Entscheidungsstichwort (Thema)
Überprüfung wegen nicht bestandener schriftlicher Steuerberaterprüfung in Sachsen: Bereitstellung von Musterlösungen und Kurzkorrekturbögen für Prüfer. Rüge der Ungeeignetheit des Arbeitsplatzes unter anderem wegen zu kühler Raumtemperaturen und Entfernung zur Toilette. keine zwingende Verlosung der Arbeitsplätze geboten. kein Anspruch auf separate Räumlichkeiten bei Wiederholung der Steuerberaterprüfung. Anbringung von Kennnummern auf den Arbeitsblättern während der Arbeitszeit. keine Befangenheit des Prüfers bei anonymisiertem Verfahren. Anforderungen an Überdenkungsverfahren sowie die Kontrolle der Prüferbewertungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Allgemeinen kann bei der schriftlichen Steuerberaterprüfung nicht davon ausgegangen werden, dass die Zurverfügungstellung von Musterlösungen und Kurzkorrekturbögen generell bei der Bewertung der Klausuren zu einer eingeschränkten und damit fehlerhaften Bewertung führt. Vielmehr ist im konkreten Fall vorzutragen, ob die Anwendungen der Musterlösung eine zutreffende Bearbeitung eines Problems durch die Prüflinge ausschließt.
2. Soweit ein Prüfling die Zurverfügungstellung eines ungeeigneten Platzes vorbringt (unter anderem wegen Entfernung des Arbeitsplatzes zur Toilette; wegen zu kühler Raumtemperaturen infolge Lüftungen im Coronajahr 2020 und offener Türen; wegen störender längerer Unterhaltungen von Aufsichtspersonen und Ausweiskontrollen während der Prüfung), kann er damit nicht gehört werden, wenn er diese Mängel nicht gemäß § 20 Abs. 4 DVStB unverzüglich vor Ort gerügt hat. Die Erhebung einer diesbezüglichen Rüge ist auch nicht unzumutbar; ein Risiko, negativ aufzufallen oder einen ungewissen Streit mit der Aufsicht führen zu müssen, ist nicht ersichtlich.
3. Eine Verlosung des Sitzplatzes bei der Steuerberaterprüfung ist im Sinne der Chancengleichheit nicht geboten. Es ist nicht zu beanstanden, wenn Kennzahlen für die Prüfungsteilnehmer nach deren Postleitzahlen aufsteigend vergeben werden und wenn dann mit diesen Kennzahlen durch Aufsichtspersonen vor Ort die Sitzplätze vor Prüfungsbeginn vergeben werden, indem die Kennzahlen auf die Tische gelegt werden. Dieses Verfahren ist geeignet, eine unvoreingenommene Verteilung der Arbeitsplätze sicherzustellen. Es besteht insoweit auch kein Anspruch auf Gleichbehandlung bei der Sitzplatzvergabe mit in anderen Bundesländern praktizierten Verfahren.
4. Aus dem Umstand, dass es in Hamburg bei der Steuerberaterprüfung separate Prüfungsräume für diejenigen gibt, die eine Wiederholungsprüfung schreiben, kann daraus für Sachsen nicht die Verpflichtung folgen, dies auch so zu handhaben, denn eine unterschiedliche Ausgestaltung der Prüfung in den einzelnen Bundesländern ist zu akzeptieren.
5. Dass das Anbringen der Kennzahlen auf den Seiten des zur Verfügung gestellten Papiers in Sachsen während der Arbeitszeit erfolgen muss, ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt zu beanstanden, dass es hierzu in anderen Bundesländern ggf. andere Handhabungen als in Sachsen gibt.
6. Von einer Befangenheit eines Prüfers ist nicht auszugehen, wenn die Anonymität des Prüflings sowohl bei der Klausurbewertung als auch im Überdenkungsverfahren gewahrt worden ist, sodass der Prüfer die Identität des Prüflings bei seiner Bewertung nicht kennen konnte.
7. Im Überdenkungsverfahren ist eine gemeinsam abgestimmte Überdenkung von Klausurbewertungen durch eine Prüfermehrheit unzulässig, Kontakt zwischen den Prüfern im Rahmen der Bewertung ist aber zulässig. Eine Abstimmung und Beratung über die zu vergebende Note ist allenfalls im Nachgang zu einer schriftlichen Fixierung des Ergebnisses des jeweiligen Überdenkens zulässig (vgl. BFH, Urteil v. 16.1.2024, VII R 24/22).
8. Die gerichtliche Kontrolle von Prüfungsentscheidungen ist aus der Natur der Dinge inhaltlich begrenzt, denn die Bewertung einer Prüfungsleistung beruht auch auf persönlichen, subjektiven Erfahrungen und Vorstellungen des einzelnen Prüfers, die in die Beurteilung der erbrachten Prüfungsleistung einfließen. Den Prüfern steht deshalb sachnotwendig ein – überprüfungsfreier – Entscheidungsspielraum zu. Die nach Art. 19 Abs. 4 GG grundsätzlich gebotene gerichtliche Kontrolle von Prüfungsentscheidungen ist somit nur eingeschränkt möglich (BFH, Urteil v. 21.1.1999, VII R 35/98).
9. Ein in diesem Sinne allgemeingültiger Bewertungsgrundsatz ist es, dass fachlich zutreffende Antworten und brauchbare Lösungen im Prinzip nicht als falsch bewertet werden und nicht zum Nichtbestehen führen dürfen. Soweit die Richtigkeit oder Angemessenheit von Lösungen wegen der Eigenart der Prüfungsfrage nicht eindeutig bestimmbar ist, gebührt zwar dem Prüfer ein Bewertungsspielraum, dem aber ein Antwortspielraum des Prüflings gegenübersteht. Eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung darf nicht als falsch bewertet werden. Fachliche Fragen fallen nicht in den prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraum.
10. Soweit ein Prüfling bemängelt, dass er nach den Hinwei...