Leitsatz (amtlich)
Das Entgelt für eine in der Überlassung eines Wirtschaftsgutes des Privatvermögens bestehende Leistung unterliegt dann nicht der Besteuerung nach § 22 Nr. 3 EStG, wenn es im Einzelfall bei wirtschaftlicher Betrachtung dem Normalbild des Ausgleichs für eine Minderung des Vermögenswertes in seiner Substanz entspricht. Abfindungen, die der Mieter einer Wohnung für vermögenswerte Einschränkungen seiner Mietposition erhält, unterliegen grundsätzlich nicht der Einkommensteuer (Abweichung von den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 16. Dezember 1966 VI R 61/66; BFHE 88, 1, BStBl III 1967, 251).
Normenkette
EStG § 22 Nr. 3
Tatbestand
Streitig ist sachlich, ob der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) eine den Klägern und Revisionsklägern, den Eheleuten S (Kläger), im Streitjahr 1967 zugeflossene Abfindung zu Recht der Besteuerung nach § 22 Nr. 3 EStG unterworfen hat.
Die Kläger bewohnten im Jahre 1967 eine Mietwohnung. Die Vermieter und Grundstückseigentümer veräußerten im selben Jahre die südseitig an das Gebäude angrenzende Teilfläche. Die Erwerber beabsichtigten, entsprechend einer Auflage der Lokalbaukommission der Stadt und im Einvernehmen mit den Grundstückseigentümern des Mietshauses, einen Wohnblock unmittelbar an das stehende Gebäude anzubauen. Die Verwirklichung dieses Planes machte den Umbau der angrenzenden Mietwohnungen erforderlich (im Falle der Kläger insbesondere durch Auflassung eines Südzimmers durch Verbindung mit dem Nebenzimmer wegen des Wegfalls der einzigen Fenster, Entfernung der beiden Balkone auf der Südseite, Anbringung eines neuen Balkons auf der Westseite, Versetzung eines Heizkörpers und Durchführung von Elektroinstallationen und Fußbodenarbeiten).
Die betroffenen Mieter widersetzten sich diesem Umbau zunächst mit der Begründung, die betreffenden Wohnungen würden wesentlich an Wohnwert verlieren. Gegen Zahlung von einmaligen Abfindungen in unterschiedlicher Höhe erklärten sie schließlich ihr Einverständnis, ohne es auf einen Rechtsstreit ankommen zu lassen. Die Kläger erhielten im Jahre 1967 "als Abfindung für die Minderung des Gebrauchswertes" ihrer Wohnung einen Betrag von 20 000 DM ausbezahlt. Damit sollte nach den Vereinbarungen mit den Vermietern auch eine "Minderung in der monatlichen Miete durch den Umbau abgegolten" sein. Im Falle des vorzeitigen Auszuges eines Mieters bestand für diesen keine Verpflichtung, die Abfindungssumme zurückzuzahlen.
Am 12. August 1971 erließ das FA einen Einkommensteuerbescheid, in dem es einen Betrag von 15 000 DM als sonstige Einkünfte der Besteuerung unterwarf. Einen geschätzten Teilbetrag von 5 000 DM sah es als nicht steuerbaren Schadensersatz an. Gegen diesen Bescheid erhoben die Kläger mit Zustimmung des FA Sprungklage, die keinen Erfolg hatte. Das FG stützte sein Urteil sachlich auf die Entscheidung des BFH vom 16. Dezember 1966 VI R 61/66 (BFHE 88, 1, BStBl III 1967, 251) zur Besteuerung einer Mieterabfindung für vorzeitige Räumung der Wohnung. Die Vorentscheidung ist in EFG 1975, 472, veröffentlicht.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Kläger, die beantragen, die Vorentscheidung und den endgültigen Steuerbescheid vom 12. August 1971 aufzuheben, hilfsweise, die Einkommensteuer auf 5 176 DM festzusetzen. Die Kläger halten die Besteuerung der Abfindung für sachlich fehlerhaft.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Entgegen der Auffassung des FG stellt die Abfindung kein Entgelt für eine Leistung i. S. von § 22 Nr. 3 EStG dar.
a) Nach dem Wortlaut der Vorschrift in der im Streitjahr geltenden Fassung unterliegen der Einkommensteuer "Einkünfte aus Leistungen, soweit sie weder zu anderen Einkunftsarten (§ 2 Abs. 3 Ziff. 1 bis 6) noch zu den Einkünften i. S. der Ziffer 1 oder Ziffer 2 gehören". Die weite Fassung hat seit ihrer Schaffung Anlaß zu Unsicherheiten und Meinungsverschiedenheiten über den Regelungsinhalt gegeben (vgl. bereits Becker, StuW 1935 Teil I, Spalte 9 und 792 ff. [796]; 1936 Teil I, Spalte 531 ff. und 1669 ff.; 1938 Teil I, Spalte 876).
