Leitsatz
1. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht die Anfechtungskompetenz aus §§ 4, 11 AnfG auf den Insolvenzverwalter über. Der Rechtsstreit gegen den Duldungsbescheid des FA wandelt sich in eine Leistungsklage gegen den mit dem Duldungsbescheid in Anspruch genommenen bisherigen Kläger. Der Insolvenzverwalter übernimmt die Rolle des Klägers.
2. Die zunächst als Anfechtungsklage gegen den Duldungsbescheid erhobene, dem Finanzrechtsweg zugewiesene Klage ist auch nach Übernahme durch den Insolvenzverwalter vom FG zu entscheiden. Eine Verweisung kommt nicht in Betracht.
Normenkette
§ 191 AO, § 17 GVG, §§ 4, 11, 16, 17 AnfG
Sachverhalt
Ein Insolvenzverwalter verlangt eine Zahlung an die Insolvenzmasse. Den entsprechenden Betrag hatte der Ehemann (der insolvente Schuldner) in Gestalt seiner Forderung auf Arbeitsentgelt an seine Ehefrau (die Beklagte) sicherungshalber abgetreten. Mit der Abtretung sollte angeblich eine Darlehensschuld gesichert werden. Die Ehefrau habe ihrem Mann für den Erwerb des Miteigentums an einem gemeinsam gekauften Haus ein Darlehen gewährt.
Noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens hatte das FA gegen den Schuldner zwei Lohnsteuerhaftungsbescheide erlassen und nach erfolglosen Vollstreckungsversuchen die Ehefrau mit Duldungsbescheid nach § 4 AnfG in Anspruch genommen; durch die Sicherungsabtretung sei das Land als Gläubiger objektiv benachteiligt, weil dessen Befriedigungsmöglichkeit aus dem Vermögen des Ehemanns beeinträchtigt worden sei. Es müsse davon ausgegangen werden, dass ein Darlehensvertrag nicht existiere.
Die Ehefrau hat gegen den Duldungsbescheid Klage erhoben. Als das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, meldete das FA seine Forderung gegen den Ehemann aus den Lohnsteuerhaftungsbescheiden zur Insolvenztabelle an. Der Insolvenzverwalter hat das Klageverfahren gegen das FA gem. § 17 Abs. 1 Satz 2 AnfG aufgenommen und beantragt, die Ehefrau zu verurteilen, das an sie aufgrund der Abtretung erlangte Geld an die Insolvenzmasse zu zahlen. Das FG hat dem Antrag stattgegeben, nachdem es das Aktiv- und Passivrubrum entsprechend berichtigt hatte: Insolvenzverwalter über die Insolvenzmasse als Kläger und die Ehefrau als Beklagte (Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 1.2.2011, 3 K 57/10, Haufe-Index 2638279, EFG 2011, 1230).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision gegen das die Ehefrau zur Zahlung an die Insolvenzmasse verpflichtende Urteil des FG zurückgewiesen. Dieses hatte in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, es habe kein Darlehensvertrag bestanden, die Abtretung sei vielmehr unentgeltlich erfolgt.
Hinweis
1.§ 17 Abs. 1 AnfG regelt den Fortgang eines Verfahrens über den Anfechtungsanspruch, der im Zeitpunkt der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens rechtshängig ist: Das Verfahren wird unterbrochen – der Insolvenzverwalter kann es aufnehmen.
2. Entsprechendes gilt bei einem Rechtsstreit über die Anfechtungsklage eines Gläubigers gegen einen Duldungsbescheid, mit dem das FA Rückgewähr eines anfechtbar Erlangten (im Streitfall: vom Schuldner an den Gläubiger abgetretenes Arbeitsentgelt) verlangt. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört der Anfechtungsanspruch zur Insolvenzmasse. Der Insolvenzverwalter ist nach § 16 Abs. 1 Satz 1 AnfG berechtigt, die von den Insolvenzgläubigern erhobenen Anfechtungsansprüche zu verfolgen, wenn über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet wird (vgl. BFH, Beschluss vom 30.8.2010, VII B 83/10, BFH/NV 2010, 2298 zum Verbraucherinsolvenzverfahren; BFH, Urteil vom 29.3.1994, VII R 120/92, Haufe-Index 65322, BFHE 174, 295).
3. Zwar tritt der Insolvenzverwalter nicht in die Beteiligtenstellung des FA ein; er kann nicht als Beklagter für die Bestätigung des Duldungsbescheids kämpfen. Denn die Durchsetzung eines Anfechtungsanspruchs durch Duldungsbescheid nach § 191 AO ist als hoheitliche Maßnahme dem FA vorbehalten.
3. Der Verwalter muss vielmehr einen vollstreckbaren Titel für die Insolvenzmasse erst erwirken, d.h. ggf. im Klageverfahren als Kläger erstreiten. Es tritt folglich ein Wechsel in der Beteiligtenstellung ein (vgl. BFH, Urteil vom 13.11.2007, VII R 61/06, BFH/NV 2008, 1566). Der Insolvenzverwalter wird zum Kläger, der ursprüngliche Kläger zum Beklagten. Der Anfechtungsanspruch richtet sich hier nicht gegen den Insolvenzschuldner, sondern gegen einen Dritten. Gleichwohl geht die Anfechtungskompetenz mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens kraft Gesetzes auf den Insolvenzverwalter über (§ 16 Abs. 1 Satz 1 AnfG). Der Insolvenzverwalter rückt in die (ursprüngliche) Beteiligtenstellung des FA ein.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 18.9.2012 – VII R 14/11