Leitsatz
1. Im Falle einer konzerninternen internationalen Arbeitnehmerentsendung wird das aufnehmende inländische Unternehmen zum wirtschaftlichen Arbeitgeber i.S. von § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG, wenn es den Arbeitslohn für die ihm geleistete Arbeit wirtschaftlich trägt, der Einsatz des Arbeitnehmers bei dem aufnehmenden Unternehmen in dessen Interesse erfolgt, der Arbeitnehmer in den Arbeitsablauf des aufnehmenden Unternehmens eingebunden und dessen Weisungen unterworfen ist.
2. Das wirtschaftliche Tragen des Arbeitslohns ersetzt in den Fällen des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG die für den zivilrechtlichen Arbeitgeberbegriff erforderliche arbeits- bzw. dienstvertragliche Bindung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, auf der die Zahlung des lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohns (zivilrechtlich) im Regelfall beruht. Unbeschadet dessen muss die entsandte Person nach allgemeinen Grundsätzen als Arbeitnehmer des wirtschaftlichen Arbeitgebers anzusehen sein.
Normenkette
§ 42d Abs. 1 Nr. 1, § 41a, § 38 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 3, § 19, § 1 Abs. 4, § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c EStG, § 1 Abs. 2 LStDV, Art. 15 Abs. 4 DBA CHE
Sachverhalt
Die in der Schweiz ansässige A-AG (AG) war die alleinige Gesellschafterin der Klägerin. Die AG und die Klägerin schlossen eine "Dienstleistungsvereinbarung" (DV) dahin gehend, dass die AG der Klägerin mit B einen Geschäftsführer zur Verfügung stellte. B, der seinen Wohnsitz in der Schweiz hatte, war gleichzeitig Verwaltungsrat der AG und CEO der Unternehmensgruppe. B sollte die Geschäfte im Namen, Auftrag und Risiko der Klägerin führen. Hierfür hatte die Klägerin an die AG eine pauschale monatliche Vergütung (Entschädigung) zu leisten. Entlohnt wurde B weiterhin von der AG. Die Vergütungen, die er von der AG bezog, blieben nach seiner Bestellung zum Geschäftsführer der Klägerin im Wesentlichen unverändert. Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten LSt-Außenprüfung vertrat die Prüferin die Auffassung, die Zahlungen, die die Klägerin an die AG gemäß der DV für die Tätigkeit des Geschäftsführers B geleistet habe, seien dem deutschen LSt-Abzug zu unterwerfen. Die Klägerin sei nach § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG wirtschaftliche Arbeitgeberin des B, der in Deutschland gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c EStG beschränkt steuerpflichtig sei. Die Einkünfte seien nach Art. 15 Abs. 4 DBA CHE im Inland zu versteuern. Das FA folgte der Auffassung der Prüferin und erließ einen entsprechenden Haftungsbescheid. Das FG wies die hiergegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage ab (Thüringer FG, Urteil vom 13.12.2018, 3 K 795/16, Haufe-Index 13407245, EFG 2019, 1205).
Entscheidung
Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das angefochtene Urteil auf und wies die Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück.
Hinweis
1. Nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG haftet der Arbeitgeber für die Lohnsteuer, die er bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten und abzuführen hat.
2. Arbeitgeber i.S.d. Lohnsteuerrechts ist grundsätzlich derjenige, dem der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung schuldet, unter dessen Leitung er tätig wird oder dessen Weisung er zu befolgen hat (Umkehrschluss aus § 1 Abs. 2 LStDV). Dies ist regelmäßig der Vertragspartner des Arbeitnehmers aus dem Dienstvertrag (zivilrechtlicher Arbeitgeber).
3. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin nicht zivilrechtliche Arbeitgeberin des B war. Zwischen ihr und B bestand kein (abhängiges) Beschäftigungsverhältnis, kraft dessen B der Klägerin seine Arbeitskraft gegen ein (Arbeits‐)Entgelt schuldete.
4. Allerdings ist nach § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG in den Fällen der Arbeitnehmerentsendung inländischer Arbeitgeber auch das in Deutschland ansässige aufnehmende Unternehmen, das den Arbeitslohn für die ihm geleistete Arbeit wirtschaftlich trägt; Voraussetzung hierfür ist nicht, dass das Unternehmen dem Arbeitnehmer den Arbeitslohn im eigenen Namen und für eigene Rechnung auszahlt.
5. Das inländische aufnehmende Unternehmen wird jedoch nicht allein schon dadurch zum wirtschaftlichen Arbeitgeber, dass es dem entsendenden Unternehmen den Arbeitslohn erstattet, der auf die im Inland ausgeübte Tätigkeit entfällt. Voraussetzung für die wirtschaftliche Arbeitgeberstellung i.S.v. § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG ist vielmehr außerdem, dass der Einsatz des Arbeitnehmers bei dem aufnehmenden Unternehmen in dessen Interesse erfolgt und dass der Arbeitnehmer in den Arbeitsablauf des aufnehmenden Unternehmens eingebunden und dessen Weisungen unterworfen ist (s. BFH, Urteil vom 23.2.2005, I R 46/03, BFH/NV 2005, 1191; BMF vom 3.5.2018, IV B 2 – S 1300/08/10027, BStBl I 2018, 643, Rz. 132 ff.).
6. Das wirtschaftliche Tragen des Arbeitslohns ersetzt in den Fällen des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG die für den zivilrechtlichen Arbeitgeberbegriff sonst erforderliche arbeits‐ bzw. dienstvertragliche Bindung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, auf der die Zahlung des lohnsteuerpflichtigen Arbeitslohns durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer (z...