Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtmäßigkeit eines Lohnsteuer-Haftungsbescheides
Leitsatz (NV)
1. Zur Frage der Rechtmäßigkeit eines (Lohnsteuer-)Haftungsbescheides, insbesondere unter den Gesichtspunkten der Verwirkung, der Verjährung und der Ausübung des Auswahlermessens.
2. Vor Einführung der lohnsteuerlichen Subsidiärhaftung des Entleihers von Arbeitskräften war eine Entleiherhaftung nicht gegeben.
Normenkette
AO 1977 §§ 71, 191 Abs. 1, § § 228 ff., § 231; EStG § 42d Abs. 6; AÜG Art. 1 § 10
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer klagt vor dem Finanzgericht (FG) gegen den Haftungsbescheid des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -). Mit dem angefochtenen Bescheid wird der Antragsteller gemäß § 71 der Abgabenordnung (AO 1977) als Haftender für Lohnsteuer nebst Hinterziehungszinsen in Anspruch genommen. Der Inanspruchnahme liegt ein rechtskräftiges Strafurteil gegen den Antragsteller zugrunde, durch das dieser wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung - Beteiligung an einer Verkürzung der Lohnsteuer durch D - verurteilt worden war. D war eines der auf Veranlassung des inzwischen verstorbenen S gegründeten Subunternehmen, die unter Mitwirkung des Antragstellers Hauptunternehmen im Baubereich unter Vorgabe von Werkverträgen unerlaubt Arbeitskräfte überlassen (verliehen) hatten.
Das Gesuch des Antragstellers um Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Klageverfahren wurde vom FG abgelehnt. Für die Klage bestehe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Haftungsanspruch sei nicht verwirkt. Der bloße Zeitablauf von sieben Jahren bis zum Erlaß des Haftungsbescheides sei unschädlich. Das FA habe durch Erlaß früherer Haftungsbescheide frühzeitig zum Ausdruck gebracht, daß es den Antragsteller in Anspruch nehmen wolle und das Verfahren sodann nur im Hinblick auf den Strafprozeß nicht weitergeführt. Ein rechtserhebliches Mitverschulden des FA sei nicht ersichtlich. Es sei nicht ermessensfehlerhaft, daß nicht vorrangig Dritte in Anspruch genommen würden. Ein Zugriff auf das Vermögen des S wäre nur unter Schwierigkeiten möglich gewesen. Bei weiteren in Betracht kommenden Dritten wie Hauptunternehmern sei fraglich, ob diesen eine Teilnahme an der Steuerhinterziehung vorgeworfen werden könne.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Antragstellers. Er führt aus, im Hinblick auf seine frühere Inanspruchnahme sei Zahlungsverjährung eingetreten. Durch Erlaß des neuen - angefochtenen - Haftungsbescheids könne eine Zahlungsverpflichtung nicht neu begründet werden. Zu berücksichtigen sei im übrigen die vorrangige Haftung Dritter, insbesondere die des Entleihers gemäß § 10 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Die Rechtsverfolgung im Klageverfahren bietet bei summarischer Beurteilung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es fehlt somit an einer Voraussetzung für die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe (§ 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -, § 114 der Zivilprozeßordnung).
Wie die Vorinstanz richtig entschieden hat, ist nicht erkennbar, daß der Haftungsanspruch verwirkt sein könnte. Ein längerer Zeitablauf führt für sich allein noch nicht zur Verwirkung; hinzutreten müssen ein Vertrauenstatbestand und eine Vertrauensfolge (z.B. Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 8. Oktober 1986 II R 167/84, BFHE 147, 409, 412, BStBl II 1987, 12), Umstände also, deren Vorliegen hier nicht ersichtlich ist. Auch die übrigen Gründe der Vorentscheidung sind zutreffend. Der Senat sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab (§ 113 Abs. 2 Satz 3 FGO).
Die Angriffe, die der Antragsteller gegen die Vorentscheidung richtet, sind nicht begründet. Ob Zahlungsverjährung (§ 228 AO 1977) für den im - früheren - Bescheid festgesetzten Haftungsanspruch eingetreten wäre, ist nicht zu entscheiden. Dieser Bescheid - Haftung gemäß § 42d des Einkommensteuergesetzes (EStG): Arbeitgeberhaftung - ist nicht Gegenstand des Klageverfahrens. Hinsichtlich des angefochtenen Haftungsbescheids - Haftung gemäß § 71 AO 1977 - ist Zahlungsverjährung nicht eingetreten. Zwar können Zahlungsansprüche des FA gegen den Steuerschuldner auch während eines Rechtsstreits über die Steuerfestsetzung verjähren (BFH, Urteil vom 26. April 1990 V R 90/87, BFHE 160, 348, 351, BStBl II 1990, 802), doch hat das FA im Klageverfahren unwidersprochen vorgetragen, daß verjährungsunterbrechende Maßnahmen (§ 231 AO 1977) getroffen wurden.
Dem Erlaß des angefochtenen Bescheids stand auch nicht entgegen, daß seinerzeit noch der - frühere - Haftungsbescheid ... bestand. Abgesehen davon, daß dieser Bescheid auf einem anderen Haftungsgrund beruhte, läge keine zu korrigierende Mehrfachfestsetzung mehr vor, nachdem der Bescheid zurückgenommen worden war.
Schließlich läßt sich auch nicht beanstanden, daß das FA sein Auswahlermessen (§ 191 Abs. 1 AO 1977; hierzu etwa Senat, Urteil vom 29. Mai 1990 VII R 85/89, BFHE 161, 486, 488, BStBl II 1990, 1008) fehlerhaft geübt und eine vorrangige Haftung Dritter nicht berücksichtigt habe. Art. 1 § 10 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes vom 7. August 1972 (BGBl I 1972, 1393) enthält keine Vorschrift über die steuerliche Haftung bei Arbeitnehmerüberlassung. Eine Subsidiärhaftung des Entleihers für die Lohnsteuer ist erst durch das Steuerbereinigungsgesetz 1986 vom 19. Dezember 1985 (BGBl I 1985, 2436, BStBl I 1985, 735) - § 42d Abs. 6 EStG - eingeführt worden. Vor Inkrafttreten dieser Regelung, also auch im Streitfall, war eine Entleiherhaftung nicht gegeben (BFH, Urteil vom 2. April 1982 VI R 34/79, BFHE 135, 501, 508, BStBl II 1982, 502; vgl. auch Becker: Nachtrag zu Becker/Wulfgramm, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 3. Aufl. 1986, Vorbemerkung Rz. 8). Schon aus diesem Grunde kam eine haftungsrechtliche Heranziehung des Entleihers von vornherein nicht in Betracht.
Fundstellen