Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsende eines Grenzgängers
Leitsatz (NV)
Führt ein Steuerpflichtiger regelmäßig in Anschluss an seine üblichen Arbeitszeiten bis nach Mitternacht andauernde Wartungsarbeiten durch, kann Arbeitsende der Zeitpunkt der Beendigung der tagesübergreifenden Wartungsarbeiten sein.
Normenkette
DBA CHE Art. 15, 15a, 24; FGO § 96 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (Urteil vom 18.06.2003; Aktenzeichen 2 K 317/02) |
Tatbestand
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute, die in den Jahren 1997 und 1998 (Streitjahre) in R wohnten. Der Kläger war in den Streitjahren als Leiter der EDV-Abteilung bei einem Unternehmen in der Schweiz tätig, dessen Hauptsitz ca. 60 km von R entfernt ist. In ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre gaben die Kläger an, der Kläger habe in jedem der Streitjahre an mehr als 60 Arbeitstagen aus beruflichen Gründen nach Arbeitsende nicht an seinen Wohnort zurückkehren können. Er sei somit gemäß Art. 15a Abs. 2 Satz 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und Vermögen vom 11. August 1971 (DBA-Schweiz) kein Grenzgänger. Daher unterliege sein Arbeitslohn gemäß Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d i.V.m. Art. 15 Abs. 1 und 2 DBA-Schweiz nur in der Schweiz der Besteuerung.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) veranlagte die Kläger für die Streitjahre zusammen zur Einkommensteuer und bezog dabei die Einkünfte des Klägers aus seiner nichtselbständigen Arbeit in der Schweiz in die Besteuerungsgrundlagen ein, da der Kläger in den Streitjahren Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-Schweiz gewesen sei. Daran hielt das FA auch im Einspruchsverfahren fest und begründete dies in den Einspruchsentscheidungen vom 29. August 2002 im Wesentlichen wie folgt:
Der Kläger habe nicht nachgewiesen, dass er in den Streitjahren an mehr als 60 Tagen pro Jahr auf Grund seiner Arbeitsausübung nach Arbeitsende nicht an seinen Wohnsitz zurückgekehrt sei. Die von ihm vorgelegten Unterlagen (Einzelaufstellungen über die Tage, an denen der Kläger auf Grund seiner Arbeitsausübung nicht an seinen Wohnsitz zurückgekehrt ist ―sog. Nichtrückkehrtage―, Beschreibung der Tätigkeit des Klägers und der von ihm zu leistenden Nachtarbeit) seien nicht geeignet, seine diesbezüglichen Angaben zu belegen. Nach den von der Arbeitgeberin bestätigten Angaben habe der Kläger zwar zusätzlich zu seiner regelmäßig um 7.30 Uhr beginnenden und neun Stunden dauernden Tagesarbeit noch mindestens einmal pro Woche in den Betriebsstätten der Arbeitgeberin in P und N für Wartungsarbeiten an den EDV-Anlagen auch in der Zeit von 0.30 Uhr bis 5.30 Uhr etwa drei bis vier Stunden arbeiten müssen. Es sei aber unwahrscheinlich, dass diese Angaben den Tatsachen entsprächen. Als Leiter der EDV-Abteilung habe der Kläger eine besonders verantwortungsvolle Position inne und Fehler bei seiner Arbeit hätten gravierende Folgen. Es sei daher nicht glaubhaft, dass ihm eine so lange und nur kurzzeitig unterbrochene und daher riskante Arbeitszeit zugemutet worden sei. In Einzelfällen sei möglicherweise eine solch lange Arbeitszeit notwendig gewesen, nicht jedoch in dem vom Kläger angegebenen Umfang. Vielmehr sei davon auszugehen, dass der Kläger in der Regel entweder vor den nächtlichen Wartungsarbeiten seine Arbeit früher beendet oder am Tag der Wartungsarbeiten seine Tagesarbeit später begonnen habe. Trotz Aufforderung habe der Kläger auch keine näheren Angaben zu dem Ruheraum und dessen Ausstattung gemacht, in dem er angeblich auf dem Betriebsgelände seiner Arbeitgeberin während der Pausen der nächtlichen Wartungsarbeiten einige Stunden habe schlafen können.
Die Zweifel an den Angaben des Klägers würden durch die Bestätigung seiner Arbeitgeberin vom 22. Juli 2002 bestärkt. Nach ihr sei der Kläger an den Tagen, an denen er EDV-Arbeiten bei auswärtigen Kunden ausgeführt habe und ihm deshalb eine Rückkehr zur Wohnung nicht zumutbar gewesen sei, zu den Betriebsstätten der Arbeitgeberin in P oder N gefahren, um dort die wöchentlichen Wartungsarbeiten durchzuführen und einige Stunden zu schlafen. Wenn die Rückkehr zur Wohnung nicht zumutbar gewesen sei, erscheine es wenig glaubhaft, dass der Kläger nicht in der Nähe des auswärtigen Kunden übernachtet habe.
