Leitsatz
1. Ist ein in Deutschland ansässiger Arbeitnehmer über die Tagesgrenze hinweg in der Schweiz tätig, ist für die Annahme eines sog. Nichtrückkehrtages i.S.d. Grenzgängerregelung in Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz 1971/1992 entscheidend, ob eine Nichtrückkehr an seinen Wohnsitz in Deutschland aus beruflichen Gründen erfolgt ist.
2. Schließt sich unmittelbar im Anschluss an eine "reguläre" Tagesschicht in einem Krankenhaus während der Nacht an einzelnen Wochentagen oder an Wochenenden eine Rufbereitschaft (Pikettdienst außerhalb des Betriebs) an und schließt sich daran wiederum unmittelbar eine weitere "reguläre" Tagesschicht an, ist nur von einem einzelnen Nichtrückkehrtag auszugehen, auch wenn sich die Arbeitsausübung tatsächlich über eine oder sogar mehrere Tagesgrenze(n) hinaus erstreckt hat.
3. Dies gilt unabhängig davon, ob die Rufbereitschaft im arbeitsrechtlichen Sinne als Arbeitszeit anzusehen ist oder nicht; entscheidend ist allein die arbeitsvertragliche Verpflichtung hierzu (Abgrenzung zu BFH, Urteil vom 27.8.2008, I R 64/07, BStBl II 2009, 97, BFH/NV 2008, 2126, BFH/PR 2009, 37).
Normenkette
Art. 15a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Sätze 1 und 2 DBA-Schweiz 1971/1992
Sachverhalt
Der im Inland wohnende Kläger war als stellvertretender Chefarzt ca. 40 km von seinem Wohnort entfernt in einem Spital in der Schweiz tätig.
Im Arbeitsvertrag des Klägers war eine Teilzeitarbeit von 80 % (= 40 Stunden pro Woche) vereinbart worden. Die Arbeitszeit konnte sich aber nach Bedarf auf 100 % erhöhen. Zudem war eine "gleichmäßige Beteiligung am Rufdienst" in der Nacht und am Wochenende "als Arbeitszeit" vereinbart. Der Rufdienst führte dazu, dass der Kläger in einer angemieteten Wohnung übernachten musste, da er nach den Vorgaben seines Arbeitgebers verpflichtet war, im Notfall innerhalb von zehn Minuten im Spital zu sein. Im Rahmen des Rufdienstes war der Kläger auch verpflichtet, zusätzlich zu seiner regulären Arbeitspflicht in der Klinik als "normale Dienstzeiten" bezeichnete Tätigkeiten wie geplante Operationen an Samstagvormittagen und regelmäßigen Visiten an Sonntagen nachzukommen. Jeweils nach Ende dieser Dienste kehrte er wieder in seine angemietete Wohnung zurück und versah von dort wieder den Rufdienst. Für den Rufdienst erhielt der Kläger eine Entschädigung i.H.v. 820 CHF pro Tag, außerdem wurden Rufdienst und Wochenenddienst mit zwei Wochen Freizeit pauschal abgegolten.
Der Kläger hatte sowohl während der Nacht als auch an Wochenenden Pikettdienste zu leisten, die sich jeweils unmittelbar an eine Tagesschicht anschlossen und nach deren Ende – erneut in unmittelbarem – Anschluss teilweise eine weitere Tagesschicht folgte. Er erfasste alle Tage der ärztlichen Rufbereitschaft – damit auch mehrtägige Dienste an Freitagen, Samstagen und Sonntagen sowie an einzelnen Tagen unter der Woche – als gesonderte Nichtrückkehrtage i.S.d. Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992. Insgesamt gab er die beruflich bedingten Abwesenheiten im Streitjahr mit 66 Tagen an.
Das FA folgte dieser Zählweise nicht und unterwarf den Arbeitslohn der ESt. Die dagegen erhobene Klage war erfolglos (FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, Urteil vom 13.4.2011, 14 K 1357/11, Haufe-Index 2726755, EFG 2011, 1621).
Entscheidung
Der BFH bestätigte mit den in den Praxis-Hinweisen dargestellten Erwägungen das FG im Ergebnis: Die Zahl der "Nichtrückkehrtage" übersteige im Streitjahr mit 39 Tagen nicht die in Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/1992 bestimmte Grenze. Daher habe der Kläger die in Rede stehenden Einkünfte als Grenzgänger erzielt, weshalb jene Einkünfte nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/1992 in Deutschland besteuert werden dürften.
Hinweis
1. Besonders im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet streiten die FÄ und Steuerpflichtigen immer wieder über die Besteuerungshoheit, wenn der Steuerpflichtige zwar in Deutschland wohnt, jedoch in der Schweiz arbeitet. Es geht dann um die Frage, ob der Steuerpflichtige als sog. Grenzgänger i.S.v. Art. 15a DBA-Schweiz anzusehen ist oder aber – was regelmäßig belastungsgünstiger ist – der Schweizer Besteuerung unterfällt.
2. Grenzgänger in jenem Sinne sind solche Personen, die von ihrem Arbeitsort regelmäßig an ihren Wohnort zurückkehren. Bleiben sie an mehr als 60 Arbeitstagen aus Gründen, die in ihrer Arbeitsausübung liegen, in der Schweiz, dann verlieren sie ihren Status.
3. Wann die 60 Tage erreicht und überschritten sind, errechnet sich letztlich rein kalendarisch. Allerdings gibt es Abweichungen: Personen, die bedingt durch die betrieblichen Umstände nicht heimkehren können, z.B. weil sie im Schichtdienst arbeiten oder weil sie Bereitschaftsdienst haben, werden "fiktiv" als Rückkehrer behandelt. Das bestimmt das Verhandlungsprotokoll zum DBA-Schweiz.
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Dazu hatte der BFH ursprünglich in seinem Urteil vom 16.5.2001, I R 100/00 (BStBl II 2001, 633, BFH/PR 2001, 358) entschieden: Es könne nicht darauf ankommen, ob die "übernächtliche" oder mehrtägige Abwesenheit in Umständen begründet ist, die a... |