festgebissen. Als die Mitteilung erfolgt sei, dass eine Jahreszahl nicht stimme, habe sie diesen Teil der Arbeit bereits etwa um 10.00 Uhr bis 10.30 Uhr beendet gehabt. Sie habe daraufhin den ersten Sachverhalt erneut bearbeiten müssen. Auch nach dieser (ersten) Änderung habe die Aufgabe keinen Sinn ergeben. Die Klägerin habe deshalb an ihrer bisherigen Bearbeitung festgehalten. Der Zeitaufwand für diese Überprüfung habe mindestens 20 Minuten betragen. Nach der zweiten Änderung habe sich die Klägerin entschieden, zunächst die Bearbeitung des zweiten Sachverhalts fortzusetzen, um die Auswirkungen der Änderung bei der ersten Fragestellung später vorzunehmen. Hierzu sei ihr dann aber keine Zeit mehr verblieben. Dadurch, dass die Klägerin unverhältnismäßig lange am Fall 1 "hängen geblieben" sei, habe ihr nicht die erforderliche Zeit zur Verfügung gestanden, um den Fall 2 ordnungsgemäß bearbeiten zu können. Durch die ständigen Störungen sei die Klägerin in Panik geraten, so dass sie in dieser Stresssituation nicht mehr die Leistung habe erbringen können, zu der sie sonst in der Lage gewesen wäre.
Für die Klägerin sei es vom Zeitlichen her unmöglich gewesen, nach Beendigung der Arbeit ―innerhalb der gewährten Verlängerung― die erste Aufgabe noch einmal zu überarbeiten. Deshalb sei es geboten, ihr zumindest ―wie in anderen Bundesländern auch geschehen― einen Bonus von fünf Punkten zu gewähren, sofern man nicht von vornherein die Auffassung vertrete, dass eine Wiederholung der Prüfung geboten sei. Auch das Land Niedersachsen habe aufgrund der Sachverhaltsänderung jede mögliche Lösung als richtig anerkannt; es sei äußerst großzügig korrigiert worden.
Das FG hat die Klage u.a. aus folgenden Gründen als unbegründet abgewiesen.
Die behaupteten Sehstörungen, die die Klägerin am zweiten Prüfungstag beeinträchtigt hätten, könnten weder zu einer Korrektur des Ergebnisses dieser Klausur noch zu einer Verbesserung des gesamten Prüfungsergebnisses führen. Da die Klägerin nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, von der Prüfung bis zum Ende der Bearbeitungszeit der letzten Prüfungsarbeit zurückzutreten (§ 21 der Verordnung zur Durchführung der Vorschriften über Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften ―DVStB― vom 12. November 1979, BGBl I, 1922, mit späteren Änderungen), sei sie das Risiko, bei der Lösung der betreffenden Aufgabe zu scheitern, bewusst eingegangen. Die Klägerin könne dann nicht so gestellt werden, wie sie gestanden hätte, wenn sie die Sehstörungen rechtzeitig nachgewiesen hätte und von der Prüfung zurückgetreten wäre.