Auch die Klage war erfolglos. Die Revision ließ das Finanzgericht (FG) nicht zu.
Mit der Beschwerde beantragen die Kläger, die Revision wegen Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) zuzulassen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet. Sie war insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.
1. Soweit die Kläger die Zulassung der Revision mit der Begründung begehren, das FG habe verfahrensfehlerhaft (Verstoß gegen § 76 FGO) den entscheidungserheblichen Sachverhalt unzureichend aufgeklärt, da es eine von den Klägern in der Klageschrift beantragte Beweisaufnahme (Vernehmung eines in der Schweiz ansässigen Zeugen) unterlassen habe, ist die Beschwerde unzulässig. Es fehlt insoweit an der für die Zulässigkeit der Beschwerde erforderlichen schlüssigen und substantiierten Darlegung eines Verfahrensmangels (§ 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
Die bereits im Klageverfahren fachkundig vertretenen Kläger haben weder behauptet, sie hätten die Nichterhebung des Beweises vor Schluss der mündlichen Verhandlung gerügt, noch haben sie substantiiert vorgetragen, warum sich dem FG die Vernehmung des Zeugen habe aufdrängen müssen, obwohl der Zeuge nicht wie in der Klageschrift angeboten zur mündlichen Verhandlung gestellt wurde und die Kläger den Beweisantrag auch während der Verhandlung nicht wiederholten (zur Gestellung von im Ausland ansässigen Zeugen s. Senatsbeschluss vom 25. November 2002 I B 32/02, BFH/NV 2003, 627).
2. Soweit die Kläger einen Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO als Verfahrensmangel geltend machen, ist die Beschwerde unbegründet.
Das FA hat sich im Einspruchsverfahren ausführlich mit dem Vorbringen der Kläger und dabei auch den Einzelaufstellungen über die Nichtrückkehrtage befasst. Es hat die sich aus den Einzelaufstellungen erschließenden Angaben der Kläger über die Zahl der Übernachtungen in der Schweiz als nicht glaubhaft angesehen, dies ausführlich begründet und deshalb an der Besteuerung des Klägers als Grenzgänger festgehalten. Das FG hat sich dem angeschlossen und gemäß § 105 Abs. 5 FGO zur Begründung seiner Entscheidung auf den Inhalt der Einspruchsentscheidungen bezogen. Außerdem hat das FG im Tatbestandsteil des Urteils ausdrücklich auf die Einzelaufstellungen über die Nichtrückkehrtage Bezug genommen. Dies widerlegt die Behauptung der Kläger, das FG habe die Einzelaufstellungen über die Nichtrückkehrtage "beiseite gelassen", sich mit ihnen sachlich nicht auseinander gesetzt und damit seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen.
Auch die Behauptung der Kläger, das FG habe im Protokoll über die mündliche Verhandlung "festgestellte" Tatsachen nicht berücksichtigt, trifft nicht zu. Das Protokoll enthält zu den Arbeitszeiten des Klägers, den von ihm zu leistenden Arbeiten und zu den Orten seiner auswärtigen Übernachtungen (EDV-Räume mit Feldbett bzw. Liegemöglichkeit) keine Tatsachenfeststellungen, sondern einen ergänzenden Sachvortrag des Klägers. Diesen und den früheren Vortrag der Kläger sowie die vom Kläger vorgelegten Unterlagen hat das FG zusammenfassend wie folgt gewürdigt: Der Kläger habe zwar regelmäßig außerhalb der üblichen Arbeitszeiten auch bis nach Mitternacht andauernde EDV-Checks durchführen müssen. Es könne aber nicht festgestellt werden, an welchen Tagen diese Arbeiten wie lange gedauert haben. Daher gehe das FG davon aus, dass es sich bei den EDV-Checks immer um tagesübergreifende Arbeitsleistungen des Klägers gehandelt habe.
Das FG hat somit als Arbeitsende des Klägers in diesen Fällen nicht die Beendigung seiner während der üblichen Arbeitszeit zu leistenden Arbeit, sondern die Beendigung der nächtlichen EDV-Checks angesehen. Diese Würdigung des Sachverhalts ist möglich. Sie lässt nicht den Schluss zu, das FG habe den Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung bei seiner Überzeugungsbildung nicht berücksichtigt. Dass die Kläger den Sachverhalt anders würdigen und die EDV-Checks nicht als Fortsetzung der in der üblichen Arbeitszeit zu leistenden Arbeit, sondern als Beginn einer neuen Arbeit und ―sofern sie nicht tagesübergreifend waren― auch eines neuen Arbeitstages ansehen, ändert daran nichts. Selbst eine unzutreffende Beweiswürdigung wäre kein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO (s. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., 2002, § 115 Rz. 82, 83, m.w.N.).
Fundstellen