Nach der Rechtsprechung des BFH fällt unter den Begriff der Leistung i. S. von § 22 Nr. 3 EStG "jedes Tun, Unterlassen und Dulden, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann und um des Entgelts willen erbracht wird" (vgl. z. B. Urteil vom 28. November 1969 VI R 128/68, BFHE 97, 378, BStBl II 1970, 185, mit weiteren Hinweisen). Diese umfassende Begriffsbestimmung, die letztlich auf die Auslegung durch den RFH zurückgeht (vgl. Rechtsprechungshinweise im BFH-Urteil vom 9. April 1965 VI 82/63 U, BFHE 82, 319, BStBl III 1965, 361, und Becker, StuW 1936 Teil I, Spalte 1669), ist im Schrifttum besonders in einzelnen Anwendungsfällen auf Ablehnung gestoßen (z. B. Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 22 EStG, Anm. 71 [3] und 72 [1]; Littmann, Das Einkommensteuerrecht, 11. Aufl. 1974, §§ 22, 23 EStG, Anm. 66; Keuk in Der Betrieb 1972 S. 1130 - DB 1972, 1130 -; Thoma in NWB Fach 3, 3723; Gericke in StRK, Einkommensteuergesetz, Anm. zu § 19 Abs. 1, Rechtsspruch 434). Der Senat räumt ein, daß diese ursprünglich auf den abstrakten Begriff der Leistung bezogene Definition gelegentlich in abschließendem Sinne angeführt worden ist, obwohl der Begriff der Leistung i. S. von § 22 Nr. 3 EStG nicht erschöpfend umrissen wird. Die Begriffsbestimmung beruht auf der Erwägung, daß nach § 22 Nr. 3 EStG im Gegensatz zum früheren Rechtszustand nach dem Einkommensteuergesetz 1925 die Steuerpflicht nicht mehr von der Entfaltung eines aktiven Tuns abhängt. Nur auf diesen Teil des Leistungsbegriffs bezieht sich auch erklärtermaßen der erstmals in dem zur Besteuerung der Einkünfte aus gewerbsmäßiger Unzucht erlassenen BFH-Urteil vom 22. Juni 1962 VI 112/59 S (BFHE 75, 537, BStBl III 1962, 465) enthaltene Hinweis auf eine "weite Begriffsauslegung".
Die Rechtsprechung hat seit jeher anerkannt, daß das für die Veräußerung eines Gegenstandes des Privatvermögens erhaltene Entgelt nicht unter § 22 Nr. 3 EStG fällt (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 26. August 1975 VIII R 167/71, BFHE 116, 550, BStBl II 1976, 62, mit weiteren Hinweisen). Die Richtigkeit dieser Ausnahme zeigt die Sonderregelung der Besteuerung privater Veräußerungsvorgänge (§ 22 Nr. 2, § 23 EStG). Sie wird bestätigt durch die in § 22 Nr. 3 EStG angeführten Beispiele und die Beschränkung der steuerbaren Vorgänge in § 49 Abs. 1 Nr. 9 EStG auf Entgelte aus Nutzungsverhältnissen. Der sachliche Grund für diese Ausnahme liegt darin, daß der Gesetzgeber nach dem Sinn und Zweck der Einkommensbesteuerung die durch die Umschichtung privater Vermögenswerte zutage tretenden Wertsteigerungen nur unter ganz besonderen Voraussetzungen den steuerbaren Einkünften zuordnen wollte und zugeordnet hat. Auch das von den genannten Autoren angegriffene, sowohl vom FA als auch vom FG auf den Streitfall übertragene Urteil des BFH VI R 61/66 erkennt grundsätzlich an, daß im privaten Vermögensbereich liegende Vorgänge nicht unter § 22 Nr. 3 EStG fallen: Der VI. Senat hat die an den Mieter für die vorzeitige Räumung seiner Mietwohnung gezahlte Abfindung insoweit nicht als steuerbar angesehen, als sie eine Entschädigung für aufgewandte bzw. aufzuwendende Kosten darstellte. Bei der darüber hinausgehenden Abfindung soll es sich nach der - im übrigen nicht entscheidungserheblichen - Auffassung des VI. Senats um das Entgelt für eine Leistung i. S. von § 22 Nr. 3 EStG handeln, nach der überwiegend vom Schrifttum (s. oben) geteilten Auffassung des RFH und der früheren Rechtsprechung des BFH dagegen um eine Veräußerung bzw. einen veräußerungsähnlichen Vorgang außerhalb des Bereiches der Einkünfte (RFH-Urteil vom 11. Juli 1940 IV 113/40, RStBl 1940, 996; BFH-Urteile vom 7. Mai 1965 VI 303/64, HFR 1965, 506, und vom 6. Juli 1965 I 343/62, HFR 1965, 539).
