Entscheidungsstichwort (Thema)
Versteuerung privater Wertpapierveräußerungsgeschäfte im Jahr 1996 verfassungsgemäß
Leitsatz (redaktionell)
Es ist ausgeschlossen, dass § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG für 1996 für nichtig erklärt wird, obwohl das Bundesverfassungsgericht die Besteuerung privater Wertpapiergeschäfte für die Jahre 1997 und 1998 für verfassungswidrig und § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b EStG insoweit für nichtig erklärt hat. Vielmehr ist davon auszugehen, dass trotz gleichheitswidrigen Vollzugsdefizits dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist zugebilligt würde, die auch 1996 einschließt und wegen des Kontinuitätsgebots auch für dieses Jahr anzuwenden ist.
Normenkette
EStG § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1b
Streitjahr(e)
1996
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob die Besteuerung des im Streitjahr erzielten Spekulationsgewinns verfassungsgemäß oder dieser Spekulationsgewinn um einen im Folgejahr erlittenen Spekulationsverlust zu mindern ist.
Die Kläger sind Eheleute. Sie werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Im Kalenderjahr 1997 erzielte der Kläger per Saldo einen Verlust aus der Veräußerung privater Wertpapiere in Höhe von 37.783 DM. Dieser Verlust fand im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung 1997 entsprechend § 23 Abs. 3 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) a.F. keine steuerliche Berücksichtigung.
Im Streitjahr, dem Veranlagungszeitraum 1996, erzielte der Kläger, was zwischen den Beteiligten dem Grunde und der Höhe nach unstreitig ist, einen Gewinn aus der Veräußerung privater Wertpapiere in Höhe von 76.076 DM.
Das beklagte FA erließ am 11. Juni 1998 einen erstmaligen Einkommensteuerbescheid für 1996, in dem es bei den sonstigen Einkünften einen Spekulationsgewinn in Höhe von 76.076 DM ansetzte.
Mit ihrem hiergegen eingelegten Einspruch begehrten die Kläger eine Minderung ihrer Einkünfte aus Kapitalvermögen.
Am 20. September 1999 stellten die Kläger einen Antrag auf abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 Abgabenordnung (AO). Der Spekulationsgewinn des Streitjahres sei im Rahmen eines intertemporalen Verlustausgleiches um die Spekulationsverluste des Kalenderjahrs 1997 zu mindern. Die Kläger bezogen sich auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. September 1998 Az. 2 BvR 1818/91 (BVerfGE 99, 88) zum Ausschluss des nach § 22 Nr. 3 EStG. Die neue Regelung in § 23 Abs. 3 Satz 7 EStG sei entsprechend der Neuregelung in § 22 Nr. 2 letzter Satz EStG n.F. auch für zurückliegende Veranlagungszeiträume anzuwenden. Mit Fax vom 22. September 1999 beantragten die Kläger unter Bezugnahme auf ihren Antrag 20. September 1999, den Verlustrücktrag auch im Rahmen des laufenden Einspruchsverfahrens zu berücksichtigen.
Ebenfalls am 22. September 1999 erteilte das FA den Klägern einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 1996. Der Bescheid enthält den Hinweis, dass sich hierdurch der Einspruch erledige.
Am 29. September 1999 teilten die Kläger dem FA mit, dass sich ihrer Auffassung nach der Einspruch nicht erledigt habe. Insbesondere habe das FA ihrem Begehren, die Spekulationsverluste aus 1997 in das Jahr 1996 zurückzutragen, nicht entsprochen.
Am 20. Oktober 1999 erließ das FA einen weiteren Einkommensteueränderungsbescheid.
Mit Einspruchsbescheid vom 2. Dezember 1999 wies der Beklagte den Einspruch der Kläger gegen den Einkommensteuerbescheid 1996 in der zuletzt geänderten Fassung vom 22. Oktober 1999 und der damit verbundenen Ablehnung eines Antrages auf abweichende Festsetzung im Billigkeitswege nach § 163 AO als unbegründet zurück.
Hiergegen haben die Kläger form- und fristgerecht Klage erhoben. Soweit sich ihre Klage auch gegen die Ablehnung einer abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen richtete, haben sie die Klage zurückgenommen. Das Verfahren wurde insoweit abgetrennt und eingestellt (§ 72 der Finanzgerichtsordnung – FGO).
Soweit die Kläger mit ihrer Klage zunächst nur eine Minderung des Spekulationsgewinns des Klägers um seine Spekulationsverluste aus 1997 begehrt haben, verfolgen sie dieses Begehren nur noch hilfsweise.
Vorrangig vertreten sie die Auffassung, dass eine Berücksichtigung eines Gewinns aus der Veräußerung privater Wertpapiere bei den sonstigen Einkünften im Streitjahr 1996 wegen eines strukturellen Vollzugsdefizits verfassungswidrig sei. Zwar habe das BVerfG in seinem Urteil vom 9. März 2004 Az. 2 BvL 17/02 (BVerfGE 110, 94, BStBl II 2005, 56) § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b EStG nur für die Veranlagungszeiträume 1997 und 1998 als mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar beurteilt. Diese Voraussetzungen lägen aber im Streitjahr 1996 ebenfalls vor. Soweit die dritte Kammer des BVerfG die Vorlage des FG Münsters 5. April 2005, Az: 8 K 4710/01 E (EFG 2005, 1117) mit Beschluss vom 18. April 2006 in dem Verfahren 2 BvL 8/05 (HFR 2006, 716) als unzulässig zurückgewiesen hat, habe die dritte Kammer nicht ausgesprochen, dass ein strukturelles Vollzugsdefizit bei ...