Leitsatz
1. Zwischen Schwestergesellschaften besteht auch unter Berücksichtigung des Unionsrechts keine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG.
2. Die Organschaft entfällt spätestens mit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt für die Organgesellschaft.
3. Der Grundsatz von Treu und Glauben wie auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes stehen einer Forderungsanmeldung von Umsatzsteuer im Insolvenzverfahren einer GmbH nicht entgegen, wenn die GmbH bei einer zunächst unzutreffend bejahten Organschaft, bei der sie rechtsfehlerhaft als Organgesellschaft angesehen wurde, die tatsächlich von ihr als Steuerschuldner geschuldete Umsatzsteuer von dem vermeintlichen Organträger vereinnahmt hat.
Normenkette
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, § 176 AO, § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO
Sachverhalt
Der Kläger ist Insolvenzverwalter einer GmbH, über deren Vermögen am 29.6.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Bereits am 8.4.2009 war der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 InsO bestellt worden. Gesellschafter der GmbH und ihrer Schwestergesellschaft, einer KG, waren mehrere natürliche Personen und eine GbR. Bis zum Jahresende 2008 gingen die GmbH, die KG und das Finanzamt davon aus, dass die KG umsatzsteuerrechtlich Organträger ihrer Schwestergesellschaft, der GmbH, als Organgesellschaft war. Die GmbH zahlte die auf ihre Tätigkeit entfallende Umsatzsteuer als Organgesellschaft an die KG als Organträger. Die KG versteuerte die Umsätze der GmbH als Organträger.
Im Zusammenhang mit der Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung für März 2009 im Mai 2009 machte die KG geltend, dass es für eine Organschaft an der organisatorischen Eingliederung fehle. Nachdem das Finanzamt das Nichtbestehen der Organschaft anerkannt hatte, änderte es die Steuerfestsetzungen zugunsten der KG und erstattete der KG die auf die Umsatztätigkeit der GmbH entfallende Umsatzsteuer. Der Insolvenzverwalter machte gegenüber der KG erfolgreich die Rückzahlung der ursprünglich von der GmbH an die KG geleisteten Steuerzahlungen geltend.
Das FA meldete für 2009 Umsatzsteuerforderungen zur Insolvenztabelle im Insolvenzverfahren der GmbH an. Der Kläger erhob hiergegen Widerspruch. In seinem Feststellungsbescheid vom 28. Oktober 2013 hielt das FA an der Forderungsanmeldung fest. Einspruch und Klage beim Finanzgericht (Niedersächsisches FG, Urteil vom 30.10.2014, 16 K 5/14, Haufe-Index 8905767) hatten im Wesentlichen keinen Erfolg.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz. Da die Voraussetzungen für eine Organschaft nicht vorlagen, hatte die GmbH die von ihr ausgeübte Umsatztätigkeit selbst zu versteuern. Da zudem der Insolvenzverwalter der GmbH die an die KG gezahlte Umsatzsteuer von dieser wieder zurückerhalten hatte, erfolgte die Anmeldung der Umsatzsteuer für diese Umsatztätigkeit im Insolvenzverfahren der GmbH ohne Verstoß gegen allgemeine Rechtsgrundsätze.
Hinweis
1. Nach der Rechtsprechung des BFH besteht zwischen Schwestergesellschaften keine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG. Der BFH hat zudem entschieden, dass die Organschaft spätestens mit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt für die bisherige Organgesellschaft entfällt.
2. Wurde eine GmbH, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird, vor der Insolvenzeröffnung zu Unrecht als Organgesellschaft angesehen, kann sich die Frage stellen, ob eine Anmeldung der auf die Umsatztätigkeit der GmbH entstehenden Umsatzsteuer als Insolvenzforderung gegen die Grundsätze von Treu und Glauben und des Vertrauensschutzes verstößt.
Der BFH verneint dies jedenfalls für die Fallgestaltung, dass die GmbH, die Umsatzsteuer für ihre Unternehmenstätigkeit aufgrund der unzutreffenden Annahme einer Organschaft zunächst an eine andere Person zahlt, diese später wieder von dieser Person zurückerhält.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 24.8.2016 – V R 36/15