Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Wiedereinsetzung
Leitsatz (NV)
- Ein erfolgreicher Antrag auf Wiedereinsetzung setzt eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 FGO voraus.
- Beruft sich ein Beteiligter auf ein Versehen im Büro des Prozessbevollmächtigten, muss er darlegen, dass kein (von diesem selbst zu vertretender) Organisationsfehler vorliegt, d.h. dass der Prozessbevollmächtigte seinerseits alle Vorkehrungen dafür getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichteinhaltung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (BFH-Beschluss vom 25. Februar 1999 X R 102/98, BFH/NV 1999, 1221).
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1-2, § 155; ZPO § 85 Abs. 2
Tatbestand
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben gegen das ihnen am 6. Oktober 1999 zugestellte Urteil des Finanzgerichts (FG) mit Schriftsatz vom 8. November 1999 Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision eingelegt; die Beschwerde ging am 10. November 1999 beim FG ein. Die Kläger beantragen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Ihre Prozessbevollmächtigten machen unter Beifügung einer entsprechenden eidesstattlichen Versicherung einer ihrer Büroangestellten geltend, die Beschwerde sei von dieser per Fax am 8. November 1999 nicht an das FG, sondern versehentlich an den Beklagten und Beschwerdegegner (das Finanzamt) abgesandt worden. Die Angestellte sei seit drei Jahren als Rechtsanwaltsfachangestellte tätig und "immer angewiesen, die Faxnummern zu kontrollieren und die ordnungsgemäße Absendung abzuzeichnen". Ein derartiges Versehen sei ihr nie unterlaufen und unerklärlich.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie war bis zum 8. November 1999 beim FG einzulegen (§ 115 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―), am 10. November 1999 war sie daher verfristet.
Die von den Klägern beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht.
Nach § 56 Abs. 1 FGO ist einem Beteiligten auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Dabei muss er sich ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).
Ein erfolgreicher Antrag auf Wiedereinsetzung setzt eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 FGO voraus (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 25. Februar 1999 X R 102/98, BFH/NV 1999, 1221; vom 19. Januar 1993 X R 82/92, BFH/NV 1993, 611). Erforderlich ist eine vollständige Darstellung der Ereignisse, die zur Fristversäumung geführt haben und die unverschuldete Säumnis belegen sollen, soweit sie nicht gerichtsbekannt oder offenkundig sind. Nach Ablauf der Zweiwochenfrist können Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr nachgeschoben werden. Lediglich unklare oder unvollständige Angaben können erläutert oder ergänzt werden, wenn innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist der Kern der Wiedereinsetzungsgründe in sich schlüssig vorgetragen worden ist (BFH-Urteile vom 20. Juni 1996 X R 95/93, BFH/NV 1997, 40; vom 21. Februar 1995 VIII R 76/93, BFH/NV 1995, 989).
Vorliegend haben die Kläger nicht wie erforderlich dargelegt, dass sie ohne Verschulden verhindert waren, die gesetzliche Frist einzuhalten. Zwar haben ihre Prozessbevollmächtigten vorgetragen, dass die Versäumung der Frist auf das Versehen einer Rechtsanwaltsfachgehilfin zurückzuführen sei. Auch kann sich ein Prozessbevollmächtigter bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes durch Telefax grundsätzlich darauf verlassen, dass sein zuverlässiges Büropersonal bei einem richtig adressierten Schreiben die richtige Telefaxnummer ermittelt und in das Gerät eingibt (BFH-Beschluss vom 12. Juli 1999 VII B 81/99, BFH/NV 1999, 1655, m.w.N.).
Allerdings muss ein Beteiligter, der sich ―wie im Streitfall― auf ein Versehen im Büro des Prozessbevollmächtigten beruft, darlegen, dass kein (von diesem selbst zu vertretender) Organisationsfehler vorliegt, d.h. dass der Prozessbevollmächtigte seinerseits alle Vorkehrungen dafür getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichteinhaltung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1999, 1221; vom 13. November 1989 III B 107/88, BFH/NV 1990, 649).
An einer entsprechenden Darlegung fehlt es vorliegend. Die Prozessbevollmächtigten der Kläger haben lediglich vorgetragen, dass die betreffende Fachkraft ihrerseits zur Kontrolle und Abzeichnung der angewählten Faxnummern verpflichtet und angewiesen gewesen sei. Hingegen fehlt die zudem erforderliche Darlegung, durch welche geeigneten organisatorischen Vorkehrungen die Kontrolle und Abzeichnung der Faxabsendung durch die Fachkraft gewährleistet werden sollte (beispielsweise durch einen Vergleich der anzuwählenden Faxnummer mit der in einem nach Absendung auszudruckenden Sendebericht oder Journalauszug ausgewiesenen Nummer). Zudem lässt der Vortrag der Prozessbevollmächtigten Darlegungen dazu vermissen, dass und wie sie durch regelmäßige (auch stichprobenweise) Überwachung ihrer Bürokräfte für die Einhaltung entsprechender Anordnungen Sorge getragen haben. Aus den von den Prozessbevollmächtigten dargestellten Umständen allein lässt sich ein die Anwendung des § 56 Abs. 1 FGO hindernder Organisationsmangel somit nicht ausschließen. Die aufgezeigten Lücken in der Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs können nach Ablauf der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO nicht mehr geschlossen werden; sie gehen zu Lasten der Kläger. Bleibt die Verschuldensfrage offen, ist das Wiedereinsetzungsbegehren abzulehnen (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1999, 1221; in BFH/NV 1993, 611).
Fundstellen
Haufe-Index 425485 |
BFH/NV 2000, 1108 |