Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Steuerfreistellung eines Binnenschiffers nach dem DBA-Schweiz
Leitsatz (amtlich)
1. Vergütungen, die ein in Deutschland ansässiger Arbeitnehmer von einem Reeder mit Geschäftsleitung in der Schweiz für seine nichtselbständige Arbeit an Bord eines Binnenschiffes erhält, sind gemäß Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d i.V.m. Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz von der Besteuerung in Deutschland nur freizustellen, soweit sie für eine in der Schweiz ausgeübte Arbeit gezahlt und in der Schweiz besteuert werden.
2. Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz enthält keine Fiktion des Arbeitsortes.
Normenkette
DBA CHE Art. 15, 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die im Jahr 1999 und in den Folgejahren in Deutschland wohnten. Der Kläger war im angegebenen Zeitraum als Rheinschiffer für eine Reederei mit Geschäftsleitung in der Schweiz nichtselbständig tätig. Er befuhr regelmäßig die Strecke Basel-Rotterdam. Jede dieser Fahrten dauerte zehn Tage, wovon zwei Tage in einem Schweizer Hafen verbracht wurden. Die Vergütungen des Klägers für seine Arbeit an Bord des Schiffes betrugen im Jahr 1999 insgesamt 58 160 sfr. Davon behielt der Arbeitgeber nach einer von ihm ausgestellten und vom Kläger vorgelegten Bescheinigung 733 sfr Schweizer Quellensteuer ein.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) veranlagte die Kläger für das Jahr 1999 zusammen zur Einkommensteuer und bezog dabei 80 v.H. des Arbeitslohns des Klägers abzüglich der vom Kläger geltend gemachten Werbungskosten in die Bemessungsgrundlage der Steuer ein. Den restlichen Teil des Arbeitslohns berücksichtigte das FA bei der Ermittlung des Steuersatzes. Die Quellensteuer rechnete es gemäß § 34c des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu 80 v.H. auf die Einkommensteuer an. Außerdem setzte das FA Einkommensteuer-Vorauszahlungen für das Jahr 2000 und die Folgejahre fest, wobei es von gegenüber 1999 im Wesentlichen unveränderten Einkünften der Kläger und anzurechnender Quellensteuer in Höhe von ca. 2 500 DM ausging.
Nach erfolglosem Vorverfahren erhoben die Kläger wegen der Steuerfestsetzungen Klage. Sie machten geltend, gemäß Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d i.V.m. Art 15 Abs. 3 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (DBA-Schweiz) seien die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit in vollem Umfang von der deutschen Besteuerung freizustellen. Das Finanzgericht (FG) folgte dieser Ansicht und hob die angefochtenen Bescheide ersatzlos auf. Das FG-Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1573 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 DBA-Schweiz. Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Das dem Verfahren beigetretene Bundesministerium der Finanzen (BMF) teilt die Rechtsauffassung des FA. Es hat jedoch keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Das FG-Urteil war aufzuheben und die Klage abzuweisen (Entscheidung nach § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Doppelbesteuerung der Einkünfte, die der Kläger auf Grund seiner nichtselbständigen Arbeit an Bord des Binnenschiffes außerhalb der Schweiz erzielte, wird nicht durch eine Freistellung (Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 DBA-Schweiz), sondern durch eine anteilige Anrechnung der Schweizer Quellensteuer (Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Schweiz) vermieden.
1. Gemäß Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz werden bei einer in Deutschland ansässigen Person die aus der Schweiz stammenden Einkünfte aus unselbständiger (= nichtselbständiger) Arbeit i.S. des Art. 15 DBA-Schweiz ―mit Ausnahme der im Streitfall nicht in Betracht kommenden Einkünfte i.S. des Art. 17 DBA-Schweiz― von der Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer ausgenommen, wenn sie nach den dem Art. 24 voranstehenden Artikeln des DBA in der Schweiz besteuert werden können und die unselbständige Arbeit in der Schweiz ausgeübt wird.
Ob die Einkünfte in der Schweiz besteuert werden können, regelt Art. 15 DBA-Schweiz. Nach seinem Abs. 1 Satz 1 dürfen Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen aus unselbständiger Arbeit grundsätzlich in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem der Bezieher der Vergütungen ansässig ist (Ansässigkeitsstaat). Gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 DBA-Schweiz dürfen, wenn eine in einem Vertragsstaat ansässige Person Einkünfte aus einer im anderen Vertragsstaat ausgeübten unselbständigen Arbeit bezieht, diese Einkünfte unter bestimmten Voraussetzungen auch in dem anderen Vertragsstaat (Tätigkeitsstaat) besteuert werden. Ergänzend bestimmt Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz, dass ungeachtet der Abs. 1 und 2 der Norm u.a. Vergütungen für unselbständige Arbeit, die an Bord eines Binnenschiffes ausgeübt wird, in dem Vertragsstaat besteuert werden können, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des (Schifffahrts-)Unternehmens befindet (Unternehmensstaat); werden die Vergütungen im Unternehmensstaat nicht besteuert, können sie im Ansässigkeitsstaat besteuert werden (Art. 15 Abs. 3 Satz 2 DBA-Schweiz).
2. Im Streitfall ergibt sich ein abkommensrechtliches Besteuerungsrecht der Schweiz aus Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, die gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den erkennenden Senat bindend sind, erfüllten die dem Kläger gezahlten Vergütungen die danach bestehenden Voraussetzungen; die Schweiz war der Unternehmens- und Deutschland der Ansässigkeitsstaat.
