Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Inanspruchnahme für rückständige Zinsen des Organträgers nach § 73 AO
Leitsatz (redaktionell)
- Die Haftung bei Organschaft nach § 73 AO umfasst nicht die Haftung für steuerliche Nebenleistungen wie z. B. Zinsen. Denn steuerliche Nebenleistungen wie die Zinsen nach § 233a AO sind keine Steuern.
- Es ist für die Auslegung des § 73 AO unerheblich, dass nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO auf Zinsen die für Steuern geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden sind.
Normenkette
AO §§ 73, 239 Abs. 1 S. 1
Streitjahr(e)
1993, 1994, 1995, 1996, 1997
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob die Haftung bei Organschaft (§ 73 Abgabenordnung – AO –) auch die Haftung für Zinsen nach § 233a AO umfasst.
Zwischen der Klägerin, die früher unter G Steuerberatungsgesellschaft mbH firmierte, und G bestand bis zum 31.12.1998 eine umsatzsteuerliche Organschaft, wobei G Organträger und die Klägerin Organgesellschaft war. Hierauf wies die Klägerin (allerdings erst) 1999 hin. Die Organschaft hatte der Beklagte bis dahin (erklärungsgemäß) nicht berücksichtigt und Umsatzsteuer gegen die Klägerin festgesetzt. Nach Aufhebung der Umsatzsteuerfestsetzungen 1993 bis 1997 der Klägerin und Erfassung der Umsätze beim Organträger wurden gemäß § 233 a AO zugunsten der Klägerin (Erstattungs-)Zinsen in Höhe von 78.976 DM und zuungunsten des Organträgers (Nachforderungs-)Zinsen in gleicher Höhe festgesetzt.
Nachdem schon Vollstreckungsversuche wegen anderer Abgabenrückstände beim Organträger nicht zum Erfolg geführt hatten, nahm der Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 04.07.2000 für die Nachforderungszinsen gemäß § 73 AO in Haftung. Da der Beklagte den Einspruch nicht beschied, erhob die Klägerin am Untätigkeitsklage. Mit Bescheid vom…wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Haftung bei Organschaft nach § 73 AO umfasse nicht die Haftung für steuerliche Nebenleistungen wie Zinsen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Haftungsbescheid vom…und den Einspruchsbescheid vom…aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, die Organgesellschaft hafte nicht nur für die Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist, sondern auch, soweit diese Steuern zu verzinsen sind. Dies folge daraus, dass nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO auf Zinsen die für Steuern geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden seien. Nach dem Regelungsinhalt des § 73 solle die Vorschrift dafür sorgen, dass das wirtschaftlich einheitliche Unternehmen „Organschaft” für die von ihr aus der Unternehmensform gezogenen wirtschaftlichen Vorteile aufkommen solle.
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom…und…auf mündliche Verhandlung verzichtet und sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Der Haftungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der Haftungsbescheid und der dazu ergangene Einspruchsbescheid sind daher aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO -).
1. Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO) und durch den Berichterstatter (§ 79 a Abs. 3 und 4 FGO).
2. Die Haftung bei Organschaft nach § 73 AO umfasst nicht die Haftung für steuerliche Nebenleistungen wie z. B. Zinsen.
Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift. Nach § 73 AO haftet eine Organgesellschaft für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist. Den Steuern stehen die Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen gleich. Steuerliche Nebenleistungen wie die Zinsen nach § 233 a AO sind aber nach der Terminologie der AO (§ 3 Abs. 1 und 3 AO) keine Steuern (Loose in Tipke/Kruse, AO, § 73, 7; Kühn/Hofmann, AO-FGO, § 73, 1, 3; a.A. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 73, 18; Schwarz, AO, § 73, 6; Klein/Rüsken, AO, § 73, 10).
Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass dem Gesetzgeber bei der Abfassung des § 73 AO ein Versehen unterlaufen wäre, das im Wege der Auslegung korrigiert werden müsste. Der Gesetzgeber hat den Umfang der Haftung in den §§ 69 ff AO sehr unterschiedlich geregelt. Die §§ 69, 72 AO begründen eine Haftung für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis im Sinne des § 37 Abs. 1 AO, also auch für steuerliche Nebenleistungen. Nach § 70 AO wird für Steuern und Steuervorteile gehaftet, zu denen die steuerlichen Nebenleistungen nicht gehören (BFH-Urteil vom 05.11.1993 VI R 16/93, BStBl II 1994, 557). Die Haftung nach § 71 AO erstreckt sich auf Steuern, Steuervorteile und (nur) Hinterziehungszinsen nach § 235 AO. Aus den §§ 74, 75 AO ergibt sich - insoweit gleich lautend mit § 73 AO – eine Haftung für Steuern und Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen, wobei § 75 AO zusätzlich noch die Haftung für Steuerabzugsbeträge anordnet. Diese differenzierte Gesetzeslage lässt nur den...