Bisher ist nicht abschließend geklärt, nach welchen Grundsätzen die Abgrenzung einer Leistung i. S. des § 22 Nr. 3 EStG von nicht steuerbaren Vorgängen in der Vermögenssphäre zu erfolgen hat. Zu Unrecht hat die Vorinstanz darauf abgestellt, die Kläger hätten keinen Vermögenswert auf die Grundstückserwerber übertragen. Diese Erwägung trifft zwar zu, soweit es sich um Veräußerungen im eigentlichen Sinne handelt. Sie zeigt aber zugleich, daß der für die Besteuerung nach § 22 Nr. 3 EStG auszuklammernde Vermögensbereich nicht auf solche echten Veräußerungsvorgänge beschränkt werden darf. Bricht beispielsweise ein Steuerpflichtiger sein den Nachbarn störendes Privatgebäude gegen Zahlung einer vereinbarten Entschädigung ab, liegt kein derartiges Austauschverhältnis vor; gleichwohl kann nicht zweifelhaft sein, daß die Entschädigung für die Vermögensleistung nicht nach § 22 Nr. 3 EStG zu besteuern ist. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei Ersatzleistung für materielle Vermögensverluste im Falle des BFH-Urteils VI R 61/66. Der erkennende Senat stimmt daher dem RFH (Urteil IV 113/40) insoweit zu, als es veräußerungsähnliche Vorgänge (Vermögensumschichtungen) gibt, die nicht der Besteuerung unterliegen.
Der -§ 22 Nr. 3 EStG vorrangige - Regelungsinhalt der §§ 22 Nr. 2, 23 EStG geht weiter, als der Wortlaut zunächst erkennen läßt. Der Gesetzgeber hat eine abschließende - positive und negative - Regelung für die Besteuerung von Vorgängen im Bereich der Umschichtung von Sachen und Rechten des Privatvermögens getroffen. Diese Vorgänge sollen nur dann der Einkommensteuer unterliegen, wenn die Voraussetzungen des § 23 EStG (ggf. § 22 Nr. 1 oder § 17 EStG) vorliegen. Für diesen gesamten Bereich ist § 22 Nr. 3 EStG nicht anwendbar.
Dabei ist allerdings zu beachten, daß nicht jede Überlassung privater Vermögenswerte gegen Entgelt auf dieser grundsätzlich von der Einkommensbesteuerung ausgenommenen Vermögensebene liegt. So sind Nutzungsverhältnisse in der Regel mit Wertverlusten verbunden. Das auf eine derartige Wertminderung entfallende Entgelt unterliegt jedoch der Besteuerung. sei es nach § 21 EStG (z. B. BFH-Urteil vom 17. Oktober 1968 IV 84/65, BFHE 94, 369, BStBl II 1969, 180), sei es nach § 22 Nr. 3 EStG (z. B. BFH-Urteile VI 82/63 U und VIII R 167/71). Ob eine Zahlung als Gegenleistung für eine Nutzungsüberlassung oder als Entschädigung für die Aufgabe eines Vermögenswertes im Bereich der Umschichtung (Veräußerung) gewährt wird, ist für den Einzelfall nach dem wirtschaftlichen Gehalt der zugrunde liegenden Vereinbarungen zu entscheiden (vgl. zur Nutzungsüberlassung nach § 21 EStG BFH-Urteile vom 5. Oktober 1973 VIII R 78/70, BFHE 111, 43, BStBl II 1974, 130, und VIII R 167/71). Das Entgelt für eine in der Überlassung eines Wirtschaftsgutes des Privatvermögens bestehende Leistung unterliegt dann nicht der Besteuerung nach § 22 Nr. 3 EStG, wenn es im Einzelfall bei wirtschaftlicher Betrachtung dem Normalbild des Ausgleichs für eine Minderung des Vermögenswertes in seiner Substanz entspricht. Dem entspricht die bisherige Rechtsprechung zur Besteuerung eines für den Verzicht auf eine bestimmte Grundstücksnutzung geleisteten einmaligen Entgelts (BFH-Urteil VI 82/63 U); der Verzicht auf eine bestimmte Nutzungsmöglichkeit steht wirtschaftlich einem Nutzungsverhältnis gleich.
