Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung; Zufluss einer Abfindung
Leitsatz (NV)
1. Es ist geklärt, dass eine Abfindung zugeflossen ist, sobald der Steuerpflichtige über den Betrag wirtschaftlich verfügen kann, und dass eine Stundung grundsätzlich den Zufluss hinausschiebt. Wird Arbeitslohn dem Arbeitnehmer nicht ausbezahlt, sondern nur gutgeschrieben, so ist die Frage des Zuflusses nach den Gesamtumständen des Einzelfalls zu entscheiden.
2. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung "erfordert" dann eine Entscheidung des BFH, wenn ein FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Rechtsauffassung vertritt als der BFH, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, ein anderes oberstes Bundesgericht oder ein anderes FG.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2; EStG § 11 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten über den Zeitpunkt des Zuflusses einer Abfindung. Mit Vertrag vom 28. Februar 1996 wurde das Arbeitsverhältnis der Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) zum 30. November 1996 gegen Zahlung einer einmaligen Abfindung von 75 000 DM, zahlbar im November 1996, beendet. Daneben wurde eine weitere Vereinbarung getroffen, ebenfalls vom 28. Februar 1996, die von der Klägerin am 19. November 1996 unterzeichnet wurde, nach der der steuerpflichtige Teil der Abfindung in Höhe von 45 000 DM erst im Januar 1997 fällig sein solle. Dementsprechend erfolgte die Zahlung im Januar 1997.
Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) sah in der weiteren Vereinbarung eine bereits einen Zufluss auslösende Verfügung der Klägerin und änderte gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) die Steuerfestsetzung entsprechend.
Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt. Die Entscheidung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1596 veröffentlicht. Das Hinausschieben der Fälligkeit habe keine "Schuldumschaffung" bewirkt. Der Hinweis auf die Entscheidung des 4. Senats des FG Baden-Württemberg vom 2. März 1999 4 K 120/98 (juris Nr: STRE200370126) könne nicht überzeugen: Die Klägerin habe keine wirtschaftliche Verfügungsmacht besessen; der Vergleich mit Gewinnanteilen des beherrschenden Gesellschafters sei verfehlt. Ein Gestaltungsmissbrauch sei nicht anzunehmen; dem Hinausschieben der Fälligkeit hätten wirtschaftliche Gründe zugrunde gelegen.
Mit der Beschwerde begehrt das FA die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung:
1. Der 14. Senat des FG habe sich zu der Rechtsprechung des 4. Senats des FG in Widerspruch gesetzt. Nach Auffassung des 4. Senats des FG bedeute die Verschiebung eine den Zufluss auslösende Verfügung.
2. Die streitige Rechtsfrage über den Zuflusszeitpunkt bei Fälligkeitsverschiebung sei für einen großen Kreis von Steuerpflichtigen von Bedeutung.
Das FA beantragt, die Revision zuzulassen.
Die Kläger und Beschwerdegegner beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen:
1. Der Sachverhalt des Streitfalls sei ein anderer als der, der dem Verfahren des 4. Senats des FG zugrunde gelegen habe; die Klägerin habe zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit gehabt, die Auszahlung zum 30. November 1996 zu bewirken.
2. Eine Zulassung der Revision zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung sei nicht erforderlich, da die Entscheidungen auf unterschiedlichen Sachverhalten beruhten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Nach ständiger Rechtsprechung hat eine Sache grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Gesamtheit an der einheitlichen Entwicklung des Rechts berührt. Es muss sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln. Die Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und im Streitfall klärungsfähig sein (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 1. August 2002 XI B 138/01, BFH/NV 2002, 1455).
Im Streitfall sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Das Tatbestandsmerkmal des "Zuflusses" ist erfüllt, sobald der Steuerpflichtige über den Arbeitslohn (Abfindungssumme) wirtschaftlich verfügen kann (ständige Rechtsprechung des BFH; vgl. BFH-Urteil vom 12. November 1997 XI R 30/97, BFHE 184, 505, BStBl II 1998, 252; vgl. auch Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 24. Aufl., 2005, § 11 Rz. 12, m.w.N.). Auch ist geklärt, dass eine Stundung grundsätzlich den Zufluss hinausschiebt (BFH-Urteil vom 14. Februar 1984 VIII R 221/80, BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480). Wird Arbeitslohn dem Arbeitnehmer nicht ausbezahlt, sondern nur gutgeschrieben, so ist die Frage des Zuflusses nach den Gesamtumständen des Einzelfalls zu entscheiden (BFH-Urteil vom 14. Mai 1982 VI R 124/77, BFHE 135, 542, BStBl II 1982, 469); über den buchmäßigen Ausweis hinaus muss nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zum Ausdruck kommen, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verwendung zur Verfügung steht (BFH-Urteil vom 18. Dezember 2001 IX R 74/98, BFH/NV 2002, 643). Da die rechtlichen Voraussetzungen, unter denen ein Zufluss anzunehmen ist, geklärt sind, besteht kein Interesse an einer weiteren Entscheidung zu diesem Fragenkreis.
2. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (BFH-Beschluss vom 14. August 2001 XI B 57/01, BFH/NV 2002, 51). Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung "erfordert" dann eine Entscheidung des BFH, wenn ein FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Rechtsauffassung vertritt als der BFH, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, ein anderes oberstes Bundesgericht oder ein anderes FG.
Auch diese Voraussetzung ist nicht erfüllt; der 14. Senat des FG hat seiner Entscheidung nicht einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Entscheidung des 4. Senats des FG nicht übereinstimmt. Beide Senate des FG sind übereinstimmend davon ausgegangen, dass auf die wirtschaftliche Verfügungsmacht abzustellen ist. Während aber der 4. Senat des FG aufgrund der besonderen Umstände des Sachverhalts in jenem Fall davon ausging, dass der Arbeitgeber dem Kläger Verfügungsmacht eingeräumt hatte, ist der 14. Senat in dem hier streitigen Fall davon ausgegangen, dass die Klägerin dem Interesse des in Schwierigkeiten befindlichen Arbeitgebers nachgeben musste und damit noch keine Verfügungsmacht erlangt hatte. Unterschiede bestehen also nicht in rechtlicher Hinsicht, sondern sind in den unterschiedlichen Sachverhalten begründet.
Fundstellen
Haufe-Index 1476340 |
BFH/NV 2006, 520 |