Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf rechtliches Gehör
Leitsatz (NV)
Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Diese Pflicht geht allerdings nicht so weit, dass sich das Gericht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Entscheidungsgründen ausdrücklich befassen müsste.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 1; GG Art. 3, 6, 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) aufgeworfene Rechtsfrage, "Ist der beschränkte steuerliche Abzug von Vorsorgeaufwendungen selbständiger alleinerziehender Mütter mit Art. 3 und Art. 6 des Grundgesetzes (GG) vereinbar, wenn erhöhte Vorsorgeaufwendungen dazu dienen, Versorgungslücken wegen Teilzeittätigkeit aufgrund alleiniger Betreuung und Versorgung eines Kindes unter zehn Jahren bis zu einer Höhe auszugleichen, die bei Mitgliedern der gesetzlichen Rentenversicherung durch Aufstockung der Rentenversicherungsbeiträge als Kinderberücksichtigungszeiten angerechnet werden?" hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das Finanzgericht (FG) hat auch nicht den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) verletzt bzw. den entscheidungserheblichen Sachverhalt nur mangelhaft aufgeklärt.
1. Grundsätzliche Bedeutung ist einer Rechtssache beizumessen, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Gesamtheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 23, m.w.N.). Die Frage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein. Am Klärungsbedarf fehlt es, wenn sie bereits durch die Rechtsprechung geklärt worden ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung durch den Bundesfinanzhof (BFH) erforderlich machen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 28).
Im Streitfall ist die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem "Renten-Urteil" vom 6. März 2002 2 BvL 17/99 (BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618) dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung auch des Rechts der Altersvorsorge gesetzt und unter D.II. der Entscheidungsgründe ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet ist, "die Rechtslage rückwirkend, bezogen auf das Veranlagungsjahr 1996, zu bereinigen". Hiernach ist der Gesetzgeber für Veranlagungszeiträume vor 2005 zu einer "Nachbesserung" des die Altersvorsorge betreffenden Sonderausgabenabzugs nicht verpflichtet (vgl. BFH-Urteil vom 21. Juli 2004 X R 72/01, BFH/NV 2005, 513). Zwar weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass sich das BVerfG in dieser Entscheidung nicht explizit mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob der beschränkte steuerliche Abzug von Vorsorgeaufwendungen selbständiger alleinerziehender Mütter mit Art. 3 und Art. 6 GG vereinbar ist. Vielmehr war Gegenstand der Verfassungsbeschwerde die unterschiedliche Besteuerung der Beamtenpensionen nach § 19 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a EStG. Aus dem Umstand, dass nach Auffassung des BVerfG diese unterschiedliche Besteuerung seit dem Jahr 1996 mit dem Gleichheitssatz unvereinbar ist, das BVerfG gleichwohl der Auffassung war, der Gesetzgeber sei verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, die Rechtslage rückwirkend zu bereinigen und den Sonderausgabenabzug für Veranlagungszeiträume vor 2005 nachzubessern, folgt jedoch, dass der Gesetzgeber selbst dann nicht zu einer Besserstellung selbständiger alleinerziehender Mütter verpflichtet wäre, wenn die beschränkte steuerliche Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen in den Jahren vor 2005 bei dem von der Klägerin umschriebenen Personenkreis gegen Art. 3 bzw. Art. 6 GG verstoßen hätte.
2. Die Klägerin rügt weiter, das FG habe sich nicht mit ihrem Vorbringen auseinandergesetzt, dass --soweit die Anwendung einer gesetzlichen Regelung im Einzelfall zu verfassungswidrigen Ergebnissen führe-- entweder die Vorschrift verfassungskonform auszulegen sei bzw. deren Nichtigkeit bzw. Unvereinbarkeit mit der Verfassung --ggf. über einen Vorlagebeschluss-- festgestellt werden müsse.
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst in erster Linie das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern. Darüber hinaus haben die Beteiligten einen Anspruch darauf, dem Gericht auch in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten. Diesen Ansprüchen entspricht die Pflicht des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Diese Pflicht geht allerdings nicht so weit, dass sich das Gericht mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich befassen müsste. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen hat. Es darf das Vorbringen außer Betracht lassen, das nach seiner Rechtsauffassung unerheblich ist (vgl. z.B. Gräber/ Ruban, a.a.O., § 119 Rz 10a, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).
b) Nach diesen Maßstäben musste sich das FG in den Entscheidungsgründen nicht mit dem Vorbringen der Klägerin ausdrücklich auseinandersetzen, da nach Auffassung des FG --wie auch nach Meinung des BFH-- die Frage der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Rentenversicherungsbeiträgen in den Jahren vor 2005 von der Rechtsprechung geklärt ist.
3. Aus denselben Erwägungen greift auch die weitere Verfahrensrüge nicht durch, das FG habe auch ohne entsprechenden Beweisantritt den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufklären müssen. Auch insoweit hätte eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG nicht zu einer anderen Entscheidung führen können.
Fundstellen