Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung eines Antrags auf Nichterhebung von Kosten als Erinnerung; kein Absehen auf Kostenerhebung bei zweifelhafter Rechtslage bei Verfahrenseinleitung
Leitsatz (NV)
1. Ist bereits eine Kostenrechnung den Kostenschuldnern zugegangen, so ist der Antrag auf Nichterhebung von Kosten als Erinnerung auszulegen.
2. Unter abweisenden Entscheidungen i.S. von § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG sind Entscheidungen jeder Art und Form zu verstehen.
3. Die ‐ unverschuldete ‐ Unkenntnis rechtlicher Verhältnisse kann sich auch auf die prozessuale Rechtslage beziehen.
4. Ob die Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse unverschuldet ist, richtet sich nach den Umständen im Einzelfall. Dabei sind auch der Bildungsgrad und die wirtschaftlichen Auswirkungen mit zu berücksichtigen. Bei Rechtsanwälten und anderen Berufsträgern ist in der Regel ein strenger Maßstab anzulegen.
5. Im Rahmen der vom Gericht zu treffenden Ermessensentscheidung sind Billigkeits- und Zumutbarkeitserwägungen sowie die Vermögensverhältnisse zu berücksichtigen.
6. Unverschuldet ist die Unkenntnis nicht stets dann schon, wenn die bisherige Rechtsprechung dem klägerischen Begehren entsprochen hatte. Dies bedeutet nicht, dass das Gericht an der einmal vertretenen Rechtsauffassung auch festhalten wird. § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG verfolgt nicht den Zweck, der unterlegenen Partei das mit einem Prozess verbundene Kostenrisiko abzunehmen und von den Beteiligten auf die Allgemeinheit abzuwälzen.
7. Von der Erhebung von Kosten ist jedenfalls in der Regel dann nicht abzusehen, wenn die Zweifelhaftigkeit der Rechtslage ‐ hier die Unstatthaftigkeit einer außerordentlichen Beschwerde ‐ bei Einleitung des Verfahrens erkennbar war und von den Beteiligten erkannt worden ist.
Normenkette
FGO §§ 133a, 137 S. 1, § 138 Abs. 2 S. 2; GKG § 21 Abs. 1 S. 3, § 66 Abs. 1, 8; ZPO § 85 Abs. 2, § 321a
Tatbestand
I. Die von den Antragstellern, Beschwerdeführern und Erinnerungsführern (Erinnerungsführer) gegen den Beschluss des Finanzgerichts (FG), durch den ihnen nach § 137 Satz 1 i.V.m. § 138 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Kosten des finanzgerichtlichen Verfahrens wegen Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung auferlegt worden waren, eingelegte außerordentliche Beschwerde hat der Senat als unzulässig verworfen und den Erinnerungsführern die Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt.
Die Kostenstelle des Bundesfinanzhofs (BFH) hat am 13. Januar 2006 die Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren vor dem BFH auf 50 € festgesetzt.
Gegen die Kostenrechnung legten die Bevollmächtigten namens der Erinnerungsführer Erinnerung ein.
Gemäß § 21 Abs. 1 Satz 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG) sei von der Erhebung der Gerichtskosten abzusehen, weil in keiner Weise erkennbar gewesen sei, dass nach Einführung des § 133a FGO eine außerordentliche Beschwerde gegen eine Kostenentscheidung in Fällen greifbarer Gesetzwidrigkeit nicht mehr zulässig sei. Vielmehr habe es ständiger Rechtsprechung des BFH entsprochen, in solchen Fällen eine außerordentliche Beschwerde als statthaft anzusehen.
Die Erinnerungsführer beantragen sinngemäß, die Kostenfestsetzung aufzuheben.
Der Vertreter der Staatskasse (Erinnerungsgegner) beantragt, die Erinnerung als unbegründet zurückzuweisen.
Eine unrichtige Sachbehandlung durch den BFH sei nicht erkennbar.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Erinnerung gegen den Kostenansatz ist statthaft (§ 66 Abs. 1 GKG). Ist bereits eine Kostenrechnung den Erinnerungsführern zugegangen, so ist der Antrag auf Nichterhebung von Kosten nach § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG als Erinnerung i.S. von § 66 Abs. 1 GKG auszulegen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 5. Dezember 2005 II B 158/05, juris; vom 12. Oktober 2005 X E 2/05, BFH/NV 2006, 326; vom 1. September 2005 III E 1/05, BFH/NV 2006, 92, sowie vom 28. Juni 2005 X E 1/05, BFHE 209, 422, BStBl II 2005, 646).
2. Die Erinnerung ist jedoch unbegründet.
a) Nach § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG kann für abweisende Entscheidungen von der Erhebung von Kosten abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht.
Unter abweisender Entscheidung sind Entscheidungen jeder Art und Form zu verstehen (vgl. BFH-Beschluss vom 24. Februar 1967 III B 8/66, BFHE 88, 276, BStBl III 1967, 369).
Die Unkenntnis rechtlicher Verhältnisse kann sich auch auf die prozessuale Rechtslage beziehen (BFH-Beschluss vom 20. Juni 1994 XI E 2, 3/94, BFH/NV 1995, 149).