3. Entgegen der Auffassung der Kläger steht jedoch der Schweiz abkommensrechtlich kein ausschließliches Besteuerungsrecht zu.
a) Nach Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz "können" die Vergütungen im Unternehmensstaat besteuert werden. Eine Einschränkung, dass sie "nur" in diesem Staat besteuert werden dürfen, lässt sich dem Wortlaut des Abs. 3 Satz 1 nicht entnehmen. Er spricht allein das Besteuerungsrecht des Unternehmensstaats an. Das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats wird von Abs. 3 Satz 1 nicht berührt (Kempermann in Flick/Wassermeyer/Wingert/ Kempermann, DBA-Schweiz, Art. 15 Anm. 66; Vogelgesang in Becker/Höppner/Grotherr/Kroppen, DBA-Kommentar, Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 10; s.a. Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 15 MA Rz. 181; Prokisch in Vogel/ Lehner, Doppelbesteuerungsabkommen, 4. Aufl., 2003, Art. 15 Rz. 102).
Dass Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz lex specialis gegenüber den Abs. 1 und 2 der Norm ist (Brandis in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 85; Kempermann, a.a.O., Art. 15 Anm. 59; s.a. Senatsurteile vom 11. Februar 1997 I R 36/96, BFHE 182, 565, BStBl II 1997, 432; vom 5. September 2001 I R 55/00, BFH/NV 2002, 478; Wassermeyer, a.a.O., Art. 15 MA Rz. 181, 182; Prokisch, a.a.O., Art. 15 Rz. 105), steht dem nicht entgegen. Da sein Satz 1 nur das Besteuerungsrecht des Unternehmensstaats und nicht auch das des Ansässigkeitsstaats anspricht, ist er auch nur hinsichtlich derjenigen Regelungen in Abs. 1 und 2 lex specialis, die das Besteuerungsrecht des Vertragsstaats regeln, der der Unternehmensstaat ist.
b) Auch aus Art. 15 Abs. 3 Satz 2 DBA-Schweiz ergibt sich kein ausschließliches Besteuerungsrecht der Schweiz. Er lässt nicht den Umkehrschluss zu, dass die Vergütungen nur dann im Ansässigkeitsstaat besteuert werden dürfen, wenn sie im Unternehmensstaat nicht besteuert werden. Abs. 3 Satz 2 soll das Entstehen sog. weißer Einkünfte verhindern (s. Brandis, a.a.O., Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 92; Vogelgesang, a.a.O., Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 10). Ohne ihn bestünde eine Besteuerungslücke, falls der Vertragsstaat, der Unternehmensstaat ist, von seinem Besteuerungsrecht keinen Gebrauch macht und der Ansässigkeitsstaat die Einkünfte ganz oder teilweise nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz freistellen müsste. Gewollte Rechtsfolge des Abs. 3 Satz 2 ist somit eine Ausweitung des Besteuerungsrechts des Ansässigkeitsstaats. Dies und die Tatsache, dass Abs. 3 Satz 2 an Abs. 3 Satz 1 anknüpft und dieser das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats nicht berührt, sprechen dafür, auch aus Abs. 3 Satz 2 keine Einschränkung des Besteuerungsrechts des Ansässigkeitsstaats abzuleiten.
4. Der erkennende Senat teilt nicht die Auffassung des FG, in Fällen des Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz gelte die unselbständige Arbeit stets als im Unternehmensstaat ausgeübt und somit seien gemäß Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz die für diese Arbeit gezahlten Vergütungen im Ansässigkeitsstaat Deutschland in vollem Umfang von der Besteuerung freizustellen.
Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz enthält keine derartige Fiktion (a.A. Kempermann, a.a.O., Art. 15 Anm. 63; Brandis, a.a.O., Art. 15 DBA-Schweiz Rz. 85; s.a. Wassermeyer, a.a.O., Art. 15 MA Rz. 181; Prokisch, a.a.O., Art 15 Rz. 103 a.E.; Senatsbeschluss vom 15. Dezember 1998 I B 45/98, BFH/NV 1999, 751 ―zu Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz―). Er unterscheidet klar zwischen dem Arbeitsort "an Bord" eines Schiffes oder Luftfahrzeuges, der sich in der Regel geografisch ständig ändert und oft auch außerhalb des Hoheitsgebiets der Vertragsstaaten liegt, und dem Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Schifffahrtsunternehmens. Das Besteuerungsrecht des Unternehmensstaats knüpft gerade nicht an den geografischen Arbeitsort, sondern unabhängig vom Ort der Ausübung der Arbeit an den Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens an. Rechtsfolge des Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz ist zwar ein abkommensrechtliches Besteuerungsrecht des Unternehmensstaats, das dem Besteuerungsrecht des Vertragsstaats entspricht, in dem die gesamte Arbeit ausgeübt wird; diese Identität der Rechtsfolgen ändert aber nichts daran, dass die Tatbestandsvoraussetzungen der Besteuerungsrechte sich unterscheiden und der Unternehmensstaat nur insoweit Tätigkeitsstaat i.S. des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz ist, als die Arbeit in dessen Hoheitsgebiet ausgeübt wird.
Fundstellen
Haufe-Index 1084513 |
BFH/NV 2004, 247 |
BStBl II 2004, 704 |
BFHE 2004, 102 |
BFHE 204, 102 |
BB 2004, 147 |
DB 2004, 414 |
DStRE 2004, 212 |