Leitsatz
In den Fällen, in denen einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung im Zeitpunkt der gesetzlichen Fälligkeit einer Umsatzsteuerschuld noch nicht entsprochen worden ist und in denen der Haftungsschuldner die Steuerschuld nicht entrichtet und entsprechende Mittel zur Begleichung der Steuerschuld auch nicht bereitgehalten hat, ist hinsichtlich der Verwirklichung des Haftungstatbestands des § 69 AO nicht auf den Zeitpunkt der – späteren – tatsächlichen Fälligkeit, sondern auf den der gesetzlichen Fälligkeit des Steueranspruchs abzustellen. Mit der so verstandenen Verwirklichung des Haftungstatbestands zum gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt beginnt zugleich der Lauf der Festsetzungsverjährung für den Haftungsanspruch gem. § 191 Abs. 3 AO.
Normenkette
§ 69 AO , § 361 Abs. 2 AO , § 191 Abs. 3 AO
Sachverhalt
Der Geschäftsführer einer inzwischen insolventen GmbH wird auf Haftung wegen Umsatzsteuerschulden in Anspruch genommen. Die Umsatzsteuer war von ihm zunächst nicht erklärt worden. Gegen den deshalb ergangenen Umsatzsteuer-Bescheid des FA hatte er für die GmbH Einspruch eingelegt und die Aussetzung der Vollziehung beantragt. Das FA hatte die Vollziehung mit Rückwirkung von dem Tag an ausgesetzt, an dem die festgesetzte Steuer fällig geworden war.
Zwischen dem Geschäftsführer und dem FA besteht darüber Streit, wann die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid, soweit dieser auf der Nichtentrichtung der vom FA festgesetzten Umsatzsteuer beruht, begonnen hat: mit der gesetzlichen Fälligkeit oder infolge der Vollziehungsaussetzung erst mit deren Ende.
Entscheidung
Spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit muss der Steuerschuldner bzw. sein Geschäftsführer die zur Begleichung der Schuld erforderlichen Mittel bereitstellen. Er muss das auch dann tun, wenn er hofft, AdV zu erhalten und dadurch die Zahlung hinausschieben zu können.
Hält der Geschäftsführer die Mittel in der Hoffnung nicht bereit, einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung werde schon entsprochen werden und die finanzielle Not der GmbH dadurch einstweilen behoben, verwirklicht er den Haftungstatbestand des § 69 AO, und zwar im Zeitpunkt der gesetzlichen Fälligkeit des Steueranspruchs.
Dementsprechend beginnt an diesem Tag die Festsetzungsfrist für seine Haftungsinanspruchnahme, die zulässig ist, wenn die Steuer später (nach Ablehnung oder Ablauf der AdV) von der GmbH nicht gezahlt werden kann. Das gilt auch dann, wenn die AdV später von dem FA "rückwirkend" gewährt wird. Denn das mit der rückwirkenden Vollziehungsaussetzung verbundene Vollziehungsverbot hat keine Auswirkungen auf bereits verwirklichte Haftungstatbestände.
Hinweis
1. Die Umsatzsteuer-Jahresschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem sie berechenbar ist. Das ist das Ende des Kalenderjahrs. Der gesetzliche Fälligkeitszeitpunkt für einen geschuldeten Unterschiedsbetrag (Differenz zu den geleisteten Vorauszahlungen) ergibt sich aus § 18 Abs. 4 UStG (einen Monat nach Abgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung bzw. nach Bekanntgabe des Jahresbescheids).
Zu diesen beiden Zeitpunkten muss ein Geschäftsführer die geschuldete Umsatzsteuer bzw. Umsatzsteuervorauszahlung bereithalten; nach der Rechtsprechung des BFH muss er sogar schon vorausschauend vor dem Fälligkeitszeitpunkt Vorsorge dafür treffen, dass er absehbare Umsatzsteuerschulden bei Fälligkeit begleichen kann. Das gilt selbstredend auch dann, wenn der Geschäftsführer gegen die Steuerfestsetzung Rechtsbehelfe einlegt und Vollziehungsaussetzung zu erlangen hofft.
Von seiner Vorsorgepflicht ist er allenfalls dann frei, wenn er vor Fälligkeit Stundung beantragt hat und mit deren Gewährung auch fest rechnen kann; denn anders als die Vollziehungsaussetzung schiebt eine Stundung die Fälligkeit hinaus, was von dem FA zumindest rückwirkend auf den Zeitpunkt des Stundungsantrags gewährt werden kann und es dann möglicherweise rechtfertigt, in der Nicht-Bereithaltung der an sich zunächst fällig gewordenen Mittel zur Tilgung der Steuerschuld keine Pflichtverletzung zu sehen. Allerdings würde dabei das Fehlen einer Pflichtverletzung gleichsam fingiert, so wie eine "rückwirkende Stundung" genau betrachtet nur als Fiktion verstanden werden kann, die Steuerschuld sei noch nicht fällig geworden bzw. von Anfang an nicht fällig gewesen.
Ob das bereits infolge der zunächst eingetretenen Fälligkeit von Gesetzes wegen entstandene Rechtsfolgen beseitigt, z.B. einer bereits erklärten Aufrechnung durch rückwirkende Beseitigung der Aufrechnungslage die Wirkung nähme, erscheint mehr als fraglich. Unberührt davon bleibt selbstverständlich die Möglichkeit, die bereits eingetretenen Rechtsfolgen durch gesonderte Entscheidung – z.B. den Erlass zunächst entstandener Säumniszuschläge – zu beseitigen und damit der Stundung im Ergebnis Rückwirkung zu verschaffen.
2.Haftungsansprüche des FA verjähren wie Steueransprüche (vgl. § 191 Abs. 3 AO). Die Festsetzungsfrist beginnt, wenn der Haftungstatbestand verwirklicht ist (vgl. näher § 191 Abs. 3 Satz 3 AO); das setzt nicht voraus, dass ...