Der vom FA und vom FG im Streitfall als vergleichbar zugrunde gelegte Sachverhalt der Mieterabfindung für die vorzeitige Räumung der Wohnung kann je nach den Verhältnissen des Einzelfalles unterschiedlich zu beurteilen sein. Entspricht die Abfindung noch dem Normalbild einer Abgeltung der dem Mieter aus dem Mietverhältnis zustehenden Werte im Wesen einer Vermögensumschichtung, dann handelt es sich um einen außerhalb der Einkunftsarten liegenden Privatvorgang. Liegt sie dagegen nicht in diesem Rahmen, kann es sich wirtschaftlich um das Entgelt für eine Leistung i. S. von § 22 Nr. 3 EStG handeln. Soweit der nunmehr für die Besteuerung der sonstigen Einkünfte zuständige erkennende Senat mit dieser Auslegung von der Entscheidung VI R 61/66 abweicht, hält er daran nicht mehr fest.
b) Bei Übertragung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist die an die Kläger gezahlte Abfindung nach dem wirtschaftlichen Gehalt der Vereinbarungen nicht steuerbar. Die Kläger hatten durch den Abschluß des Mietvertrages ein vermögenswertes Recht auf Nutzung der gemieteten Wohnung für die voraussichtliche Dauer des Vertrages zu dem vereinbarten Mietpreis erlangt. Während Ansprüche aus einem Mietvertrag über eine privat genutzte Wohnung beim Vermieter grundsätzlich in den Einkommensbereich fallen, liegen sie beim Mieter in aller Regel im Vermögensbereich. Nach den unstreitigen Feststellungen des FG ist durch den Umbau neben sonstigen Vermögensverlusten der Kläger eine dauernde Minderung des Nutzungswertes der Wohnung eingetreten. Diese Beurteilung entspricht der Bedeutung der Umbaumaßnahmen. Es besteht keine Veranlassung, die Angemessenheit des von den Vertragspartnern übereinstimmend beurteilten Grades der Wertminderung in Frage zu stellen. Durch den Verzicht auf die Durchsetzung der verlorenen Mieteransprüche haben die Kläger endgültig einen der selbständigen Beurteilung fähigen Teil ihres Mietrechts aufgegeben. Für die Hingabe dieses Vermögenswertes und nicht für die Erteilung der abstrakten Zustimmung haben sie die Zahlung der Abfindung gefordert und erhalten. Das ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der zwischen den Klägern, den Vermietern und den Grundstückserwerbern getroffenen Vereinbarungen und aus der wirtschaftlichen Bedeutung des Vorganges für alle Betroffenen. Die Kläger berufen sich zu Recht darauf, daß eine - naheliegende - Minderung des Mietpreises ihre Einkünfte nicht berührt hätte. Die Durchführung des Anbaues lag allein im Interesse der Grundstückserwerber. Daher ist verständlich, daß die Vermieter mit einer Herabsetzung der Miete nicht einverstanden waren, daß die Grundstückserwerber die Regulierung der Ersatzansprüche übernahmen und daß sie Wert darauf legten, die Ansprüche durch Zahlung einer einmaligen Abfindung abzugelten. Wenn das FG trotzdem das Bestehen eines ausreichenden Zusammenhanges zwischen der Zahlung der Abfindung und den Vermögenseinbußen der Kläger verneint hat, wird diese Schlußfolgerung nicht von den tatsächlichen Feststellungen getragen. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz ist nicht entscheidend, daß die Vertragspartner bei Berechnung der Abfindung von einer 14jährigen Mietzeit (Dauer des staatlichen Belegungsrechts) ausgegangen sind, ohne die Möglichkeit des vorzeitigen Auszuges der Kläger zu berücksichtigen. Die Wertminderung - und damit die Entschädigungspflicht - betraf nur die damaligen Mieter, denen vorher das Recht auf Nutzung einer höherwertigen Wohnung zugestanden worden war. Das schließt nicht aus, daß ein Nachmieter die umgebaute Wohnung zum ursprünglich vereinbarten Mietpreis übernommen hätte. Die Höhe der angemessenen einmaligen Abfindung konnten die Vertragsparteien nur unter Zugrundelegung der mutmaßlichen Dauer der Inanspruchnahme der Wohnung durch die Kläger nach den im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bekannten Verhältnisses schätzen.
Fundstellen
Haufe-Index 72114 |
BStBl II 1977, 27 |
BFHE 1977, 182 |
NJW 1977, 271 |