Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässige Gegenvorstellung; Auslegung der Beschwerdeschrift einer Partnerschaftsgesellschaft
Leitsatz (NV)
- Die Selbstkorrektur einer rechtskräftigen Entscheidung durch das erkennende Gericht aufgrund einer Gegenvorstellung ist allenfalls dann zulässig, wenn die Entscheidung offenkundig auf einer Verletzung des Rechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) beruht, unter Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters ergangen ist oder ihrem Inhalte nach das Rechtsstaatsprinzip verletzt, weil sie willkürlich ist.
- Es ist nicht willkürlich, für die Frage, wer eine Beschwerde eingelegt hat, allein auf die Beschwerdeschrift selbst abzustellen; es ist naheliegend, diese dahin zu verstehen, eine Partnerschaftsgesellschaft wolle als Prozeßbevollmächtigte auftreten, wenn die Beschwerdeschrift auf dem Kopfbogen der Gesellschaft und zudem in der Wir-Form abgefaßt wird und nicht eindeutig klargestellt ist, daß gleichwohl der Unterzeichnete nicht für die Gesellschaft, sondern als unmittelbar von dem Rechtsmittelführer Bevollmächtigter oder als Unterbevollmächtigter derjenigen Personen auftreten will, die die Partnerschaftsgesellschaft bilden.
- Einem Angehörigen eines rechtsberatenden Berufes muß die Rechtsprechung des BFH zur Auslegung einer auf dem Kopfbogen einer Steuerberatungsgesellschaft abgefaßten Rechtsbehelfsschrift geläufig sein; es bedarf zur Wahrung rechtlichen Gehörs keines Hinweises, daß diese Rechtsprechung auf die Partnerschaftsgesellschaft zu übertragen ist.
- Ein Antrag auf Akteneinsicht ist unzulässig, wenn keine Sachentscheidung mehr zu treffen ist oder die Akte unter keinem Gesichtspunkt geeignet sein kann, dem Rechtsschutzbegehren des Antragstellers zu dienen.
Normenkette
GG Art. 1 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1; PartGG § 11 Sätze 1, 3; FGO § 78 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) hat sich gegen einen Beschluß des Finanzgerichts (FG) mit der Beschwerde gewandt, in dem ihr Prozeßkostenhilfe für ihren Rechtsstreit gegen den Beklagten (Finanzamt) versagt worden war. Der beschließende Senat hat die Beschwerde durch den vorgenannten Beschluß als unzulässig verworfen, weil das Rechtsmittel entgegen Art. 1 Nr. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) von einer Partnerschaftsgesellschaft eingelegt worden sei. Dies ergebe sich aus der Verwendung deren Kopfbogens, der Wir-Form der Beschwerdeschrift und des Fehlens irgendwelcher Anhaltspunkte dafür, daß der unterzeichnende Rechtsanwalt nicht für die Partnerschaftsgesellschaft, sondern für einen oder alle ihrer Partner auftreten oder im eigenen Namen handeln wollte. Wegen der Einzelheiten des Beschlusses wird auf dessen Gründe Bezug genommen.
Hiergegen hat die Antragstellerin Gegenvorstellung erhoben und zu deren Begründung im wesentlichen folgendes vorgetragen:
Der Beschluß des Senats verletze die Antragstellerin in ihren Grundrechten aus Art. 1 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Er beruhe auf überzogenem Formalismus und sachfremden Erwägungen. Er sei willkürlich. Er mißachte das Recht auf rechtliches Gehör, weil die Antragstellerin nicht darüber informiert worden sei, daß der Senat die persönliche Bevollmächtigung des Rechtsanwalts, der unterzeichnet habe, bezweifle. Er stelle eine Überraschungsentscheidung dar.
Ferner läßt die Antragstellerin vortragen, die in der Beschwerdeschrift verwendete Wir-Form beziehe sich ausschließlich auf die Personenmehrzahl der bevollmächtigten Rechtsanwälte und Steuerberater, die dem unterzeichnenden Rechtsanwalt Untervollmacht erteilt hätten. Dieser habe die Beschwerdeschrift allein mit seinem Namen und dem Zusatz Rechtsanwalt unterzeichnet; damit sei klar, daß er als natürliche Person und Rechtsanwalt die volle Verantwortung für das Verfahren übernommen habe. Die Ansicht des Senats, die Partnerschaft habe das Beschwerdeverfahren geführt, widerspreche zudem den im Verfahren vorgelegten Vollmachten und sämtlichen Anschreiben des Bundesfinanzhofs (BFH) und dessen bisheriger Spruchpraxis.
