Entscheidungsstichwort (Thema)
Abfindungen anläßlich der Umsetzung innerhalb eines Konzerns
Leitsatz (amtlich)
Die Steuerfreiheit von Abfindungen, die aus Anlaß der Umsetzung innerhalb eines Konzerns gezahlt werden, hängt u.a. davon ab, ob nach den Verhältnissen des einzelnen Falls die Umsetzung als Fortsetzung eines einheitlichen Dienstverhältnisses zu beurteilen ist.
Orientierungssatz
Die Auflösung eines Dienstverhältnisses verlangt dessen endgültige Beendigung. Nur unter dieser Voraussetzung ist die aus sozialpolitischen Gründen gewährte Steuerbefreiung gemäß § 3 Nr. 9 EStG, mit der den Folgen eines Arbeitsplatzverlustes Rechnung getragen werden soll, gerechtfertigt (vgl. Literatur). Eine Auflösung des Dienstverhältnisses liegt daher nicht vor, wenn es nach einer sog. Änderungskündigung mit geänderten Konditionen fortgeführt wird (vgl. BFH-Urteil vom 10.10.1986 VI R 178/83; Literatur). Andererseits wird ein bestehendes Dienstverhältnis nicht fortgesetzt, wenn nach Beendigung dieses Verhältnisses mit demselben Arbeitgeber ein neues Dienstverhältnis zu anderen Bedingungen begründet wird.
Normenkette
EStG § 3 Nr. 9
Tatbestand
I. Streitig ist, ob die Umsetzung innerhalb eines Konzerns als eine vom Arbeitgeber veranlaßte Auflösung eines Dienstverhältnisses im Sinne des § 3 Nr.9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr 1984 maßgeblichen Fassung zu beurteilen ist.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war seit Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Fa. A in der Pharmaforschung tätig. Die A stellte diesen Bereich Ende September 1984 ein. Die Pharmaforschung sollte fortan bei der Firma B, einer Tochterfirma der A, konzentriert werden. Die betroffenen Mitarbeiter der A konnten aufgrund der Betriebsvereinbarung vom 16.Februar 1983 wählen, bei der A ein anderes Tätigkeitsfeld zu übernehmen oder ihre bisherige Tätigkeit als Arbeitnehmer der B fortzusetzen. Die Vereinbarung sprach in diesem Zusammenhang von einer Umwandlung des Arbeitsvertrages mit der A in einen solchen mit der B.
Im letztgenannten Fall erhielten die Arbeitnehmer das Recht, innerhalb eines Jahres zur A zurückzukehren. Über diesen Zeitraum hinaus war ein Rückkehrrecht für den Fall vorgesehen, daß das Arbeitsverhältnis mit der Firma B aus betriebsbedingten Gründen endete. Die bisher bei der A anerkannten Dienstzeiten wurden bei der B angerechnet. Für die Mitarbeiter galt weiter die Pensionsordnung der A.
Zum Ausgleich niedrigerer oder nicht vorhandener betrieblicher Leistungen bei der B (u.a. Treueprämie, Erschwerniszulage, Pensionsurlaub, Familienzulage) erhielten die übertretenden Mitarbeiter Ausgleichszahlungen. Hinsichtlich dieser Zahlungen konnten die Mitarbeiter wiederum wählen zwischen einer Einmalzahlung bis zu einer bestimmten Obergrenze und laufenden monatlichen Zahlungen. Entschied sich der Mitarbeiter für eine Einmalzahlung, hatte er diese zurückzuzahlen, wenn er innerhalb von zwei Jahren aus der B ausschied. Die laufenden Zahlungen sollten gekürzt werden, wenn sich die betrieblichen Leistungen der B verbesserten oder aber die Leistungen der A verschlechterten.
Der Kläger, der sich für einen Übertritt zur B entschied, bezog eine Einmalzahlung von 7 000 DM und ab Oktober 1984 laufende Zahlungen in Höhe von 403 DM monatlich.
Der Kläger hielt die Beträge in Höhe von 7 000 DM und 1 209 DM (*= 8 209 DM) gemäß § 3 Nr.9 EStG für steuerfrei. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) unterwarf sie in voller Höhe der Einkommensteuer. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung des § 3 Nr.9 EStG.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheides vom 3.Mai 1985 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 26.November 1985 die Einkommensteuer auf den Betrag festzusetzen, der sich ergibt, nachdem für die Einmalzahlung von 7 000 DM Steuerbefreiung nach § 3 Nr.9 EStG gewährt wird.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
1. Gemäß § 3 Nr.9 Satz 1 EStG sind Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlaßten oder gerichtlich ausgesprochenen Auflösung des Dienstverhältnisses, höchstens jedoch 24 000 DM, steuerfrei.
a) Die Auflösung des Dienstverhältnisses verlangt dessen endgültige Beendigung. Nur unter dieser Voraussetzung ist die aus sozialpolitischen Gründen gewährte Steuerbefreiung, mit der den Folgen eines Arbeitsplatzverlustes Rechnung getragen werden soll, gerechtfertigt (vgl. v. Beckerath in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 3 Anm.A 777 ff.; Hartz/Meeßen/Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, "Entschädigungen (Abfindungen)", A; rr, Finanz-Rundschau ―FR― 1978, 91).