Mit der Verlängerung der Bearbeitungszeit um 30 Minuten für die Klausur am dritten Tag der schriftlichen Prüfung habe das FinMin zur Überzeugung des Senats jedenfalls einen angemessenen und vertretbaren Zeitausgleich gewährt. Bei der Steuerberaterprüfung handele es sich um eine solche, die in die Zuständigkeit eines jeden Bundeslandes falle, weil sie vor einem Prüfungsausschuss abzulegen sei, der bei der für die Finanzverwaltung zuständigen obersten Landesbehörde zu bilden sei. Daraus folge, dass diese Behörde auch die Pflicht habe zu veranlassen, dass die Aufsichtsarbeiten unter ständiger Aufsicht angefertigt werden, und darüber befinden müsse, wie auf im Prüfungsablauf entstandene Probleme reagiert werden solle. Da solche "Pannen" nicht vorhersehbar seien und in vielfältiger Erscheinungsform auftreten könnten, entzögen sie sich einer generellen vorherigen Regelung. Die oberste Landesbehörde müsse daher entsprechend der jeweiligen Situation nach pflichtgemäßem Ermessen in eigener Verantwortung spontan entscheiden, wie die mit einer Panne oder Störung einhergehende Prüfungsbeeinträchtigung möglichst sach- und kandidatengerecht neutralisiert werden könne. Hierbei sei ihr ein Einschätzungs- und Entscheidungsvorrecht eingeräumt, das auch vom Gericht beachtet werden müsse (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 10. März 1992 VII R 87/90, BFHE 167, 480, BStBl II 1992, 634). Angesichts des geringen Gewichts der fehlerhaften Angabe im Aufgabentext sei eine Verlängerung der Bearbeitungszeit von 30 Minuten als eher großzügig anzusehen. Dem entspreche es, wenn in einigen Bundesländern keine Schreibverlängerung oder nur eine solche von 15 Minuten gewährt worden sei. Da die Klägerin diese verlängerte Bearbeitungszeit für sich in Anspruch genommen habe, könne sie nicht zusätzlich verlangen, dass dieser Aufgabenteil, den sie zudem nicht erkennbar überarbeitet habe, mit fünf zusätzlichen Wertungspunkten bewertet werde, wie dies in anderen Bundesländern geschehen sei.
Entgegen der Auffassung der Klägerin könne die Panne nicht dazu führen, dass der angefochtene Bescheid des FinMin aufzuheben sei. Schon vom Ansatz her verfehlt erscheine ihr Standpunkt, wenn sie sich mit Kandidaten vergleiche, die zunächst den Teil 2 der Klausur bearbeitet hätten und deshalb rechtzeitig vor der Bearbeitung von Teil 1 das korrigierte Datum kannten. Der denkbare Vorteil eines Prüfungskandidaten könne den Nachteil eines anderen Bewerbers nicht bewirken. Fehl gingen auch die Hinweise der Klägerin zu den Auswirkungen einer "Besserstellung" anderer Prüflinge auf das Prüfungsergebnis. Es ginge nicht an, aufgrund bloßer Mutmaßungen, eine Prüfung sei besonders gut ausgefallen und die Prüfer könnten sich in ihrem Urteil von dieser relativ guten Gesamtleistung der Prüfungsgruppe täuschen lassen, ein Prüfungsergebnis als verfahrensfehlerhaft und damit rechtswidrig gewonnen zu verwerfen.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, die Gewährung der halbstündigen Verlängerung der Bearbeitungszeit gleiche den Verlust der Zeit für die Lösung der fehlerhaften Aufgabe und die darauf beruhende Nervosität und abnehmende Konzentration nicht aus. Damit sei eine Verletzung des prüfungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes anzunehmen. Vom Prüfling könne nicht verlangt werden, den Fehler im Klausurtext von sich aus zu korrigieren. Wenn er in Folge des Fehlers in dem 1. Teil der Klausur auf die Lösung dieses Teils sehr viel Zeit verwende, sei es ihm naturgemäß nicht mehr möglich den 2. Teil der Klausur optimal zu lösen. Außerdem sei das FG ohne Angabe von Gründen von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― (Beschluss vom 21. Dezember 1992 1 BvR 1295/90, Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1993, 917) abgewichen. Hiernach bestehe eine volle gerichtliche Nachprüfungskompetenz, ob die gewährte Schreibverlängerung angemessen sei.
Das FinMin meint im Ergebnis, mit der Verlängerung der Bearbeitungszeit für die dritte Klausur um eine halbe Stunde sei die Beeinträchtigung der Prüfungsteilnehmer angemessen ausgeglichen worden. Eine Verletzung der Chancengleichheit sei im vorliegenden Fall nicht gegeben.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin durch den angefochtenen, ihr gemäß § 25 Abs. 2 und 3 DVStB erteilten Bescheid nicht in ihren Rechten verletzt ist.
