Entscheidungsstichwort (Thema)
Stornogebühren bei vertragsgemäßem Rücktritt von einer Hotelreservierung sind nichtsteuerbarer Schadensersatz
Leitsatz (amtlich)
Art. 2 Nr. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind in dem Sinne auszulegen, dass die Beträge, die im Rahmen von Verträgen, die der Mehrwertsteuer unterliegende Beherbergungsdienstleistungen zum Gegenstand haben, als Angeld geleistet worden sind, in Fällen, in denen der Erwerber von der ihm eröffneten Möglichkeit des Rücktritts Gebrauch macht und der Hotelbetreiber diese Beträge einbehält, als pauschalierte Entschädigung zum Ausgleich des infolge des Vertragsrücktritts des Gastes entstandenen Schadens ‐ ohne direkten Bezug zu einer entgeltlichen Dienstleistung ‐ und als solche nicht als mehrwertsteuerpflichtig anzusehen sind.
Normenkette
EWGRL 388/77 Art. 2 Nr. 1, Art. 6 Abs. 1
Beteiligte
Société thermale d Eugénie-Les-Bains |
Société thermale d Eugénie-Les-Bains |
Ministère de l’Économie, des Finances et de l’Industrie |
Verfahrensgang
Conseil d' Etat (Frankreich) (Urteil vom 18.05.2005; Abl.EU 2005, Nr. C 229/7) |
Tatbestand
„Mehrwertsteuer ‐ Geltungsbereich ‐ Angeld, das im Rahmen von Verträgen, die der Mehrwertsteuer unterliegende Dienstleistungen zum Gegenstand haben, geleistet und im Fall des Rücktritts vom Dienstleistungserbringer einbehalten worden ist ‐ Einordnung“
In der Rechtssache C-277/05
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Conseil d’État (Frankreich) mit Entscheidung vom 18. Mai 2005, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Juli 2005, in dem Verfahren
Société thermale d’Eugénie-les-Bains
gegen
Ministère de l’Économie, des Finances et de l’Industrie
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter K. Lenaerts, E. Juhász (Berichterstatter), K. Schiemann und E. Levits,
Generalanwalt: M. Poiares Maduro,
Kanzler: K. Sztranc-Slawiczek, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2006,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
‐ der Société thermale d’Eugénie-les-Bains, vertreten durch X. Vuitton, avocat,
‐ der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und J. Gracia als Bevollmächtigte,
‐ Irlands, vertreten durch D. O’Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von P. McGarry, BL, und E. Fitzsimons, SC,
‐ der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes und C. Lança als Bevollmächtigte,
‐ der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Lyal und M. Afonso als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. September 2006
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Nr. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‐ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Société thermale d’Eugénie-les-Bains (im Folgenden: Société thermale) und dem Ministère de l’Économie, des Finances et de l’Industrie wegen der Erhebung von Mehrwertsteuer auf ein Angeld, das die Société thermale bei der Zimmerreservierung erhalten und nach der Stornierung einiger dieser Reservierungen einbehalten hat.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Nach Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen „Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt“, der Mehrwertsteuer.
4
Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands im Sinne des Artikels 5 ist.
Diese Leistung kann unter anderem bestehen
…
‐ in der Verpflichtung, eine Handlung zu unterlassen oder eine Handlung oder einen Zustand zu dulden;
…“
5
Nach Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie ist die Besteuerungsgrundlage bei der Erbringung von Dienstleistungen „alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der … Dienstleistende für diese Umsätze vom … Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll“.
Nationales Recht
6
Gemäß Art. 256-I des Code général des impôts (Allgemeines Steuergesetzbuch) unterliegen Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher gegen Entgelt ausführt, der Mehrwertsteuer.
7
Art. 256-IV-1° des Code général des impôts sieht vor, dass Leistungen, die keine Lieferungen eines Gegenstands sind, als Dienstleistungen gelten.
8
Art. L. 114-1 des Code de la consommation (Verbrauchergesetzbuch), hervorgegangen aus Art. 3-1 des Gesetzes Nr. 92-60 vom 18. Januar 1992 zur Stärkung de...