Eine Auflösung des Dienstverhältnisses liegt daher nicht vor, wenn es nach einer sog. Änderungskündigung mit geänderten Konditionen fortgeführt wird (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 10.Oktober 1986 VI R 178/83, BFHE 148, 257, BStBl II 1987, 186; v. Beckerath in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 3, B 9/41 "Änderungskündigung"; Offerhaus, Deutsche Steuer-Zeitung ―DStZ― 1981, 445, 449; derselbe, Die steuerliche Betriebsprüfung ―StBp― 1987, 71). Andererseits wird ein bestehendes Dienstverhältnis nicht fortgesetzt, wenn nach Beendigung dieses Verhältnisses mit demselben Arbeitgeber ein neues Dienstverhältnis zu anderen Bedingungen begründet wird (BFH in BFHE 148, 257, BStBl II 1987, 186).
b) Ob eine Umsetzung innerhalb eines Konzerns die Beendigung des Dienstverhältnisses zur Folge hat, hängt demnach davon ab, ob das neue Dienstverhältnis als Fortsetzung des bisherigen Dienstverhältnisses zu beurteilen ist.
Eine rein formale Betrachtung, die ausschließlich auf den Wechsel der Arbeitgeber abstellt, wird der Zielsetzung des § 3 Nr.9 EStG nicht gerecht. Die einzelnen Konzern-Unternehmen sind unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefaßt (§ 18 des Aktiengesetzes ―AktG―); trotz der rechtlichen Selbständigkeit der Arbeitgeber können das alte und das neue Arbeitsverhältnis in einer Weise verbunden sein, die gegen eine Auflösung spricht.
Allerdings entspricht es dem Tatbestand des § 3 Nr.9 EStG ebensowenig, jede Umsetzung innerhalb eines Konzerns von vornherein als bloße Änderung des Dienstverhältnisses zu qualifizieren. Entscheidend ist vielmehr, ob die Beteiligten nach den Umständen des einzelnen Falles die Umsetzung als Fortsetzung eines einheitlichen Dienstverhältnisses ausgestaltet haben (vgl. Hartz/Meeßen/Wolf, a.a.O., C II 3; Offerhaus, DStZ 1981, 445, 449; Niermann, Der Betrieb ―DB― 1984, 2068; Seitrich, Betriebs-Berater ―BB― 1987, 378; vgl. auch Abschn.9 Abs.4 Nr.2 der Lohnsteuer-Richtlinien ―LStR― 1990).
2. Diese Frage hat das Finanzgericht (FG) zu Recht bejaht. Die Betriebsvereinbarung spricht von einer "Umwandlung" des Arbeitsvertrages. Die Arbeitnehmer, die zur B wechselten, hatten innerhalb eines Jahres ein unbegrenztes und im Anschluß daran ein beschränktes Rückkehrrecht. Die bisher bei der A anerkannten Dienstzeiten wurden angerechnet; die Pensionsordnung der A galt weiterhin. Diese Umstände bewirken eine so enge Verflechtung zwischen dem "alten" und dem "neuen" Dienstverhältnis, daß das Dienstverhältnis mit der B als Fortsetzung des bisherigen Dienstverhältnisses einzuordnen ist.
Die von dem Kläger hiergegen vorgebrachten Gründe können nicht überzeugen:
Die Rückkehrmöglichkeit zur A kann nicht als vage bezeichnet werden. - Die Pflicht zur ―teilweisen― Rückzahlung der Abfindung bei vorzeitigem Ausscheiden aus der B spricht eher gegen den Kläger; das FG weist zu Recht darauf hin, daß im allgemeinen das weitere Verhalten des Arbeitnehmers für den früheren Arbeitgeber ohne Bedeutung ist. - Schließlich kann auch der von dem Kläger gebildete Vergleichsfall, daß ein Arbeitnehmer zu identischen Konditionen zu einem neuen Arbeitgeber wechsle, der mit dem bisherigen Arbeitgeber nicht gesellschaftsrechtlich verbunden sei, seine Auffassung nicht stützen. Die "identischen" Konditionen allein sind nicht ausschlaggebend; entscheidend ist die Verknüpfung von altem und neuem Dienstverhältnis.
Fundstellen
Haufe-Index 63117 |
BFH/NV 1990, 83 |
BStBl II 1990, 1021 |
BFHE 161, 372 |
BFHE 1991, 372 |
BB 1990, 2317 |
BB 1990, 2317-2318 (LT) |
DB 1990, 2567-2568 (LT) |
DStR 1990, 704 (KT) |
HFR 1991, 9 (LT) |
StE 1990, 402 (K) |