1. Keine Bedenken bestehen gegen die Ausführungen des FG, wonach die von der Klägerin erst mit Schreiben vom 29. Dezember 1998 geltend gemachten Sehstörungen, die sie angeblich bei der Anfertigung der Klausurarbeit am zweiten Prüfungstag beeinträchtigt haben sollen, nicht berücksichtigt werden können. Solche Beeinträchtigungen können, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, nur im Rahmen des § 21 DVStB berücksichtigt werden, wenn der Bewerber deswegen bis zum Ende der Bearbeitungszeit der letzten Aufsichtsarbeit von der Prüfung zurücktritt. Andernfalls muss er das Risiko, das sich aus der Beeinträchtigung für die Qualität der Arbeit möglicherweise ergibt, selbst tragen. Da die Klägerin mit der Revision insoweit keine Bedenken mehr geltend gemacht hat, belässt es der Senat bei diesen Ausführungen.
2. a) Soweit sich das FG für seine Auffassung, dass die oberste Landesbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen in eigener Verantwortung entscheiden müsse, wie die Störung, die durch die Berichtigung des Aufgabentextes eingetreten ist, möglichst sach- und kandidatengerecht neutralisiert werden könne, ohne nähere Differenzierung auf das Senatsurteil in BFHE 167, 480, BStBl II 1992, 634 stützt, kann der Senat dem nicht folgen. Der Senat hält an der in diesem Urteil vertretenen Auffassung nicht mehr fest.
Der Senat hatte in der genannten Entscheidung im Anschluss an das Bundesverwaltungsgericht ―BVerwG― (Urteil vom 29. August 1990 7 C 9.90, BVerwGE 85, 323) für den Fall einer äußeren Störung des Prüfungsablaufs durch Baulärm ausgeführt, dass die Prüfungsbehörde über die Angemessenheit der zum Ausgleich einer Störung gewährten Verlängerung der Bearbeitungszeit innerhalb der durch den Grundsatz der Chancengleichheit gezogenen Grenzen in eigener Verantwortung zu entscheiden habe. Deshalb seien Entscheidungen der Prüfungsbehörde, die sich innerhalb dieses Beurteilungsspielraums hielten, als rechtmäßig hinzunehmen. Demgegenüber hat aber das BVerfG (Beschluss in NJW 1993, 917) entschieden, aus Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) folge, dass den Prüfungsbehörden bei der Frage, welche Kompensationsmaßnahmen in solchen Fällen zur Wiederherstellung der Chancengleichheit bei der Prüfung geeignet und geboten seien, kein Entscheidungsspielraum zustehe. Die Gerichte könnten vielmehr in vollem Umfange überprüfen, ob die Prüfungsbehörde durch die von ihr gewährte Schreibverlängerung einen Ausgleich für Störungen während der Aufsichtsarbeiten herbeigeführt habe. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an. Ebenso wie das BVerwG (Urteil vom 11. August 1993 6 C 2.93, BVerwGE 94, 64) hält er es für möglich, zu prüfen, ob sich die Prüfungsbehörde an die Maßstäbe gehalten hat, nach denen erfahrungsgemäß der Ausgleich für eine erhebliche Störung durch Lärm oder ähnliche äußere Einwirkungen zu bemessen ist.
b) Auf eine solche dem Baulärm vergleichbare äußere Störung, die durch den Umstand eingetreten sein mag, dass der erste Sachverhalt der Aufgabe einmal um kurz nach 11.00 Uhr und ein zweites Mal gegen 11.35 Uhr berichtigt wurde und dass dadurch eine gewisse Unruhe und Beeinträchtigung der Konzentration der Prüflinge eingetreten sein mag, beruft sich die Klägerin jedoch nicht substantiiert. Auch hat das FG hinsichtlich einer solchen Störung keine Feststellungen getroffen, was die Klägerin nicht gerügt hat. Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob eine solche nennenswerte Störung im Streitfall überhaupt eingetreten ist und ob sie ggf. durch den gewährten Zeitausgleich mit ausgeglichen worden ist.
3. a) Von einer Störung durch Lärmbelästigung oder einer Störung, wie sie durch die äußeren Umstände im Zusammenhang mit der zweimaligen Berichtigung der Aufgabe verursacht sein mag, ist aber eine etwaige Beeinträchtigung der Bewerber durch die Art und Weise der Aufgabenstellung selbst zu unterscheiden.