Die Antragstellerin beantragt, den Beschluß vom 23. April 1999 aufzuheben und ihr "zur Vorbereitung eines ggf. weiteren Sachvortrags" Akteneinsicht zu gewähren.
Entscheidungsgründe
II. 1. Die Gegenvorstellung ist unzulässig.
Der beschließende Senat kann auch im Streitfall die in seiner bisherigen Rechtsprechung offengelassene Frage unentschieden lassen, ob und unter welchen Voraussetzungen gegen rechtskräftige Beschlüsse des BFH ein im Gesetz nicht vorgesehener, außerordentlicher Rechtsbehelf, die sog. Gegenvorstellung, gegeben ist. Denn ein solcher Rechtsbehelf käme jedenfalls nur unter Voraussetzungen in Betracht, die hier nicht gegeben sind.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (z.B. Beschluß vom 8. Juli 1986 2 BvR 152/83, BVerfGE 73, 322), der die obersten Gerichtshöfe des Bundes gefolgt sind und die im Schrifttum neben Widerspruch (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., Vor § 115 Anm. 27) überwiegend Zustimmung gefunden hat, ist die Selbstkorrektur einer rechtskräftigen Entscheidung durch das erkennende Gericht aufgrund einer Gegenvorstellung dann zulässig, wenn die Entscheidung offenkundig auf einer Verletzung des Rechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) beruht oder unter Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters ergangen ist (vgl. den Beschluß des Senats vom 1. Juli 1998 VII B 33/98, zur Veröffentlichung in BFH/NV vorgesehen). Darüber hinaus kann eine Gegenvorstellung in Betracht kommen, wenn eine an sich unanfechtbare gerichtliche Entscheidung zwar nicht die vorgenannten Verfahrensgrundrechte, sondern ihrem Inhalte nach das Rechtsstaatsprinzip i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG verletzt, weil sie willkürlich ist und jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (vgl. BFH-Beschluß vom 4. Mai 1998 I B 128/97, BFH/NV 1998, 1368; Beermann/Rüsken, Steuerliches Verfahrensrecht, § 126 FGO Rdnr. 119 ff.). Keine dieser Voraussetzungen liegt jedoch im Streitfall vor.
Die Antragstellerin rügt in erster Linie, der angegriffene Beschluß des Senats sei willkürlich. Auch wenn indes, was zweifelhaft erscheint, gute Gründe dafür sprechen mögen, für die Frage, wer die Beschwerde namens der Antragstellerin eingelegt hat, nicht auf die Beschwerdeschrift abzustellen, sondern auf erst später eingereichte Schriftsätze wie den vom 27. Januar 1999 oder auf die --ebenfalls erst später vorgelegte und im übrigen hinsichtlich der Frage, ob den Steuerberatern und Rechtsanwälten X und Y als Einzelpersonen oder der zwischen ihnen bestehenden Partnerschaftsgesellschaft Vollmacht erteilt ist, unergiebige-- Vollmachtsurkunde, ist es nicht willkürlich, sondern durch ebenso gute, in der ständigen Rechtsprechung des BFH eingehend dargelegte Gründe zu rechtfertigen, wenn auf die Beschwerdeschrift selbst abgestellt wird. Es ist auch schwerlich willkürlich, sondern naheliegend, diese dahin zu verstehen, die Partnerschaftsgesellschaft wolle als Prozeßbevollmächtigte auftreten, wenn die Beschwerdeschrift auf dem Kopfbogen der Gesellschaft und zudem in der Wir-Form abgefaßt wird und nicht eindeutig klargestellt ist, daß gleichwohl der Unterzeichner nicht für die Gesellschaft, sondern als unmittelbar von dem Rechtsmittelführer Bevollmächtigter oder, wie mit der Gegenvorstellung offenbar geltend gemacht werden soll, als Unterbevollmächtigter derjenigen Personen auftreten will, die die Partnerschaftsgesellschaft bilden. Es kann auch nicht ernstlich behauptet werden, daß dieser Schluß dann zwingend ist, wenn der Unterzeichner den durch die Verwendung des Kopfbogens der Partnerschaftsgesellschaft begründeten Anschein eines Handelns für diese nicht noch zusätzlich dadurch bekräftigt, daß er seiner Unterschrift den Namen der Partnerschaftsgesellschaft (erneut) voranstellt.
