Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse im Wohnsitzstaat bei Auslandseinkünften mit Quellenbesteuerung
Leitsatz (amtlich)
1. Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) steht einer Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden unabhängig davon, ob sie in ein Doppelbesteuerungsabkommen aufgenommen ist, entgegen, wonach ein Steuerpflichtiger bei der Berechnung seiner Einkommensteuer im Wohnsitzstaat einen Teil des Steuerfreibetrags und seiner persönlichen steuerlichen Vorteile verliert, weil er in dem betreffenden Jahr auch Einkünfte in einem anderen Mitgliedstaat erzielt hat, die dort ungeachtet seiner persönlichen und familiären Situation besteuert wurden.
2. Das Gemeinschaftsrecht enthält kein besonderes Erfordernis hinsichtlich der Art und Weise, in der der Wohnsitzstaat die persönliche und familiäre Situation eines Arbeitnehmers berücksichtigen muss, der in einem bestimmten Steuerjahr Einkünfte in diesem Staat und in einem anderen Mitgliedstaat erzielt hat, sofern die Bedingungen, unter denen der Wohnsitzstaat diese Situation berücksichtigt, weder eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit noch eine Beschränkung der Ausübung einer durch den EG-Vertrag verbürgten Grundfreiheit darstellen.
Normenkette
EGVtr Art. 39
Beteiligte
Staatssecretaris van Financiën |
Verfahrensgang
Tatbestand
Freizügigkeit der Arbeitnehmer - Doppelbesteuerungsabkommen - Niederländische Rechtsvorschriften zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
In der Rechtssache C-385/00
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
F. W. L. de Groot
gegen
Staatssecretaris van Financiën
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) und Artikel 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Wathelet (Berichterstatter) sowie der Richter C. W. A. Timmermans, D. A. O. Edward, P. Jann und A. Rosas,
Generalanwalt: P. Léger
Kanzler: M.-F. Contet, Verwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der niederländischen Regierung, vertreten durch V. J. M. Koningsberger als Bevollmächtigten,
- der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing und B. Muttelsee-Schön als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. Michard und H. M. H. Speyart als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Herrn de Groot, vertreten durch R. van der Jagt, advocaat, der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster als Bevollmächtigte, und der Kommission, vertreten durch H. Michard und H. M. H. Speyart, in der Sitzung vom 18. April 2002,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Juni 2002,
folgendes
Urteil
1.
Der Hoge Raad der Nederlanden hat mit Urteil vom 18. Oktober 2000, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Oktober 2000, gemäß Artikel 234 EG zwei Fragen nach der Auslegung von Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG)und Artikel 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn de Groot, einem niederländischen Staatsangehörigen, der in verschiedenen Mitgliedstaaten berufstätig war, und dem Staatssecretaris van Financiën über die Berechnung der Einkommensteuer, zu der er in seinem Wohnsitzstaat für das Jahr 1994 herangezogen wurde.
Rechtlicher Rahmen
Die Gemeinschaftsregelung
3.
Nach Artikel 48 Absätze 1 und 2 EG-Vertrag wird innerhalb der Gemeinschaft die Freizügigkeit der Arbeitnehmer hergestellt; sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.
4.
Artikel 7 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 1612/68 lautet:
(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.
(2) Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer.
Die anderen im Ausgangsverfahren anwendbar...