Grundsätzlich sind Prüfungsaufgaben so zu stellen, dass der Bewerber ohne weiteres erkennen kann, was von ihm verlangt wird. Besteht die Prüfungsaufgabe darin, einen Lebenssachverhalt rechtlich zu würdigen, so muss der Sachverhalt klare Angaben zu allen Tatsachen enthalten, die für die rechtliche Würdigung aus der Sicht der ernstlich in Betracht zu ziehenden Rechtsvorschriften erheblich sind. Nicht jedes diesbezügliche Defizit der Aufgabenstellung hat allerdings ohne weiteres die Rechtswidrigkeit der Prüfung zur Folge, solange die Aufgabe nicht "unlösbar" ist (BFH, Urteil vom 21. Mai 1999 VII R 34/98, BFHE 188, 502, BStBl II 1999, 573). Die Feststellung, ob insoweit ein Prüfungsmangel vorliegt, ist den Gerichten nicht verwehrt, soweit sie sich darauf beschränkt zu prüfen, ob die Aufgabenstellung den Mindestanforderungen an eine eindeutige Aufgabenstellung entspricht (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. November 1976 VII C 6.76, BVerwGE 51, 331, 338, und vom 9. August 1996 6 C 3.95, Deutsches Verwaltungsblatt 1996, 1381). Der Senat kann jedoch von einer solchen Prüfung im Streitfall absehen, weil die Prüfungsbehörde den vermeintlichen oder tatsächlichen Fehler (vgl. dazu FG Köln, Urteil vom 8. Februar 2000 8 K 1286/99, Entscheidungen der Finanzgerichte 2000, 655) noch, während die Prüflinge die Aufsichtsarbeit bearbeiteten, berichtigt hat.
Eine solche Berichtigung muss grundsätzlich zulässig sein. Dies gebietet in Anbetracht des erheblichen Aufwandes sowohl für die Prüflinge als auch die Prüfungsbehörde, der mit einem Abbrechen der Arbeit und der dann erforderlichen Wiederholung der Aufsichtsarbeit aus dem betreffenden Fachgebiet verbunden wäre, der das Verwaltungshandeln verpflichtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG). Voraussetzung ist allerdings eine so rechtzeitige Berichtigung der Aufgabenstellung, dass sie von den Prüfungsteilnehmern noch bei der Bearbeitung der ihnen gestellten Aufgaben berücksichtigt werden kann. Ferner hängt die Zulässigkeit einer Berichtigung davon ab, dass den Prüfungsteilnehmern eine angemessene Kompensation für die möglichen Schwierigkeiten gewährt wird, in die sie durch die ursprüngliche Aufgabenstellung und die etwa erforderliche Neubearbeitung dieses Teils der Aufgabe geraten sind. Denkbar ist, dass ein solcher Ausgleich im Rahmen der Bewertung der betreffenden Aufsichtsarbeit und/oder durch eine angemessene und zumutbare Verlängerung der Bearbeitungszeit für die Aufsichtsarbeit gewährt wird.
Da sich im Einzelnen im Streitfall nicht mit Sicherheit feststellen lässt, in welche Schwierigkeiten jeder einzelne Prüfungsteilnehmer durch die nicht beabsichtigte Aufgabenstellung in Bezug auf die in Rede stehenden Datumsangaben geraten ist, kann die Kompensation nur pauschal für alle Bearbeiter der betreffenden Aufsichtsarbeit gewährt werden. Dabei kann ebenfalls keine Rücksicht auf die unterschiedlichen fachlichen Fähigkeiten und psychischen Belastbarkeiten einzelner Prüfungsteilnehmer genommen werden. Grundlage für die Beurteilung der Frage, ob der Ausgleich angemessen und zumutbar ist, muss daher ein durchschnittlicher Prüfungsteilnehmer sein. Auf ihn muss die Prüfungsbehörde abstellen, wenn sie beurteilt, welcher Ausgleich angesichts der Bedeutung der in Rede stehenden Teilaufgabe zur Gesamtaufgabe und des Schwierigkeitsgrades dieser Teilaufgabe im Verhältnis zu den anderen Anforderungen der Arbeit erforderlich ist. In Rechnung zu stellen ist weiterhin, in welche Schwierigkeiten die Prüfungsteilnehmer möglicherweise geraten konnten, weil sie zunächst versucht haben, die Aufgabe unter Zugrundelegung der ursprünglich angegebenen Daten zu lösen.