§ 21 Abs. 1 Satz 3 GKG enthält eine Kann-Vorschrift, die dem Gericht Ermessen einräumt (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Juni 1968 III B 73/67, BFHE 92, 548, BStBl II 1968, 659).
Ob die Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse unverschuldet ist, richtet sich nach den Umständen im Einzelfall. Dabei sind u.a. auch der Bildungsgrad ebenso wie die wirtschaftlichen Auswirkungen mit zu berücksichtigen (BFH-Beschluss in BFHE 92, 548, BStBl II 1968, 659; Greite, Deutsche Steuer-Zeitung --DStZ-- 2000, 90, 91, m.w.N.).
Bei Rechtsanwälten und anderen Berufsträgern ist in der Regel ein strenger Maßstab anzulegen.
Im Rahmen der Ermessensausübung sind Billigkeits- und Zumutbarkeitserwägungen sowie die Vermögensverhältnisse zu berücksichtigen (Oestreich/Winter/Hellstab, Kommentar zum Gerichtskostengesetz, § 21 Rn. 28).
Unverschuldet ist die Unkenntnis nicht bereits dann, wenn die bisherige Rechtsprechung dem klägerischen Begehren entsprochen hat; denn dies bedeutet keineswegs, dass das Gericht an der einmal vertretenen Rechtsauffassung festhalten wird.
Mehrfach hat der BFH entschieden, dass von der Erhebung von Kosten in der Regel nicht abgesehen werden kann, wenn die Zweifelhaftigkeit der Rechtslage bei Einleitung des Verfahrens erkennbar war und von den Beteiligten erkannt worden ist. Insbesondere darf die Anwendung des § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG nicht dazu führen, die Folgen des Kostenrisikos für den Ausgang des Verfahrens von den Beteiligten auf die Allgemeinheit abzuwälzen (BFH-Beschluss vom 25. März 1969 VII B 151/68, BFHE 95, 209, BStBl II 1969, 344).
b) Bei Anwendung dieser Maßstäbe kann die Erinnerung keinen Erfolg haben.
Bereits der Kostenbeschluss des FG stellte klar, dass er unanfechtbar sei. Entgegen der bereits mit der außerordentlichen Beschwerde und nunmehr erneut mit der Erinnerung aufgestellten Behauptung der Erinnerungsführer, in Fällen objektiv greifbarer gesetzwidriger Entscheidungen sei nach ständiger Rechtsprechung des BFH die außerordentliche Beschwerde statthaft, hat der BFH sowohl unter der Geltung des § 321a der Zivilprozessordnung (ZPO) a.F. (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 26. Januar 2005 VII B 332/04, BFH/NV 2005, 905; vom 20. Mai 2005 V B 19/05, BFH/NV 2005, 1830, jeweils m.umf.N.), als auch nach In-Kraft-Treten der Anhörungsrüge gemäß § 133a FGO zum 1. Januar 2005 in ständiger Rechtsprechung klargestellt, dass eine außerordentliche Beschwerde in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der anderen obersten Bundesgerichte nicht mehr statthaft sei.
Soweit der IV. Senat des BFH unter der Geltung des § 321a ZPO a.F. (vgl. BFH-Beschluss vom 13. Mai 2004 IV B 230/02, BFHE 206, 194, BStBl II 2004, 833) sowie nach In-Kraft-Treten des § 133a FGO (vgl. BFH-Beschluss vom 8. September 2005 IV B 42/05, BFHE 210, 225, BStBl II 2005, 838) unter besonderen Voraussetzungen eine außerordentliche Beschwerde dennoch als zulässig bezeichnet hat, stand diese Auffassung nicht nur im Widerspruch zur Rechtsprechung anderer oberster Bundesgerichte, sondern andere Senate des BFH haben erklärtermaßen offen gelassen, ob sie solche Ausnahmen berücksichtigen könnten (vgl. u.a. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2005, 905; vom 10. November 2004 X B 110/04, BFH/NV 2006, 239; in BFH/NV 2005, 1830; vom 5. Dezember 2005 II B 158/05, juris).
Wenn die fachkundig beratenen Erinnerungsführer trotz der Rechtsmittelbelehrung und der zumindest keineswegs eindeutigen prozessualen Rechtslage dennoch eine außerordentliche Beschwerde eingelegt haben, so mussten sie angesichts der zumindest erheblich zweifelhaften Rechtslage auch mit einem nachteiligen Ausgang des Verfahrens rechnen.
§ 21 Abs. 1 Satz 3 GKG verfolgt nicht den Zweck, der unterlegenen Partei das mit dem Prozess verbundene Risiko abzunehmen (vgl. Greite, DStZ 2000, 90, m.w.N.).
Insoweit kann auch nach den gesamten Umständen nicht von einer im Sinne der Regelung in § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG unverschuldeten Unkenntnis der Rechtslage gesprochen werden.
Ein Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten müssen sich die Erinnerungsführer im Übrigen zurechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 155 FGO; BFH-Beschluss in BFHE 92, 548, BStBl II 1968, 659; Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 4. Mai 2005 XII ZR 217/04, juris).
3. Das Erinnerungsverfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG).
Fundstellen