Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Leitsatz
Die gerichtliche Kontrolle von Prüfungsentscheidungen ist aus der Natur der Dinge inhaltlich begrenzt, denn die Bewertung einer Prüfungsleistung beruht auch auf persönlichen, subjektiven Erfahrungen und Vorstellungen des einzelnen Prüfers, die in die Beurteilung der erbrachten Prüfungsleistung einfließen.
Sachverhalt
Die Klägerin nahm im Jahr 2020 an der schriftlichen Steuerberaterprüfung teil und erzielte in den schriftlichen Arbeiten jeweils die Note 5,5. Die Arbeiten wurden jeweils von zwei Prüfern korrigiert, die bei den amtlichen Lösungshinweisen in Form einer Tabelle bei den einzelnen zu bewertenden Aspekten Punkte eintrugen. Anfang Januar 2021 teilte die Steuerberaterkammer der Klägerin mit, dass sie die Steuerberaterprüfung 2020 nicht bestanden habe. Das nach Klageerhebung auf Antrag der Klägerin durchgeführte Überdenkungsverfahren führte nicht zum Erfolg.
Die Klägerin vertritt im Klageverfahren die Auffassung, den Prüfern sei die Bewertung der Bearbeitung durch die Prüfungsbehörde im Vorfeld abgenommen worden, indem ihnen lediglich das Ausfüllen der vorgefertigten Tabelle verblieben sei. Die Verwendung der Musterlösung mit den dort eingeteilten Punkten sei nur zulässig, wenn sie unverbindlich sei und eine Hilfsmittelfunktion hätte. Maßgeblich sei das Urteil des jeweiligen Prüfers, der individuell auf die Lösung der Prüflinge eingehen müsse.Ungeachtet dessen sei die Bewertung der Aufsichtsarbeiten beurteilungsfehlerhaft. Es läge bei allen Klausuren entscheidungserhebliche Bewertungsfehler vor.
Die Prüfung sei zudem formell fehlerhaft verlaufen, sodass der Grundsatz der Chancengleichheit verletzt sei. So sei der Klägerin insbesondere ein ungeeigneter Platz zur Bearbeitung zugewiesen worden. Dieser habe sich in einer Entfernung von ca. 60 Metern zur Toilette befunden. Für die Klägerin sei diese Entfernung zur Toilette benachteiligend. Zudem sei die Platzvergabe nicht wie üblich verlost worden, was einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz darstelle.
Aufgrund der im gewählten Prüfungsraum dauerhaft offenen Türen und den damit einhergehenden besonders niedrigen Temperaturen sei es der Klägerin auch von vornherein nicht möglich gewesen, ihre Kenntnisse bei der Klausurbearbeitung darzulegen.
Entscheidung
Das FG hat die Klage als unbegründet zurückgewiesen. Nach Auffassung des FG kann die Klägerin mit ihren formellen Rügen nicht durchdringen. Auch ist die Bewertung der Prüfungsausgaben nicht zu beanstanden.
Formelle Rügen:
Hinsichtlich der Verwendung von Musterlösungen oder Kurzkorrekturbögen liegt kein formeller Fehler vor. Die Bereitstellung eines Prüfungsschemas durch die Prüfungsbehörde ist zulässig, denn eine solche Anleitung, der keine rechtsverbindliche Wirkung zukommt, stellt ein zulässiges Hilfsmittel bei der Bewertung der Steuerberaterklausuren dar, das den Beurteilungsspielraum des Prüfers nicht einengt und hinreichend Raum für eigene Beurteilungen und Abweichungen belässt.
Soweit die Klägerin die Zurverfügungstellung eines ungeeigneten Platzes vorbringt, ist sie damit bereits deshalb ausgeschlossen, weil sie diese Mängel nicht gemäß § 20 Abs. 4 DVStB unverzüglich vor Ort gerügt hat. Die Verlosung des Sitzplatzes im Sinne der Chancengleichheit ist nicht geboten. Die Steuerberaterkammer hat die Kennzahlen für die Prüfungsteilnehmer nach deren Postleitzahlen aufsteigend vergeben. Mit diesen Kennzahlen wurden durch Aufsichtspersonen dann vor Ort die Sitzplätze vor Prüfungsbeginn vergeben, indem die Kennzahlen auf die Tische gelegt wurden. Die gerügte händische Vergabe der Nummern ist ausweislich des Sitzplans zufällig erfolgt und gerade nicht in einer bestimmten Reihenfolge. Dieses Verfahren ist geeignet, eine unvoreingenommene Verteilung der Arbeitsplätze sicherzustellen.
Soweit die Klägerin die zu niedrige Temperatur durch offene Türen rügt, ergibt sich aus den von der Steuerberaterkammer ausgegebenen Hinweisen, dass während der Prüfung aufgrund der Einschränkungen der Corona-Pandemie der Prüfungsraum ausreichend gelüftet wird. Insofern waren die Prüfungsteilnehmer informiert, dass der Raum durch das Lüften entsprechend auch kühler werden kann, sodass sie sich darauf hätten vorbereiten können.
Bewertung der Prüfungsaufgaben:
Die gerichtliche Kontrolle von Prüfungsentscheidungen ist aus der Natur der Dinge inhaltlich begrenzt, denn die Bewertung einer Prüfungsleistung beruht auch auf persönlichen, subjektiven Erfahrungen und Vorstellungen des einzelnen Prüfers, die in die Beurteilung der erbrachten Prüfungsleistung einfließen. Den Prüfern steht deshalb sachnotwendig ein - überprüfungsfreier - Entscheidungsspielraum zu. Die nach Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich gebotene gerichtliche Kontrolle von Prüfungsentscheidungen ist somit nur eingeschränkt möglich.
Ein in diesem Sinne allgemeingültiger Bewertungsgrundsatz ist es, dass fachlich zutreffende Antworten und brauchbare Lösungen im Prinzip nicht als falsch bewertet werden und nicht zum Nichtbestehen führen dürfen. Soweit die Richtigkeit oder Angemes...