Zusammengefasst laufen die genannten Gesichtspunkte auf eine Bewertung des Schwierigkeitsgrades der gestellten Aufgabe und insbesondere der in Rede stehenden Teilaufgabe in der ursprünglichen oder später berichtigten Sachverhaltsvariante und der sich daraus ergebenden Entscheidung über die zu gewährende Kompensation hinaus. Hinsichtlich der Beurteilung des Schwierigkeitsgrades hat aber auch das BVerfG einen weiten Bewertungsspielraum der Prüfungsbehörden anerkannt. Den Gerichten bleibt hier im Allgemeinen nur noch die Kontrolle, ob die getroffene Entscheidung so aus dem Rahmen fällt, dass sie Fachkundigen als unhaltbar erscheint (BVerfG, Beschluss vom 17. April 1991 1 BvR 1529/84 und 138/87, BVerfGE 84, 59, 79). Dieser Bewertungsspielraum muss daher der Prüfungsbehörde auch im Streitfall bei der Entscheidung darüber eingeräumt werden, welcher Ausgleich in Anbetracht der für erforderlich gehaltenen Berichtigung des Sachverhalts der ersten Aufgabe der Aufsichtsarbeit angemessen ist.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mangels verfahrensrechtlicher Einwände der Revision gebunden ist, war von der Berichtigung des ersten Sachverhalts der Aufsichtsarbeit nur ein verhältnismäßig unbedeutender Teil der Aufgabe betroffen, auf den zudem nur ein geringfügiger Teil der Arbeitszeit im Verhältnis zu der für die Anfertigung der gesamten Aufsichtsarbeit veranschlagten Arbeitszeit von 6 Stunden entfiel. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des FinMin in der Klageerwiderung, auf die das FG Bezug nimmt, entfielen auf diesen Teil der Aufgabe von 100 möglichen Punkten nur 5 Punkte. Überträgt man das Punkteverhältnis auf die Bearbeitungszeit, so ergibt sich, dass für den betreffenden Teil der Aufgabe rechnerisch etwa 18 Minuten (1/20 der gesamten Bearbeitungszeit) anzusetzen sind.
Zu berücksichtigen ist ferner, dass der in Rede stehende Teil der Aufgabe nur eine Position der aus den Steuerbilanzen der Gesellschaft zum 31. Dezember 1996 entnommenen Buchwerte, nämlich die gemäß § 6b EStG gebildete Rücklage, betraf und dieser Teil der Aufgabe keine Auswirkungen auf die Bearbeitung der übrigen Teile der Aufsichtsarbeit hatte. Weiter ist der Umstand von Bedeutung, dass die Prüflinge im Aufgabentext selbst darauf hingewiesen wurden, dass die Bilanzansätze als richtig anzusehen und nicht zu beanstanden seien. Dieser Hinweis hätte einen durchschnittlich begabten und vorbereiteten Prüfling dazu veranlassen sollen, der Angabe der Jahreszahlen in der Fußnote zu dem betreffenden Aufgabenteil keine allzu große Bedeutung beizumessen und sich trotz der unterschiedlich angegebenen Jahreszahlen nicht unverhältnismäßig lange mit diesem Aufgabenteil zu beschäftigen.