Der Senat hat auch nicht das rechtliche Gehör der Antragstellerin verletzt. Die Antragstellerin mußte damit rechnen, daß der beschließende Senat die formellen Voraussetzungen einer zulässigen Beschwerde, insbesondere die Beachtung des Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG prüfen werde. Die Anforderungen, die diese Vorschrift stellt, müssen dem Angehörigen eines rechtsberatenden Berufes, wie dem Unterzeichner der Beschwerdeschrift, aus zahllosen Entscheidungen des BFH ebenso geläufig sein wie die in dem angegriffenen Beschluß angeführte Rechtsprechung des BFH zur Auslegung einer auf dem Kopfbogen einer Steuerberatungsgesellschaft in der Rechtsform einer Personenhandelsgesellschaft oder einer Kapitalgesellschaft eingelegten Beschwerde. Daß diese Rechtsprechung auf die Partnerschaftsgesellschaft zu übertragen sein würde, lag zumindest nahe --zumal wenn die Bevollmächtigte der Antragstellerin das in dem angegriffenen Beschluß angeführte Urteil des Senats vom 23. Juli 1998 VII R 154/97 (BFHE 187, 153, BStBl II 1998, 692) beachtet hätte, das lange vor Ergehen des angegriffenen Beschlusses des Senats in zahlreichen Fachpublikationen ebenso wie im BStBl veröffentlicht worden war-- und mußte nicht eigens ins Bewußtsein gerufen werden, um den Grundsatz des rechtlichen Gehörs zu wahren. Es kann schließlich auch nicht behauptet werden, daß nicht damit gerechnet werden konnte, daß die Beschwerde möglicherweise als von einer Partnerschaftsgesellschaft eingelegt angesehen würde. Denn abgesehen davon, daß in der Beschwerdeschrift ausdrücklich auf das Bestehen einer Partnerschaftsgesellschaft und die entsprechende Registereintragung hingewiesen worden ist, hat offenbar schon das FG nicht die Rechtsanwälte und Steuerberater X und Y als (nebeneinander) Bevollmächtigte der Antragstellerin, sondern die Partnerschaftsgesellschaft als Prozeßbevollmächtigte angesehen. Denn sonst hätte es sie im Rubrum des angefochtenen Beschlusses nicht als "Steuerberater ... X und Partner" bezeichnen dürfen, wie sich aus § 11 Satz 1 und 3 des Partnerschaftsgesellschaftsgesetzes ergibt. Soweit die Antragstellerin sich auf Anschreiben des BFH beruft, stammen diese von der Geschäftsstelle des Senats; sie wären schon deshalb nicht geeignet, einen Vertrauenstatbestand hinsichtlich der nachfolgenden Entscheidung des Senats zu begründen.
2. Der Antrag auf Akteneinsicht ist unzulässig. Der Antragstellerin steht ein Recht auf Akteneinsicht nach § 78 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht (mehr) zu, denn dieses Recht besteht nicht um seiner selbst willen, sondern um dem Rechtsschutz in einem anhängigen Gerichtsverfahren zu dienen (vgl. BFH-Beschluß vom 16. Juli 1991 III S 2, 3/91, BFH/NV 1992, 191). Akteneinsicht ist daher nicht mehr zu gewähren, wenn keine Sachentscheidung mehr zu treffen ist. Selbst wenn das Vorbringen der Antragstellerin dahin zu verstehen sein sollte, sie wolle Akteneinsicht zur ergänzenden Begründung ihrer Gegenvorstellung nehmen, und ein diesbezüglicher Anspruch von § 78 Abs. 1 Satz 1 FGO grundsätzlich umfaßt sein sollte, wäre der Antragstellerin Akteneinsicht nicht zu gewähren, weil die Akte des BFH --nur in diese kann gegenwärtig beim BFH Einsicht genommen werden-- unter keinem Gesichtspunkt geeignet sein kann, dem Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin zu dienen. Im Verfahren wegen der Gegenvorstellung ist --Statthaftigkeit dieses außerordentlichen Rechtsbehelfs unterstellt-- nur noch zu entscheiden, ob die Auslegung der Beschwerdeschrift in dem angegriffenen Beschluß des Senats willkürlich ist oder ob der Senat bei Erlaß dieses Beschlusses den Gehörsanspruch der Antragstellerin verletzt hat. Alle Unterlagen, die für die Auslegung der Beschwerdeschrift vernünftigerweise in Betracht kommen können, befinden sich in den Händen der Bevollmächtigten der Antragstellerin. Auch hinsichtlich der Wahrung des Gehörsanspruches ist die Akte des BFH offensichtlich unergiebig. Die Antragstellerin vermag im übrigen auch offenbar selbst nicht anzugeben, welche für ihr Rechtsschutzbegehren möglicherweise hilfreichen Erkenntnisse sie aufgrund der begehrten Akteneinsicht zu gewinnen hofft.
Fundstellen
Haufe-Index 302706 |
BFH/NV 2000, 67 |