Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Rügeverlust; Nichtberücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens
Leitsatz (NV)
1. Wird die Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) u.a. durch Übergehen von Beweisangeboten und ein Verstoß gegen die Gewährung rechtlichen Gehörs als (verzichtbare) Verfahrensmängel gerügt, so verlieren die vor dem FG rechtskundig vertretenen Stpfl. ihr Rügerecht durch rügelose Verhandlung zur Sache und damit durch bloßes Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge.
2. Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das FG seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens, also den gesamten konkretisierten Prozessstoff zugrunde zu legen; insbesondere ist der Inhalt der vorgelegten Akten und das Vorbringen der Prozessbeteiligten (quantitativ) vollständig und (qualitativ) einwandfrei zu berücksichtigen. Ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ist ein Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.
3. Ein solcher Verfahrensfehler, auf dem die Vorentscheidung beruht, liegt vor, wenn das FG eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung der Rückzahlung von Gehalt annimmt, dabei jedoch sich aus den Akten ergebende Sachverhaltselemente unberücksichtigt lässt, die dieser Annahme entgegenstehen.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 6; GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 155; ZPO § 295
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 25.07.2003; Aktenzeichen 10 K 2204/00) |
Gründe
Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht --FG-- (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der geltend gemachte erhebliche Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) der Nichtberücksichtigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens greift durch.
1. Soweit indes die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) u.a. durch Übergehen von Beweisangeboten und einen Verstoß gegen die Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) als (verzichtbare) Verfahrensmängel rügen, haben sie --vor dem FG rechtskundig vertreten-- ihr Rügerecht durch rügelose Verhandlung zur Sache (s. Sitzungsprotokoll) und damit durch bloßes Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verloren (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung; vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. März 2001 IX B 149/00, BFH/NV 2001, 1037; vom 29. Oktober 2002 IV B 98/01, BFH/NV 2003, 326).
2. Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das FG seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens, also den gesamten konkretisierten Prozessstoff (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, § 96 Rz. 8; Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 115 FGO Rz. 171) zugrunde zu legen; insbesondere ist der Inhalt der vorgelegten Akten und das Vorbringen der Prozessbeteiligten (quantitativ) vollständig und (qualitativ) einwandfrei zu berücksichtigen (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Tz. 99; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 96 FGO Rz. 39). Ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ist ein Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (vgl. BFH-Beschlüsse vom 4. Dezember 2003 XI B 180/01, BFH/NV 2004, 525; vom 22. Juli 2004 II B 26/03, BFH/NV 2004, 1546; Tipke/Kruse, a.a.O.; Lange, a.a.O., § 115 FGO Rz. 240). Im Streitfall liegt ein solcher Verfahrensfehler vor, auf dem die Vorentscheidung beruht; denn das FG hat eine gesellschaftsrechtliche Veranlassung der Rückzahlung angenommen, dabei jedoch sich aus den Akten ergebende Sachverhaltselemente nicht berücksichtigt, die dieser Annahme entgegenstehen.
Zwar hat das FG die Tatsache der Beteiligung des dort als Geschäftsführer tätigen Klägers an der X-Gesellschat mit insgesamt ca. 12,4 % (unmittelbar 1 %, mittelbar ca. 11,4 %) bei seiner Überzeugungsbildung berücksichtigt. Der wirtschaftliche Gehalt der "Rückzahlungsvereinbarung" und die in den Akten befindliche Aussage des vom Kläger als Zeugen benannten leitenden Mitarbeiters der Z-Gruppe, A, sind aber ersichtlich nicht in die Entscheidungsfindung eingeflossen. Dies war nicht etwa deshalb entbehrlich, weil das FG beim Kläger eine "quasi treuhänderische Stellung als Vermittler" angenommen hat, denn dazu fehlen entsprechende tatsächliche Feststellungen. Zudem zieht das FG in diesem Zusammenhang das Nichterreichen der "wirtschaftlichen Ziele der Kooperation" und die kreditrichtlinienwidrige Verwendung der zur Verfügung gestellten Finanzmittel zur Begründung einer gesellschaftsrechtlichen Veranlassung heran. Demgegenüber war nach dem Inhalt der unter massivem Druck zustande gekommenen "Rückzahlungsvereinbarung" die Betriebsführung mit dem Versprechen eines positiven Ergebnisses der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit übernommen worden. Im Übrigen ist nicht ohne weiteres ersichtlich, warum die anderweitige Verwendung der Finanzmittel auf der Gesellschafterebene und nicht im Rahmen der Geschäftsführungstätigkeit anzusiedeln ist.
3. Der Senat hält es im Streitfall für sachgerecht, gemäß § 116 Abs. 6 FGO die Vorentscheidung wegen Verfahrensfehlers aufzuheben und an das FG zurückzuverweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 1366227 |
BFH/NV 2005, 1354 |