In Anbetracht all dessen teilt der Senat die Auffassung des FG, dass sich die von der Prüfungsbehörde gewährte Verlängerung der Bearbeitungszeit für die Klausur um 30 Minuten im Rahmen ihres Bewertungsspielraums hält und einen angemessenen Ausgleich für etwaige Schwierigkeiten darstellt, zu denen die Art und Weise der später berichtigten Aufgabenstellung möglicherweise geführt hat.
b) Der Verlängerung der Bearbeitungszeit steht auch § 18 Abs. 1 Satz 3 DVStB nicht entgegen, wonach die Bearbeitungszeit für die Aufsichtsarbeiten höchstens 6 Stunden betragen darf. Diese Grenze bezieht sich nur auf die regelmäßige Bearbeitungszeit, nicht aber auf Ausnahmefälle, in denen die Bearbeitungszeit verlängert werden kann bzw. zum Ausgleich von Nachteilen verlängert werden muss. Das folgt aus § 18 Abs. 3 Satz 2 DVStB. In dieser Vorschrift ist ein Ausnahmefall, nämlich der von körperbehinderten Personen, besonders genannt, in dem die regelmäßige Bearbeitungszeit auf Antrag bis zu einer Stunde verlängert werden kann. Kann die Bearbeitungszeit aber im Falle von körperbehinderten Personen bis zu einer Stunde verlängert werden, so spricht nichts dagegen, sie im Streitfall um eine halbe Stunde zu verlängern (vgl. BFH-Urteil in BFHE 167, 480, BStBl II 1992, 634).
c) Der Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 3 GG) ist durch diese Art und Weise des gewährten Ausgleichs nicht verletzt. Zwar soll in manchen Bundesländern zusätzlich zu der Verlängerung der Bearbeitungszeit auch noch ein pauschaler Zuschlag von 5 Punkten gewährt worden sein. Dagegen sollen andere Prüfungsbehörden nur eine Schreibverlängerung von 15 Minuten oder überhaupt keinen Ausgleich gewährt haben. Diese unterschiedliche Behandlung der Sache durch die einzelnen Prüfungsbehörden beeinträchtigt die Chancengleichheit der Prüflinge jedoch nicht. Denn die Steuerberaterprüfung ist keine Bundesprüfung, sondern eine Landesprüfung, weil sie abgesehen davon, dass sie bundeseinheitlich geregelt ist und die Aufgaben bundeseinheitlich gestellt werden, von den bei den obersten Landesbehörden gebildeten Prüfungsausschüssen gemäß Art. 83 GG als eigene Angelegenheit der Länder durchgeführt wird (BFH, Beschluss vom 13. März 1990 VII B 141/89, BFH/NV 1991, 124). Deshalb kommen als Vergleichspersonen nur die Bewerber in Betracht, die an einem bestimmten von der obersten Landesbehörde durchgeführten Prüfungstermin teilnehmen.
Soweit die Klägerin sich darauf beruft, andere Prüfungsteilnehmer in ihrem Prüfungstermin hätten dadurch Vorteile gehabt, dass sie möglicherweise zuerst mit der Bearbeitung des zweiten Sachverhalts begonnen hätten und dadurch durch den später berichtigten angeblichen Fehler der Aufgabenstellung im ersten Sachverhalt gar nicht beeinträchtigt worden seien, lässt sich damit eine Verletzung der Chancengleichheit nicht begründen. Denn durch den möglichen Vorteil anderer Prüflinge ist, wie das FG im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, die Chance der Klägerin für das Bestehen der Prüfung nicht beeinträchtigt worden. Wie der Senat bereits ausgeführt hat (BFH, Urteil vom 20. Juli 1999 VII R 111/98, BFHE 189, 280, BStBl II 1999, 803), besteht für den Prüfling kein subjektives öffentliches Recht auf Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit als objektiv-rechtliches Gebot. Er kann deshalb nicht rügen, andere Prüflinge hätten Vorteile gehabt, die er bei einem ordnungsgemäß durchgeführten Prüfungsverfahren nicht gehabt habe.
Fundstellen
Haufe-Index 642255 |
BFH/NV 2001, 1680 |
BStBl II 2002, 58 |
BFHE 196, 470 |
BFHE 2002, 470 |
BB 2001, 2311 |
DB 2001, 2382 |
DStRE 2001, 1381 |
HFR 2001, 1177 |
StE 2001, 642 |